Hirnstamm-Screening bei Schlaganfall-Patienten
Mit Ultraschall frühzeitig Post-Stroke-Depressionen erkennen
Depressionen gehören zu den häufigsten Komplikationen eines Schlaganfalls.
Bisher konnte man nicht sicher voraussagen, welche Patientinnen oder Patienten eine sogenannte Post-Stroke-Depression entwickeln werden.
Jetzt gibt es jedoch Hinweise darauf, dass es dafür einen Risikofaktor geben könnte, den man per Ultraschall ermitteln kann.
Aktuelle sonografische Untersuchungen der ersten hierzu geführten prospektiven Studie „PROMoSD“ zeigen bei einigen Schlaganfallpatientinnen und -patienten Veränderungen am Hirnstamm, die mit einer deutlichen Erhöhung des Post-Stroke-Depressionsrisiko einhergehen.
Die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) begrüßt diese vielversprechenden Erkenntnisse. Im Rahmen eines Hirnstamm-Screenings könnten Risikopatienten in Zukunft frühzeitig erkannt und behandelt werden. Das schonende Verfahren ist leicht durchzuführen, flächendeckend verfügbar und kostengünstig.
Neueste Ultraschall-Untersuchungen zeigen, dass bei etwa jeder/m vierten Schlaganfall-Patientin und -Patienten die sogenannten mesenzephale Raphe-Kerne des Gehirns strukturell verändert sind.
„In dieser Region des Hirnstamms zeigen sich auch bei Menschen mit einer unipolaren Depression Anomalien“, weiß Professor Dr. med. Christos Krogias, Leiter der DEGUM-Sektion Neurologie und Chefarzt der Klinik für Neurologie am Evangelischen Krankenhaus Herne. „Damit haben wir einen evidenten Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen der Hirnstamm-Veränderung und der Entwicklung einer Post-Stroke-Depression.“
Diese Erkenntnis könnte wegweisend für die Prävention von Depressionen bei Schlaganfall-Betroffenen sein.
Auf der European Stroke Organisation Conference in München im Mai 2023 haben er und sein Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum erste Ergebnisse ihrer, zu diesem Thema weltweit ersten prospektiven Studie PROMoSD vorgestellt.1 Dabei spielt der transkranielle Ultraschall am Hirnstamm eine entscheidende Rolle.
Raphe-Kerne des Hirnstamms als potenzieller Biomarker für Depression
Bei fast 70 Prozent aller untersuchten Menschen mit Depressionen zeigt sich, dass die Raphe-Kerne im Hirnstamm Veränderungen aufweisen.2
Auch bei Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Huntington oder Morbus Parkinson mit diagnostizierter Depression wurde diese anatomische Auffälligkeit inzwischen nachgewiesen.3
Die Beobachtungen legen nahe, dass es eine physiogenetische Veranlagung für Depressionen in diesem Areal zu geben scheint.
Der transkranielle Ultraschall (TCS), eine recht neue Neuroimaging-Methode, hat diese Erkenntnisse möglich gemacht. „Moderne TCS-Geräte können die Gehirnstruktur inzwischen teilweise hochauflösender darstellen als ein MRT“, erklärt Krogias. „So zeigen beispielsweise die Raphe-Kerne bei vielen Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen und Depressionen eine geringere Echogenität – also weniger Schallwellenreflexion – als bei gesunden Menschen, was auf eine Strukturveränderung hinweist“, führt Krogias aus.
„Für PROMoSD haben wir bewusst diese Methodik gewählt. Sie ermöglicht uns, Veränderungen der Raphe-Region sichtbar zu machen. Dadurch können wir Rückschlüsse auf die Entwicklung einer Depression nach einem Schlaganfall ziehen.“
Die Studie könnte dazu beitragen, eine Post-Stroke-Depression künftig besser vorherzusagen. Ein wichtiges Forschungsgebiet, denn: jeder Dritte leidet nach einem Schlaganfall unter Depressionen, was diese zur häufigsten nicht-motorischen Komplikation macht.
Nach Schlaganfall Gefäße und Hirnstamm screenen
„Unsere Studie gibt einen klaren Hinweis darauf, dass Veränderungen der Raphe-Kerne einen eigenständigen Risikofaktor für eine Post-Stroke-Depression darstellen. So zeigen unsere vorläufigen Ergebnisse, dass das Vorhandensein dieser Veränderungen die Chancen auf eine Post-Stroke-Depression um das 6-fache erhöht“, so Dr. med. Daniel Richter, Erstautor der PROMoSD-Studie. „Bestätigen sich die bisherigen Ergebnisse nach Studienabschluss, wäre eine standardisierte Ultraschalluntersuchung des Hirnstamms nach einem Schlaganfall absolut empfehlenswert, um Risikopatientinnen und -patienten frühzeitig zu identifizieren.“
Der Neurologe weist darauf hin, dass dies eine schnell durchführbare Ergänzung zum bisher üblichen Gefäß-Screening per Ultraschall wäre. Sei eine Hirnstamm-Anomalie gegeben, könnten Betroffene gezielter präventiv betreut werden. Engmaschige Kontrolluntersuchungen und gegebenenfalls eine medikamentös oder psychotherapeutisch Behandlung könnten die Depression abmildern oder gar verhindern. Das würde die Lebensqualität und -erwartung der Patientinnen und Patienten deutlich verbessern.
„TCS wird künftig noch eine größere Rolle in der psychiatrischen und neurologischen Diagnostik spielen“, prophezeit Krogias. Die bisherige Studienlage sei vielversprechend – auch was psychiatrische Erkrankungen wie unipolare und reaktive Depression betreffe. „Ein großer Vorteil ist, dass TCS schnell verfügbar, kostengünstig und ohne Nebenwirkungen durchführbar ist.“ Zur Anwendung reiche bereits eine DEGUM Stufe I-Zertifizierung, bei der die Hirnstamm-Sonografie im Curriculum gelehrt wird.
Informationen zur PROMoSD-Studie:
Die PROMoSD-Studie wurde in Kooperation der von Professor Dr. Ralf Gold geleiteten neurologischen Universitätsklinik im St.-Josef-Hospital Bochum und des von Professor Dr. Georg Juckel geleiteten psychiatrischen LWL-Universitätsklinikums Bochum durchgeführt und von der medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum gefördert.
Literatur:
1) Richter, D., Ebert, A., Mazul-Wach, L. et al. Prognostic markers of post-stroke depression (PROMoSD): study protocol of a prospective single-center observational study on raphe hypoechogenicity as a predictor of post-stroke depression. Neurol. Res. Pract. 4, 59 (2022). doi.org/10.1186/s42466-022-00225-5
2) Milija D. Mijajlovic, Transcranial Sonography In Depression, doi.org/10.1016/S0074-7742(10)90018-4
3) Krogias C., Transcranial Sonography Findings in Depression in Association With Psychiatric and Neurologic Diseases: A Review, J Neuroimaging 2016;26:257-263. DOI: 10.1111/jon.12328