Neues Versorgungskonzept beim Diabetischen Fußsyndrom
DDG empfiehlt Zweitmeinung per Telemedizin
Jeder vierte Diabetespatient bekommt im Laufe seines Lebens ein Diabetisches Fußsyndrom (DFS). Häufig werden Anzeichen der Erkrankung zu spät erkannt – dann bleibt Betroffenen unter Umständen nur die Entscheidung zur Amputation.
Um Symptome rechtzeitig zu diagnostizieren und die richtige Behandlung einzuleiten, empfiehlt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) eine Beratung mit DFS-Experten – auch per Telemedizin. Durch diese Videosprechstunden können behandelnde Ärzte eine Zweitmeinung einholen und so möglicherweise den Verlust der Extremität oder des Fußes vermeiden.
Bei vielen Patientinnen und Patienten ist der Auslöser für ein DFS eine zunächst harmlose Fußverletzung. Da das Immunsystem bei Diabetespatienten bereits geschwächt ist, können sich kleine Verletzungen oder Druckstellen jedoch schnell zu großflächigen Wunden entwickeln, die das Gewebe zerstören.
„Meist werden diese Verletzungen zu spät erkannt und unzureichend behandelt“, sagt DDG Vorstandsmitglied Professor Dr. med. Ralf Lobmann. Bei schätzungsweise 40.000 Patienten mit Diabetes mellitus ist dann eine Amputation des Fußes oder sogar Unter- oder Oberschenkels unausweichlich. So koste das DFS das Gesundheitssystem jährlich rund 2,4 Milliarden Euro.
Ein Lösungsansatz zur Reduktion von großen Beinamputationen könne eine telemedizinische Vernetzung von Hausärzten mit den Experten der Arbeitsgruppe Diabetischer Fuß der DDG sein, schlägt Lobmann vor.
„Um langfristig die Prognose von Diabetespatienten mit diabetischen Fußläsionen zu verbessern, bedarf es einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit Spezialisten“, erläutert der Leiter der AG Diabetischer Fuß der DDG. „Die Heilungschancen steigen, wenn zwischen dem Auftreten erster Symptome, der Vorstellung beim Arzt, der Diagnose und schließlich der Behandlung durch einen Spezialisten möglichst wenig Zeit vergeht.“
An dieser Stelle setzt ein neues Konzept der DDG an:
Die Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß und der Bund der Internisten (BDI) haben gemeinsam ein telemedizinisch basiertes Facharztkonsil für den diabetischen Fuß entwickelt. Mithilfe dessen sollen Risikopatienten rechtzeitig identifiziert, der Heilungsverlauf verbessert und verkürzt und Amputationen vermieden werden.
„Außerdem überbrückt die Telemedizin Überweisungszeiten oder räumliche Distanzen und bietet so die Möglichkeit, betroffene Patienten möglichst schnell in ein Behandlungsnetzwerk aufzunehmen“, erklärt Lobmann. Auf diesem Wege würde eine adäquate ambulante Therapie oder eine rasche stationäre Behandlung gesichert.
Derzeit laufen Gespräche mit verschiedenen Kostenträgern an, damit dieses Konzept möglichst schnell in die Praxis überführt werden kann. „Wir hoffen, dass bald positive Entscheidungen getroffen werden, sodass DFS-Patienten schnellstmöglich davon profitieren“, ergänzt DDG Geschäftsführerin Barbara Bitzer.
Ein zweites Projekt zur telemedizinischen Zweitmeinung wird derzeit in Baden-Württemberg durchgeführt und durch das Landesministerium für Soziales und Integration unterstützt und gefördert.
„Über ein Evaluierungssystem lädt der behandelnde Arzt die Daten hoch und ein Experte bewertet diese innerhalb von 36 Stunden. Es sieht vor, dass zeitnah durch einen Experten die Notwendigkeit einer Amputation bestätigt oder eine Alternative aufgezeigt werden kann“, erklärt Lobmann. „Außerdem erhöht es die Entscheidungssicherheit des behandelnden Arztes sowie des Patienten und dessen Angehörigen“.
Als Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik 3, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie des Klinikums Stuttgart verantwortet Lobmann dieses Landes-Projekt mit.
Für DDG-Präsidentin Professor Dr. med. Monika Kellerer bietet die Telemedizin darüber hinaus ein großes Potential, um die Unterversorgung von Diabetespatienten im ländlichen Raum auszugleichen: „Aktuell greift die Versorgung besonders gut in Ballungsräumen, wohingegen es auf dem Land nur wenige Diabetologinnen und Diabetologen gibt. Die Telemedizin könnte diese Distanz überbrücken und Versorgungsunterschiede ausgleichen.“
Durch die schnelle und einfache Möglichkeit, per Telemedizin eine zweite Meinung einzuholen, könnten die behandelnden Ärzte weitere Experten aus anderen Regionen zu Rate ziehen und Vermutungen bestätigen. „Auch die Kommunikation zwischen den Ärztinnen und Ärzten wird in diesem Prozess befördert und trägt zu einer anregenden Kultur des Austauschs bei“, befürwortet Kellerer.
Die DDG empfiehlt Menschen mit Diabetes, prinzipiell auf gutsitzendes Schuhwerk zu achten. „Bereits kleine Steine im Schuh können Druckstellen verursachen und unbemerkt die Haut schädigen“, betont DDG Mediensprecher Professor Dr. med Baptist Gallwitz.
„Und jetzt bei warmen Temperaturen sollten Menschen mit Diabetes nicht barfuß gehen und die Füße vor einem Sonnenbrand schützen.“ Auch eine medizinische Fußpflege, die Podologen anbieten, sei zur Vorbeugung eines DFS sinnvoll.
Allgemein gilt für Diabetespatienten:
Wer eine Fußverletzung bemerkt, sollte möglichst rasch seinen behandelnden Arzt aufsuchen.
Über die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) ist mit mehr als 9.000 Mitgliedern eine der großen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland. Sie unterstützt Wissenschaft und Forschung, engagiert sich in Fort- und Weiterbildung, zertifiziert Behandlungseinrichtungen und entwickelt Leitlinien. Ziel ist eine wirksamere Prävention und Behandlung der Volkskrankheit Diabetes, von der fast sieben Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Zu diesem Zweck unternimmt sie auch umfangreiche gesundheitspolitische Aktivitäten.
Literatur:
Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2019: https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Stellungnahmen/Gesundheitspolitik/20181114gesundheitsbericht_2019.pdf