Das Phänomen „taharrush gamea“ in Deutschland

Sexuelle Übergriffe durch Männergruppen

„Taharrush gamea“ ist anglifiziertes arabisch und bedeutet in etwa „kollektive Belästigung“. In der Realität verbirgt sich dahinter die gemeinschaftlich begangene sexuelle Belästigung von Frauen.

In Deutschland ist das Phänomen erstmals in Form der sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht bekannt geworden. Das Bundeskriminalamt (BKA) kennt derartige Gruppengewalt jedoch bereits aus einigen arabischen Ländern. Um gegen das Phänomen in Deutschland vorzugehen, sind sowohl präventive als auch repressive Maßnahmen geplant.

Erschreckende Videomittschnitte
Bei „taharrush gamea“ geht es um sexuelle Belästigung von Frauen, die von einer Gruppe Männern ausgeht. War das Phänomen auf deutschen Straßen bislang noch unbekannt, ist es in arabischen Ländern wie Ägypten in der Vergangenheit schon öfter zu derartigen Übergriffen auf Frauen gekommen – vor allem bei großen Menschenansammlungen wie Kundgebungen oder Demonstrationen.

„Die Männer gehen die Frauen an, indem sie sie umkreisen, einzingeln und schließlich belästigen und anfassen“, berichtet BKA-Pressesprecher Markus Koths. „Das kann im schlimmsten Fall bis hin zur Vergewaltigung gehen.“ Zwar sind dem BKA keine genauen Fallzahlen aus dem arabischen Raum bekannt. Jedoch gibt es Videomittschnitte, die beispielsweise zeigen, wie Frauen von einer Gruppe Männern in eine Unterführung abgedrängt und anschließend sexuell belästigt werden.

„Anhand dieser Aufnahmen lässt sich nur erahnen, was die Täter mit den Frauen dort allem Anschein nach machen“, so Koths. „Sich das anzuschauen, ist ziemlich beängstigend und bedrückend.“
Parallelen zum „Antanz-Trick“

Zwar ist „taharrush gamea“ in der Deutlichkeit, wie es in arabischen Ländern schon häufiger passiert ist, erstmals in der Kölner Silvesternacht bekannt geworden. Jedoch gibt es hierzulande schon seit einigen Jahren ein ähnliches Phänomen – das so genannte „Antanzen“.

„Dabei geht es um Personengruppen, die sich tanzend auf ihre Opfer zubewegen und sie durch Körperkontakt einen Augenblick lang ablenken“, erklärt Koths. „Diesen kurzen Moment der Unachtsamkeit nutzen die Täter aus, um ihren Opfern Bargeld oder Wertgegenstände wie Smartphones zu stehlen.“

Bei den der Polizei bekannt gewordenen Tätern handele es sich mehrheitlich um kleine Gruppen nordafrikanischer Männer. „Taharrush gamea“ und das „Antanzen“ seien zwar ähnliche Phänomene, aber mit einer unterschiedlichen Absicht.

„Während es sich bei Taharrush gamea um Sexualdelikte handelt, verfolgen die Täter beim klassischen „Antanzen“ in der Regel keine sexuellen Motive – hierbei handelt es sich um Taschen- und Trickdiebstahl, also um Eigentumskriminalität. Es gibt jedoch auch Mischformen, sprich dass Frauen durch Bedrängungen sexuell belästigt werden und es gleichzeitig zu Diebstählen kommt.“

In Folge der sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof hat es inzwischen über 1.000 Anzeigen sowie einige konkrete Verurteilungen von nordafrikanischen Tätern gegeben. Die Polizei hat außerdem potenzielle Zeugen und Opfer dazu aufgefordert, Bilder, die sie von der Silvesternacht aufgenommen haben, auf einem Polizeiserver zur Verfügung zu stellen. Mittels dieser Handyaufnahmen wurden Anfang März 2016 Öffentlichkeitsfahndungen gestartet.

