Bei wiederholtem Fieber ohne klare Ursachen auch an Morbus Still denken
Seltene Erkrankung heute wirksam mit Biologika behandelbar – frühe Diagnose wichtig
Zunächst sind es nur abendliche Fieberschübe und ein entzündeter Rachen, mit denen sich ein Still-Syndrom bemerkbar macht.
Auch ein flüchtiger, lachsfarbener Ausschlag ist typisch für die seltene entzündlich-rheumatische Erkrankung, die weniger als einen von 100.000 Menschen betrifft.
Weil die Anfangssymptome unspezifisch sind und die Krankheit selten, dauert es oft lange, bis ein Still-Syndrom erkannt wird. Erst wenn im weiteren Verlauf Entzündungen an Hand- und Ellbogen, Sprung- und Kniegelenken auftreten, liegt der Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung nahe.
Eine frühe Diagnose ist jedoch wichtig, um Folgeschäden zu vermeiden, betont die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V. (DGRh) anlässlich des Tages der Seltenen Erkrankungen, der dieses Jahr auf den 29. Februar fällt. Rechtzeitig erkannt ist ein Still-Syndrom heute gut behandelbar.
Den schwierigen Weg bis zur richtigen Diagnose teilt der Morbus Still mit anderen seltenen Erkrankungen – laut Definition zählen zu diesen „Orphan Diseases“ alle Erkrankungen, an denen weniger als fünf von 10.000 Menschen leiden.
Doch während es für viele andere Krankheiten aus dieser Gruppe keine spezifisch wirksamen Medikamente gibt, sei das Still-Syndrom medikamentös meist gut behandelbar, so die Experten.
„Als entzündlich-rheumatische Erkrankung kann der Morbus Still zunächst mit nicht-steroidalen Antirheumatika und Cortison behandelt werden“, sagt Prof. Dr. med. Hendrik Schulze-Koops, Präsident der DGRh und Leiter der Rheumaeinheit am Klinikum der Ludwig-Maximilian-Universität München.
Lange Zeit seien diese Wirkstoffe neben Methotrexat die einzigen Behandlungsoptionen gewesen.
Bei Patienten, deren Erkrankung schubförmig und vergleichsweise mild verläuft, reichten diese in der Regel aus.
„Bei ein bis zwei Dritteln der Still-Syndrom-Patienten verläuft die Krankheit jedoch aggressiver und schreitet chronisch voran“, so Schulze-Koops. In diesen Fällen sei oft die Gabe moderner Biologika notwendig, um bleibende Gelenkschäden oder lebensbedrohliche Komplikationen wie ein Multiorganversagen oder eine Gerinnungsstörung zu vermeiden.
Wie bei allen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen – auch beim sehr viel häufigeren und weithin bekannten Gelenkrheuma – beschränkt sich die Entzündung beim Morbus Still nicht auf ein Organ oder ein Organsystem, sondern kann auf ganz verschiedene Bereiche des Körpers übergreifen. Im Verlauf der Erkrankung können etwa auch das Herz, die Lunge oder die Augen zum Ziel von Entzündungsattacken werden.
Seit mehr als zehn Jahren sind Wirkstoffe aus der Klasse der Biologika zur Behandlung des Still-Syndroms zugelassen. Dabei handelt es sich um Antikörper, die gezielt ins molekulare Krankheitsgeschehen eingreifen – im Falle des Morbus Still dämmen sie die übersteigerte Aktivität der Immunbotenstoffe IL-1 und IL-6 ein, die bei den Betroffenen in deutlich erhöhter Menge produziert werden.
„In die Gruppe dieser Medikamente gehört auch der IL-1 Rezeptor-Antagonist Anakinra, der seit zwei Jahren für die Behandlung des Morbus Still zur Verfügung steht“, erläutert Schulze-Koops.
In Studien, die kürzlich in einer Meta-Analyse zusammengefasst worden seien, hätte sich gezeigt, dass Anakinra sehr gut wirksam sei: 23 bis 88 Prozent der kindlichen und 50 bis 100 Prozent der erwachsenen Patienten hätten völlige Symptomfreiheit erreicht, auf die zusätzliche Gabe von Cortison hätte in vielen Fällen verzichtet werden können.
Neben Anakinra existiert mit Canakinumab eine weitere, ebenfalls für die Behandlung des Morbus Still zugelassene Substanz aus der Klasse der Biologika, die sehr wirksam sei, ergänzt der Experte.
Wie man heute weiß, geht das überschießende Immungeschehen bei Patienten mit Still-Syndrom vor allem auf die Zellen der angeborenen Immunabwehr zurück; diese sind äußerst aktiv und vermehren sich stark. „Im Labor macht sich das als hoher Leukozytenwert bemerkbar.
Neben diesem Charakteristikum ist der sehr hohe Wert des als Ausdruck einer Entzündung von der Leber gebildeten Eiweisses, des Ferritin, im Serum der Patienten einer der wenigen diagnostischen Marker für das Still-Syndrom“, erklärt Schulze-Koops.
„Noch längst ist die Erforschung der seltenen Erkrankung jedoch nicht abgeschlossen. So liegen die Ursachen des Morbus Still noch immer im Dunkeln, und auch die Immunaktivität könnte noch genauer untersucht werden – schließlich steigt mit jedem Detail, das bekannt wird, auch die Chance auf weitere zielgenau wirkende Biologika. So sind etwa auch Antikörper gegen den Botenstoff IL-18 denkbar, der ebenfalls erhöht ist“.
Vor allem aber, so der DGRh-Präsident, müsse die Diagnose des Morbus Still beschleunigt werden.
Noch immer vergehe sehr viel Zeit, bis die Krankheit richtig erkannt werde, die Betroffenen an einen Rheumatologen überwiesen würden und eine wirksame Therapie erhielten.
Idealerweise solle jeder Kinder- und Hausarzt bei wiederholten Fieberschüben, für die es keine offensichtliche Ursache gebe, auch an die Möglichkeit eines Morbus Still denken und den Patienten an einen Rheumatologen überweisen.
Über die DGRh
Die DGRh ist mit mehr als 1.400 Mitgliedern die größte medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft in Deutschland im Bereich der Rheumatologie. Sie repräsentiert hierzulande seit 90 Jahren die rheumatologische Wissenschaft und Forschung und deren Entwicklung. Als gemeinnütziger Verein arbeitet die DGRh unabhängig und ohne Verfolgung wirtschaftlicher Ziele zum Nutzen der Allgemeinheit.
Wer gern mehr erfahren möchte, schaut bitte direkt unter Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e. V. - www.dgrh.de
Literatur:
Vastert SJ, Jamilloux Y, Quartier P, et al. Anakinra in children and adults with Still's disease. Rheumatology (Oxford). 2019;58(Supplement_6):vi9–vi22. doi:10.1093/rheumatology/kez350 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6878842/