Haarausfall! Wenn die Schilddrüse zur Kopfsache wird
Volles und kräftiges Haar gilt in unserer Gesellschaft als ein Symbol für Jugend, Schönheit und Vitalität.
Deshalb ist Haarausfall für viele Betroffene mit einem hohen Leidensdruck inklusive der Sorge um das eigene Erscheinungsbild und vor dauerhaftem Haarverlust verbunden.
Normalerweise durchläuft jedes einzelne der rund 100.000 Kopfhaare mehrfach einen bestimmten Zyklus: Dieser beginnt mit einer Wachstumsphase von bis zu sieben Jahren, gefolgt von einer mehrmonatigen Ruhephase. Am Ende wird das Haar abgeworfen und neu nachgebildet. Dadurch verliert der Mensch jeden Tag bis zu 100 Haare.1
Doch nicht immer läuft dieser Zyklus reibungslos ab.
So können äußere und innere Einflussfaktoren das Haarwachstum stören – die Haare werden in ihrer Wachstumsphase unterbrochen und gehen massenhaft vorzeitig in die Ruhephase über. Nach zwei bis vier Monaten macht sich diese Störung des Wachstumszyklus durch verstärkten Haarausfall am ganzen Kopf bemerkbar.
Die Medizin nennt dies auch diffuses Effluvium. Im Gegensatz zum erblich bedingten Haarausfall, der bei beiden Geschlechtern schleichend vorkommt, betrifft der schnelle diffuse Haarausfall besonders Frauen und kann viele Ursachen haben. Teils liegen diese schon mehrere Monate oder noch länger zurück.
Dr. med. Andreas Finner, Facharzt für Dermatologie, spezialisierter Haarchirurg und Leiter der Trichomed®-Praxis für Haarmedizin und Haartransplantation in Berlin, sagt dazu: "“Um die Ursache für den Haarausfall zu finden und eine zielgerichtete Behandlung einleiten zu können, ist eine genaue Diagnostik unabdinglich. Denn neben genetisch bedingten Faktoren gehören unter anderem Störungen im Hormonhaushalt, Medikamente, aber auch Schlafmangel, eine einseitige Ernährung oder vermehrter Stress zu den Faktoren, die das Haarwachstum beeinträchtigen können.”
Somit hat auch die Schilddrüse mit ihren Hormonen einen unmittelbaren Einfluss auf das Haarwachstum. Die Schilddrüsenhormone wirken sich beispielsweise auf das Wachstum der Haarfollikelzellen sowie die Bildung von Keratin, dem Hauptbestandteil der Haare, aus.
Univ.-Prof. Dr. med. Joachim Feldkamp, Direktor der Universitätsklinik für Endokrinologie und Diabetologie, Allgemeine Innere Medizin, Infektiologie am Klinikum Bielefeld und Sprecher des Forum Schilddrüse: “Daher kann es sowohl bei einer Schilddrüsenunterfunktion, der sogenannten Hypothyreose, als auch bei einer Überfunktion, der Hyperthyreose, zu vermehrtem Haarausfall kommen. Wird die zugrundeliegende Schilddrüsenerkrankung erkannt, kann diese erfolgreich behandeln werden, wonach sich in aller Regel auch das Haarwachstum nach einiger Zeit wieder normalisiert.“
Der Gang zum Arzt kann somit der erste Schritt hin zu einer erfolgreichen Behandlung des Haarausfalls sein.
Schilddrüsenerkrankungen und Haarausfall
Diffuser Haarausfall kann also ein Zeichen für eine Störung der Schilddrüsenfunktion sein. Darüber hinaus sind typische Veränderungen der Haare möglich: Zum Beispiel führt das bei der Unterfunktion gestörte Haarwachstum zu brüchigem und sprödem Haar.
Dr. med. Andreas Finner: “Die Haare lassen sich außerdem schlechter frisieren. Langfristig macht sich der diffuse Haarausfall bemerkbar. Die Patientinnen und Patienten mit einer Schilddrüsenunterfunktion klagen auch oft über Symptome wie vermehrtes Frieren, Müdigkeit, depressive Verstimmungen, Verstopfung oder Gewichtszunahme.“
Bei einer ausgeprägten Unterfunktion kann zudem ein meist seitlich betonter Ausfall der Augenbrauen auftreten. Dünner werdendes und diffus ausfallendes Haar deutet hingegen auf eine Schilddrüsenüberfunktion hin, bei der das Haarwachstum teils unterbrochen ist. Vermehrtes Schwitzen, Nervosität, Herzrasen, Durchfall und Gewichtsverlust zählen zu den weiteren Symptomen einer Überfunktion.
Univ.-Prof. Dr. med. Joachim Feldkamp: “Starke Überfunktionen treten meist bei einem Morbus Basedow auf. Diese Autoimmunerkrankung führt zu einer vermehrten Produktion von Schilddrüsenhormonen. Auch zu Beginn einer Hashimoto-Thyreoiditis, ebenfalls eine autoimmune Schilddrüsenerkrankung, kann es vorübergehend zur Überfunktion und zeitverzögert zu diffusem Haarverlust kommen. Generell leiden Frauen etwa zehnmal häufiger an einer Hashimoto-Thyreoiditis und sechsmal häufiger an einem Morbus Basedow als Männer. ”
Die sogenannten „heißen“ Schilddrüsenknoten (Autonome Adenome) können ebenfalls eine Überfunktion mit Haarausfall verursachen. Die Funktionsstörung entwickelt sich hier eher langsam und betrifft insbesondere ältere Menschen. Ein geringer Teil der Patientinnen und Patienten mit Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse ist auch von kreisrundem Haarausfall (Alopezia areata) betroffen. Die Behandlung der damit verbundenen Schilddrüsenfunktionsstörung kann den kreisrunden Haarausfall allerdings nicht heilen. Hier ist die fachkundige Betreuung durch eine Hautärztin oder einen Hautarzt gefragt.
