Stammzelltransplantation: Chance bei sekundär-progressiver MS

Wie gut wirkt autologe hämatopoietische Stammzelltransplantation (AHSCT) bei sekundär-progressiver Multipler Sklerose (SPMS)?

Italienische Wissenschaftler analysierten den Effekt von autologer hämatopoietischer Stammzelltransplantation (AHSCT) mit anderen antiinflammatorischen, krankheitsmodifizierenden Therapien bei der aktiven sekundär-progressiven Multiplen Sklerose (SPMS) anhand der langfristigen Entwicklung des MS-bedingten Behinderungsgrads (EDSS).

Nach AHSCT besserte sich der EDSS bei jedem 3. Patienten, während die langfristige Tendenz mit der üblichen Therapie eine allmähliche Verschlechterung des Behinderungsgrads aufwies.

Bisher liegt zur autologen hämatopoietischen (blutbildenden) Stammzelltransplantation (englisch abgekürzt AHSCT) nur unkontrollierte Evidenz vor, dass diese bei Patienten mit aktiver sekundär-progressiver Multipler Sklerose (SPMS) effektiv sein kann.

Die vorliegende Studie verglich nun den Effekt von AHSCT mit anderen antiinflammatorischen, krankheitsmodifizierenden Therapien und analysierte dies anhand der langfristigen Entwicklung des MS-bedingten Behinderungsgrads bei aktiver SPMS.
AHSCT: Eigene Stammzellen zum Neustart des Immunsystems

Bei einer AHSCT erfolgt eine Transplantation eigener Stammzellen aus Knochenmark oder Blut. Stammzellen können sich in jede andere Körperzelle verwandeln und so, je nachdem in welchem Organ sie sich befinden, unterschiedlichste Funktionen übernehmen.

Die eigenen Zellen können also im Körper die Herstellung von Blutzellen und somit der Zellen des Immunsystems übernehmen. Bei Autoimmunerkrankungen wie der MS haben Immunzellen im Laufe des Lebens eine Fehleinschätzung erlernt: Sie erkennen körpereigene Substanzen wie die Nervenzell-schützende Myelinschicht als feindlich an und greifen sie an. Dieser erlernte Fehler im System besteht bei nach der Stammzelltransplantation gebildeten neuen Zellen jedoch nicht.

Jedoch muss vor der Stammzelltransplantation eine Vorbehandlung, die sogenannte Konditionierung, erfolgen, mit der die alten Stammzellen und das Immunsystem typischerweise zerstört oder mindestens stark geschwächt werden.

Die Autoren der Studie analysierten Daten einer italienischen Knochenmarks-Transplantations-Studiengruppe sowie des italienischen MS-Registers. Patienten mit Behandlungsbeginn nach SPMS-Diagnose wurden berücksichtigt. Die Entwicklungen des Behinderungsgrads (Expanded Disability Status Scale, EDSS) wurden über 6 Monate erfasst. Sekundär wurden auch die längerfristige EDSS-Entwicklung sowie die Prävalenz von Verbesserungen im Behinderungsgrad betrachtet.

Analyse von Behinderungsgrad nach AHSCT vs. Standardtherapie

Insgesamt wurden 79 Patienten mit Stammzelltransplantation und 1 975 mit krankheitsmodifizierenden Medikamenten behandelte Patienten mit anderweitig ähnlichen Parametern (z. B. Alter und Geschlecht) verglichen. In der Kontrollpopulation eingesetzte Wirkstoffe umfassten Beta-Interferone, Azathioprin, Glatirameracetat, Mitoxantron, Fingolimod, Natalizumab, Methotrexat, Teriflunomid, Cyclophosphamid, Dimethylfumarat und Alemtuzumab.

Die Zeit bis zur ersten bestätigten Verschlechterung der MS-bedingten Behinderung war bei transplantierten Patienten signifikant länger als in der Kontrollgruppe (Hazard Ratio, HR: 0,50; 95 % Konfidenzintervall, KI: 0,31 – 0,81; p = 0,005). Nach der Stammzelltransplantation trat bei 61,7 % der Patienten keine Verschlechterung des Behinderungsgrads innerhalb von 5 Jahren auf.

Die Entwicklung des EDSS über 10 Jahre zeigte bei Patienten mit krankheitsmodifizierenden Medikamenten einen Anstieg an (+0,157 EDSS-Punkte pro Jahr), während bei Patienten nach Stammzelltransplantation der Wert tendenziell abnahm (-0,013 EDSS-Punkte pro Jahr; Interaktion: p < 0,001).

Nach Stammzelltransplantation wurde eine anhaltende Verbesserung des Behinderungsgrads (niedrigerer EDSS als vor Behandlungsbeginn) 3 Jahre nach der Prozedur bei 34,7 % der Patienten dokumentiert. Bei Patienten mit anderen Behandlungen trat eine solch anhaltende Besserung nur bei 4,6 % der Patienten ein (p < 0,001).

Bei jedem 3. SPMS-Patienten verbesserter EDSS 3 Jahre nach AHSCT

Bei aktiver sekundär-progressiver MS ist demnach der Einsatz einer AHSCT mit verlangsamter Behinderungsgrad-Progression assoziiert und geht mit einer höheren Chance für Verbesserungen im Behinderungsgrad im Vergleich zu anderen krankheitsmodifizierenden Therapien einher.

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Original Titel:
Hematopoietic Stem Cell Transplantation in People With Active Secondary Progressive Multiple Sclerosis

Quelle:
Boffa G, Signori A, Massacesi L, Mariottini A, Sbragia E, Cottone S, Amato MP, Gasperini C, Moiola L, Meletti S, Repice AM, Morra VB, Salemi G, Patti F, Filippi M, De Luca G, Lus G, Zaffaroni M, Sola P, Conte A, Nistri R, Aguglia U, Granella F, Galgani S, Caniatti LM, Lugaresi A, Romano S, Iaffaldano P, Cocco E, Saccardi R, Angelucci E, Trojano M, Mancardi GL, Sormani MP, Inglese M; Italian BMT-MS Study Group, Italian MS Register. Hematopoietic Stem Cell Transplantation in People With Active Secondary Progressive Multiple Sclerosis. Neurology. 2022 Dec 21:10.1212/WNL.0000000000206750. doi: 10.1212/WNL.0000000000206750. Epub ahead of print. PMID: 36543569.