Markus Koths: „Die Aufgabe des BKA im Zusammenhang mit der Silvesternacht war es zunächst einmal, die Ereignisse schnellstmöglich in einer Lageübersicht zusammenzufassen, um einen Überblick zu bekommen, was sich in ganz Deutschland in der Silvesternacht an sexuellen Übergriffen ereignet hat.“

Dabei habe das BKA festgestellt, dass es in dieser Nacht nicht nur in Köln zu sexuellen Übergriffen gekommen ist. Stattdessen sollen mehrere Bundesländer in sehr unterschiedlichem Ausmaß von dem Phänomen betroffen gewesen sein. In Köln war die Lage mit mehreren hundert Fällen jedoch dramatisch. Das BKA will in absehbarer Zeit im Rahmen einer Bund-Länder-Projektgruppe eine qualifizierte Phänomenanalyse vorlegen.

„Wir werden noch einmal ganz gezielt die Geschehnisse aus der Silvesternacht und die Vorkommnisse in Richtung „taharrush gamea“ im Bundesgebiet beleuchten“, so Koths. „Zur Informationserhebung werden wir auch Daten von Europol einbinden, um zusätzlich einen internationalen Einblick zu bekommen. Daraus wollen wir dann Handlungs- und Bekämpfungserfordernisse für die Polizei ableiten.“

Die Bund-Länder-Projektgruppe plant außerdem, Präventionsmöglichkeiten aufzuzeigen sowie Sicherheitsbehörden dafür zu sensibilisieren, wie die Bekämpfung dieses Phänomens im internationalen Kontext verbessert werden kann.“

Keine organisierte Kriminalität
Vor allem in Bezug auf die Silvesternacht in Köln kam in der Vergangenheit häufig die Frage auf, ob es sich bei „taharrush gamea“ um organisierte Kriminalität handelt. „Soweit würden wir nicht gehen“, meint Markus Koths. Organisierte Kriminalität ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass mehrere Täter über einen längeren Zeitraum, beispielweise auch in gewerblichen oder geschäftsähnlichen Strukturen zusammenarbeiten. Diese Tätergruppen sind in der Regel straff organisiert, hierarchisch strukturiert und agieren sehr abgeschottet.

„Wenn sich Täter – zum Beispiel über soziale Netzwerke – spontan zu sexuellen Übergriffen verabreden und im Vorfeld miteinander kommunizieren, kann man natürlich von einer gewissen Organisation sprechen“, so Koths. „Um organisierte Kriminalität im klassischen Sinn handelt es sich dabei aber nicht.“

Den eigenen Gefühlen trauen
Um nicht zum Opfer von sexuellen Übergriffen in der Öffentlichkeit zu werden, ist es vor allem wichtig, dass betroffene Frauen ihren eigenen Gefühlen trauen. Markus Koths: „Wenn Frauen ein beklemmendes Gefühl dabei haben, wenn sie auf eine Gruppe Männer stoßen oder eine Situation wahrnehmen, von der eine Gefahr ausgehen könnte, sollten sie ihrer Intuition auf jeden Fall vertrauen und vermeiden, in diese Situation hineinzugeraten.“

Dazu müsse man notfalls auch bereit sein, Umwege in Kauf zu nehmen. Außerdem sollte man schauen, ob eventuell Polizeikräfte in der Nähe sind, die man ansprechen kann. Eine weitere Möglichkeit sei, sich einer Gruppe anzuschließen, auf deren Friedfertigkeit man vertrauen könne. Sollte es trotz allem zu einem Übergriff kommen, sei es ganz wichtig, dass man sich wehrt.

„Hierbei dann möglichst mutig und entschlossen vorgehen. Aber auch lautes Schreien ist eine gute Methode, Passanten auf sich aufmerksam zu machen“, meint der BKA-Pressesprecher. Dazu gehöre auch, eine Person in der direkten Umgebung ganz konkret anzusprechen, so dass der- bzw. diejenige sofort weiß, dass nur er/sie gemeint ist.

„Eine direkte Ansprache wie „Sie da drüben mit der Brille und dem blauen Anorak, rufen Sie bitte die Polizei!“ ist verbindlich und erhöht den Druck zu helfen.“ Sollte es vorher keine Möglichkeit geben polizeiliche Hilfe zu holen, sollten Betroffene spätestens nach dem Übergriff den Notruf wählen und die Polizei verständigen.

Darüber hinaus können sich weibliche Opfer von sexuellen Übergriffen auf der Webseite „Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen“ des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben weitere Beratung und Unterstützung einholen.

Quelle:
Polizei Dein Partner - www.polizei-dein-partner.de