Frühzeitig erkennen und zielgerichtet behandeln
Je früher der Haarausfall und dessen Ursache erkannt werden, umso zielgerichteter lässt er sich behandeln. Dies kann im Idealfall auch dem Verlust weiterer Haare vorbeugen. Denn mitunter dauert es Jahre, bis die Haare in Länge und Volumen wieder nachgewachsen sind.
Dr. med. Andreas Finner: “Wer einen länger als sechs Wochen anhaltenden Haarausfall mit vielen leicht herausziehbaren Haaren beim Waschen und Kämmen oder sichtbare Lücken bemerkt, sollte sich frühzeitig zur weiteren Diagnostik in die hausärztliche Praxis begeben. Im Anschluss können bei einer dermatologischen Haarsprechstunde das weitere Vorgehen und die Therapiemöglichkeiten besprochen werden. Es ist auf jeden Fall nicht sinnvoll, monatelang diverse Haarwuchsmittel oder Ähnliches ohne klare Diagnose auszuprobieren. So geht nur wertvolle Zeit verloren.“
Auch bei den anderen Typen des Haarausfalls ist eine rechtzeitige Behandlung wichtig, um eine weitere Ausdünnung und kahle Stellen zu verhindern. Die Therapiemöglichkeiten reichen von der leitliniengemäßen Behandlung mit Medikamenten bis hin zur fachärztlichen Haartransplantation. Steht eine Schilddrüsenerkrankung als Ursache für den diffusen Haarausfall fest, rückt deren Behandlung in den Fokus.
Univ.-Prof. Dr. med. Joachim Feldkamp: “Die Behandlung des Morbus Basedow erfolgt zunächst mit Schilddrüsenhemmern, sogenannten Thyreostatika. Kommt es nach ein bis zwei Jahren zu keiner Heilung, wird eine Radiojodtherapie oder operative Entfernung der Schilddrüse in Betracht gezogen. Beide Therapieformen schalten die Schilddrüsenfunktion vollständig aus, was eine lebenslange Einnahme des Schilddrüsenhormons L-Thyroxin erforderlich macht. Die anfängliche Überfunktion bei der Hashimoto-Thyreoiditis wird nur symptomatisch für einige Wochen mit Betablockern behandelt. Langfristig entwickeln die meisten Patientinnen und Patienten eine behandlungsbedürftige Schilddrüsenunterfunktion.”
Auch bei autonomen Funktionsstörungen aufgrund heißer Schilddrüsenknoten kommen zu Beginn Schilddrüsenhemmer zum Einsatz, wobei sich jedoch in den meisten Fällen schnell eine Radiojodtherapie, Operation oder als neue Therapieform eine sogenannte Thermoablation oder Radiofrequenzablation anschließt.
Bei der Radiojodtherapie wird mithilfe leicht radioaktiven Jods gezielt der überaktive Schilddrüsenknoten zerstört. Die Thermo- oder Radiofrequenzablation setzt dafür auf eine Hitzeentwicklung an dem Gewebe mittels hoch fokussierten Ultraschalls oder Hochfrequenzstrom. Schilddrüsenunterfunktionen werden in der Regel durch die Gabe von Schilddrüsenhormonen (z. B. L-Thyroxin) behandelt.
Univ.-Prof. Dr. med. Joachim Feldkamp: “Die gute Nachricht ist, dass die Haare, die durch eine Schilddrüsenfunktionsstörung ausfallen, durch die Behandlung wieder nachwachsen. Bei einer Unterfunktion kann dies einige Monate dauern, wohingegen es bei der Überfunktion meist schneller zu normalen Schilddrüsenwerten und somit zu einem normalen Haarwachstum kommt.“
Gut zu wissen: Das Forum Schilddrüse von Sanofi
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Referenzen:
1. Wolff H, Fischer TW, Blume-Peytavi U: The diagnosis and treatment of hair and scalp disease. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 377-86. DOI: 10.3238/artbl.2016.0377
2. Kanti V, Messenger A, Dobos G, Reygagne P, Finner A, Blumeyer A, Trakatelli M, Tosti A, Del Marmol V, Piraccini BM, Nast A, Blume-Peytavi U. Evidence-based (S3) guideline for the treatment of androgenetic alopecia in women and in men - short version. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2018 Jan;32(1):11-22. doi: 10.1111/jdv.14624
3. Jameson JL, Mandel SJ, Weetman AP: Erkrankungen der Schilddrüse. In Kasper DL et al. HARRISONS Innere Medizin. 19. Auflage., Band. 3, 2016, ABW Wissenschaftsverlag Berlin
4. Feldkamp J.: Gut leben mit Hashimoto. 1. Auflage, 2018, TRIAS Verlag, Stuttgart