Intensivstationen: wie Mangelernährung erkannt werden kann
Positionspapier empfiehlt Techniken für ein aussagekräftiges Screening
Viele Patientinnen und Patienten haben bereits bei Aufnahme auf der Intensivstation eine Mangelernährung, weitere entwickeln diese während ihres Aufenthalts im Krankenhaus.
Wie Studien zeigen, hat der Ernährungsstatus dabei sowohl prognostische als auch therapeutische Relevanz.
Doch wer gilt als mangelernährt beziehungsweise wer ist ausreichend mit Nährstoffen versorgt?
In einem aktuellen Positionspapier zeigen Intensiv- sowie Ernährungsmedizinerinnen und -mediziner der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) apparative Untersuchungsmöglichkeiten auf, mit denen sich Risikopatienten auf der Intensiv- oder sogenannten Intermediate Care Station identifizieren lassen.
Das Positionspapier bildet eine wichtige Ergänzung der Leitlinie „Klinische Ernährung in der Intensivmedizin“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM). Die meisten der Autorinnen und Autoren sind auch Mitglieder der DGEM.
Laut der Fachgesellschaft unterstreicht das Positionspapier erneut die Notwendigkeit einer systematischen Erfassung und Verlaufsbeurteilung des Ernährungsstatus.
Die westlichen Gesellschaften sind insgesamt eher überernährt, das Risiko einer Mangelernährung wird daher oft unterschätzt.
In Studien zeigt sich jedoch deutlich, wie wichtig ein guter Ernährungszustand für die Genesung sein kann. So haben kritisch kranke Patienten ein rund doppelt so hohes Sterberisiko, wenn sie bei Aufnahme auf der Intensivstation mangelernährt sind.
„Eine Mangelernährung kann sich dabei nicht nur als Untergewicht bemerkbar machen, sondern auch als ungewollte, krankheitsbedingte Gewichtsabnahme, als Verlust von Muskelmasse oder als verminderte Energie- oder Proteinaufnahme“, sagt Professor Dr. med. Arved Weimann von der Abteilung für Allgemein-, Viszeral- und Onkologische Chirurgie am Leipziger Klinikum St. Georg, der das DIVI-Positionspapier als DGEM-Experte federführend mitverfasst hat.
Auch ein erhöhter Energie- und Proteinverbrauch sowie der Verbrauch von Vitaminen und Spurenelementen – etwa bei akuten schweren Entzündungen, Verbrennungen oder Verletzungen – kann zu einem Zustand der Mangelernährung führen.
Gerade bei Intensivpatienten ist der Ernährungsstatus jedoch oftmals nicht leicht zu erfassen.
Nicht jeder Patient ist mobil genug, um ihn auf eine Waage zu stellen oder zu setzen, Bettwaagen stehen oft nicht zur Verfügung.
Weil viele Betroffene zudem nicht ansprechbar sind, lassen sich auch die Ernährungsgewohnheiten oder die Gewichtsentwicklung der vergangenen Wochen nicht immer abfragen.
„Oft stehen zunächst – und zurecht – auch akut lebenserhaltende Maßnahmen im Vordergrund der Behandlung“, sagt Professor Dr. med. Gunnar Elke von der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, der gemeinsam mit Weimann als korrespondierender Autor des Positionspapiers firmiert.
Dennoch sollte ein erstes Ernährungsscreening so bald wie möglich erfolgen, indem beispielsweise auch Begleitpersonen zur Ernährungs- und Gewichtsentwicklung der Erkrankten befragt werden.
Die Verfügbarkeit einer Stuhl- oder Bettwaage bezeichnen die Autorinnen und Autoren des Positionspapiers als obligat – schließlich sei die Bestimmung des aktuellen Körpergewichts auch für andere therapeutische Maßnahmen, etwa die Medikamentendosierung, wichtig.
Allein der Body-Mass-Index (BMI) führe jedoch leicht zu Fehlschlüssen in Bezug auf den Ernährungsstatus, da Flüssigkeitseinlagerungen im Gewebe gerade bei Intensivpatienten häufig sind und einen Mangel maskieren können.
Die Autoren empfehlen daher flankierende Untersuchungen, etwa die Messung von Unterhautfettgewebe, Ödemen, Muskelmasse und Muskelkraft.
„Die Muskelmasse lässt sich auch an immobilen Patienten leicht und kostengünstig per Ultraschall am Oberschenkel messen“, sagt Weimann.
Für den Fall, dass ohnehin eine Computertomographie angefertigt werde, solle dabei auch die Muskulatur im Bauchbereich miterfasst und vermessen werden. Darüber hinaus werde auch eine Messung der Handkraft mithilfe eines Dynamometers empfohlen.
Wenn sich bei diesen Untersuchungen ein erhöhtes Ernährungsrisiko abzeichnet, sollten die Patienten gezielt ernährungsmedizinisch betreut werden.
„Eine aggressive Kalorienzufuhr wird dabei nicht mehr empfohlen, vielmehr wird die Nährstoffzufuhr an die individuelle Toleranz von Verdauungsapparat und Stoffwechsel angepasst, genau überwacht und nur langsam gesteigert“, betont Professor Dr. oec. troph. Dr. med. Anja Bosy-Westphal, Leiterin der Abteilung Humanernährung an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel und Präsidentin der DGEM.
Um die weitere Entwicklung zu bewerten, solle mindestens zweimal pro Woche das Körpergewicht und mindestens einmal pro Woche die Körperzusammensetzung – mithilfe von Ultraschall oder Bioimpedanzanalyse – sowie die Handkraft gemessen werden.
Dieselben Maßnahmen sollten präventiv auch bei Patienten ohne auffälligen Ernährungsstatus ergriffen werden, falls zu erwarten ist, dass sie länger als sieben Tage auf der Intensivstation bleiben. „Denn allein dadurch ist das Ernährungsrisiko bereits deutlich erhöht“, so Bosy-Westphal.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V. (DGEM)
ist die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Ernährungsmedizin in Deutschland. Sie ist eine multidisziplinäre Vereinigung aller Berufsgruppen, die sich mit Ernährungsmedizin befassen – überwiegend Ärzte sowie Ernährungs- und Pflegefachkräfte und Apotheker.
Die Gesellschaft vereint mehr als 3 000 Ärzte, Experten und Wissenschaftler, die ernährungsmedizinisch forschen, lehren, behandeln und beraten.
Die DGEM fördert Wissenschaft, Praxis und Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Ernährungsmedizin und Stoffwechselforschung.
Regelmäßig veranstaltet sie Fortbildungskurse und Kongresse, um Kenntnisse und Erfahrungen nutzbar zu machen und den interdisziplinären Austausch zu anderen in- und ausländischen Institutionen, die auf diesem Gebiet arbeiten, aufzunehmen und zu vertiefen.
Sie schreibt Stipendien und Forschungsgelder für die Grundlagenforschung und die klinisch angewandte Forschung aus.
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