Medizin ohne Maß?
Vom Diktat des Machbaren zu einer Ethik der Besonnenheit
Wenn Schwerkranke den Lebenswillen verlieren - ist der assistierte Suizid die angemessene Antwort?
In den letzten Wochen und Monaten beschäftigte sich nicht nur der Bundestag erneut mit der Frage, wie weit die Kontrolle über das Lebensende reichen darf.
Wenn ein unheilbar Kranker darum bittet, seinem Leben ein Ende zu setzen – ist diese Hilfe dann ein Akt der Nächstenliebe oder eine Straftat?
Über diese Frage wird viel gesprochen und debattieren – erfahrungsgemäß eine Diskussion, die ebenso hitzig wie kontrovers geführt wird.
Dabei verläuft die Linie zwischen Befürwortern und Gegnern der Sterbehilfe quer durch alle Parteien.
Im Zentrum der aktuellen Debatte steht die Frage des assistierten Suizids: Soll es prinzipiell erlaubt sein, einen Sterbewilligen bei der Selbsttötung zu unterstützen, etwa indem man ihm einen tödlichen Medikamentencocktail zur Verfügung stellt?
Das bestehende Gesetz sieht hierin bislang keine Straftat.
Gesundheitsminister Hermann Gröhe möchte das ändern und jede Form der organisierten Beihilfe zum Suizid, wie sie manche Vereine und auch Ärzte anbieten, unter Strafe stellen.
Laut einem Gesetzentwurf, mit dem der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio gemeinsam mit Kollegen vor wenigen Tagen an die Öffentlichkeit gegangen ist, soll es Ärzten dagegen unter strengen Voraussetzungen ausdrücklich erlaubt sein, Patienten bei der Selbsttötung zu helfen.
Andere Stimmen, wie etwa die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union, plädieren dafür, den Bereich noch weiter zu liberalisieren und auch die Tötung auf Verlangen straffrei zu stellen.
In diesem Spannungsfeld mahnt der Freiburger Medizinethiker Professor Giovanni Maio zu Besonnenheit. „Wenn Menschen ihren Lebensmut verlieren, muss man sich als Gesellschaft darum bemühen, ihnen neue Perspektiven zu eröffnen“, so Maio.
Viele Menschen fühlen sich im Kranksein entwertet und in unserer Gesellschaft nutzlos.
„Die soziale Antwort darauf darf nicht die Dienstleistung Assistierter Suizid sein, sondern sie muss in dem fürsorglichen Engagement für diese Menschen liegen“, erklärt der Arzt und Philosoph in seinem neuen Buch „Medizin ohne Maß? Vom Diktat des Machbaren zu einer Ethik der Besonnenheit“.
„Die soziale Antwort auf die Hoffnungslosigkeit der Betroffenen kann nur die Antwort der Beziehung sein, eine Antwort, durch die deutlich wird, dass auch und gerade der schwerkranke Mensch uns etwas bedeutet, dass er sich nicht entwertet zu fühlen braucht, und dass man sich aufgerufen fühlt, ihn nicht allein zu lassen in seiner Not.“
Jenseits der Strafbarkeitsdebatte erinnert Giovanni Maio daran, dass dieses Stadium gefühlter Ausweglosigkeit auch überwunden werden könne, indem man dem akut Verzweifelten nicht nur den Weg zum Suizid bahnt, sondern ihm vor allem die verbleibenden Perspektiven aufzeigt.
„Der Suizid eines Menschen darf nicht einfach zum akzeptablen Normalfall werden“, so Maio, „denn der Wunsch nach dem Suizid verweist letzten Endes auf zwischenmenschliche Kontexte.“
Es sei wichtig, dass wir den Suizid nicht mehr moralisch bewerten, aber genauso wichtig sei es, die Anstrengungen der Suizidprävention zu verstärken.
Die Tatsache, dass es so viele Suizidwünsche gibt, müsse daher als Auftrag gesehen werden, weiter nach den Gründen zu suchen und alles Menschenmögliche zu tun, damit schwerkranke und pflegebedürftige Menschen sich nicht als Last empfinden, sondern durch eine Kultur der Sorge anerkannt werden als unersetzbare Glieder unserer Gesellschaft.
Professor Giovanni Maio
war nach Medizin- und Philosophiestudium als Internist tätig.
Seit 2005 hat er den Lehrstuhl für Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und leitet dort das Institut für Ethik und Geschichte der Medizin.
Er kritisiert die Machbarkeitsvorstellungen einer technisierten Medizin und tritt für eine neue Ethik der Besonnenheit ein.
Sein neues Buch „Medizin ohne Maß?“ ist kürzlich im TRIAS Verlag erschienen.
Giovanni Maio
Medizin ohne Maß?
Vom Diktat des Machbaren zu einer Ethik der Besonnenheit
Erschienen im TRIAS Verlag,
Erschienen 2014
Umfang: 224 Seiten
Ausstattung: Gebunden
Preis: 17,99 Euro (D) / 18,50 Euro (A) / CHF 25,20
ISBN Buch: 9783830467496
Gut zu wissen:
Das vorgestellte Buch ist auch als E-PUB bzw. e-Book erschienen - Sie erhalten sie im gut sortierten Handel, in zahlreichen Online-Büchershops und direkt beim Verlag
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