Zwangsheirat in Deutschland

Unterstützung für betroffene Mädchen und Frauen

Vor einer Zwangsheirat zu fliehen, ist für die Betroffenen eine schwierige Entscheidung

Sie sind meist zwischen 16 und 21 Jahren alt und in einer verzweifelten Situation – Mädchen und junge Frauen, die von einer Zwangsehe bedroht sind. Auch in Deutschland sind jedes Jahr mehrere tausend Heranwachsende davon betroffen. Hilfe bietet ihnen zum Beispiel das „Niedersächsische Krisentelefon gegen Zwangsheirat“ vom Verein „Kargah e. V.“ in Hannover. Dort melden sich jedes Jahr rund 150 Betroffene. Eine Mitarbeiterin, die aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden möchte, erklärt die schwierige Lage der jungen Frauen und wie sie Unterstützung finden können.

Heiraten im Namen der Ehre
Die Gründe für Familien, ihre Töchter zu einer nicht gewollten Ehe zu zwingen, sind vielfältig. Manche Mädchen sind hier in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ab einem gewissen Punkt bekommen manche Familien dann Angst, die Tochter könnte ihnen entgleiten und sich zu sehr an den Verhaltensweisen westlicher Jugendlicher orientieren wie etwa abends auszugehen oder vorehelichen Sex zu haben. Mit einer erzwungenen Ehe soll das Mädchen unter Kontrolle gehalten, die Verantwortung an den Ehemann abgegeben werden.

In anderen Fällen wird versucht, einem Verwandten aus dem Ausland ein legales Aufenthaltsrecht in Deutschland zu ermöglichen, indem gegen ihren Willen eine Ehe mit der eigenen Tochter arrangiert wird.

Auch wird versucht, Homosexualität mit einer erzwungenen Ehe zu „kaschieren“ – das gilt auch bei Söhnen.

„Die Gründe für Zwangsehen sind immer in einem patriarchalischen Ehrverständnis zu sehen. Da gibt es ganz klare Strukturen und Hierarchien, es geht um Sittsamkeit und Gehorsam. Versucht eine junge Frau, sich aus dieser Situation zu lösen und sich frei und individuell zu entwickeln, kommt es häufig zu psychischer und physischer Gewalt. Über eine Zwangsheirat wird dann versucht, das Verhalten zu regulieren“, erklärt die Expertin.

Entscheidet sich eine junge Frau gegen eine Zwangsehe, entscheidet sie sich gleichzeitig auch gegen ihre Familie. So schlimm der Gedanke an eine erzwungene Ehe für sie auch sein mag – die Frauen haben gleichzeitig das Gefühl, ihre Familie zu verraten und ihr Schande zuzufügen.

„Die jungen Frauen sind hin- und hergerissen. Auf der einen Seite steht ein selbstbestimmtes Leben, auf der anderen Seite müssen sie alle Kontakte zur Familie abbrechen“, beschreibt die Mitarbeiterin die schwierige Situation der Betroffenen.

Dennoch muss manchmal schnell eine Entscheidung getroffen werden. Denn bei manchen Familien sind die Hochzeitsplanungen schon weit vorangeschritten, bevor sie sich an die Beratungsstelle wenden. Und je weiter man mit den Vorbereitungen ist, desto größer ist der Gesichtsverlust der Familie, wenn das Mädchen vor der Hochzeit verschwindet. Andere Mädchen wiederum belauschen zunächst Gespräche der Eltern und bekommen ein ungutes Gefühl.

„Gerade vor den Sommerferien bekommen wir viele Anrufe. Die Mädchen haben Angst, mit den Eltern ins Heimatland in den Urlaub zu fliegen, weil sie vermuten, dass sie dort verheiratet werden sollen. Hier muss dann sofort gehandelt werden.“

Unterstützung für Volljährige schwierig
Grundsätzlich müsse man dann bei der Vorgehensweise zwischen minderjährigen und volljährigen Mädchen und Frauen unterscheiden.

„Wenn uns ein minderjähriges Mädchen bittet, ihr zu helfen, einer Zwangsheirat zu entgehen, dann schalten wir umgehend das Jugendamt ein. Da es sich in solch einem Fall um akute Kindeswohlgefährdung handelt, wird dort auch schnell reagiert und das Mädchen in Obhut genommen“, erklärt die Betreuerin.

Schwieriger gestaltet sich die Situation bei jungen Frauen, die bereits über 18 sind – diese melden sich am häufigsten bei der Beratungsstelle. Da sie volljährig sind, greift der Umstand der Kindeswohlgefährdung nicht. Das Jugendamt verweist sie dann oft an Frauenhäuser oder das Jobcenter.

„Das Problem ist, dass diese Behörden keine pädagogische Begleitung anbieten. Diese ist aber dringend notwendig, da die jungen Frauen oftmals Gewalterfahrungen über einen langen Zeitraum gemacht haben und intensive Unterstützung benötigen“, erklärt die Expertin.

Flucht in anonyme Schutzeinrichtungen
Minderjährige Mädchen werden nach ihrer Flucht aus der Familie in anonymen Krisen- und Schutzeinrichtungen betreut, die geheim und speziell gesichert sind. Acht solcher Zentren gibt es insgesamt in Deutschland. Für bereits volljährige Mädchen werden Krisenplätze zur Verfügung gestellt, wenn sie in einer akuten Notlage sind. Hier zeigt sich jedoch die Zusammenarbeit der einzelnen Bundesländer als schwierig, da diese Plätze zum Teil nur für junge Frauen aus dem eigenen Bundesland vorgesehen sind.

„Nach einer gewissen Zeit muss hier auch die Kostenfrage mit den Jugendämtern geklärt werden. Das ist sehr kompliziert und bürokratisch“, weiß die Mitarbeiterin.

Manche Mädchen können still und heimlich aus der Familie verschwinden – etwa, indem sie nach der Schule nicht nach Hause gehen oder einen Arztbesuch vorgeben, um dann stattdessen in die geschützte Einrichtung zu kommen. Andere müssen wir sogar von der Polizei aus der Familie holen lassen, wenn andere sichere Möglichkeiten nicht gegeben sind.

„Nicht nur für die Familie, sondern auch für die Mädchen ist das eine schlimme Situation, weil sie das Gefühl haben, der Familie damit noch zusätzliche Schande zu bereiten“, weiß die Expertin. Manche Mädchen nähmen nach einer Weile wieder Kontakt zu ihrer Familie auf, andere kehrten nach ihrer Flucht nie wieder zu ihren Familien zurück. „Es gibt auch Fälle, in denen die Frauen sogar das Land verlassen müssen, weil es in Deutschland für sie zu gefährlich ist – weil die Familie nach ihr sucht.“

Mehr Hilfe nötig
Um vor allem den volljährigen jungen Frauen schneller und unbürokratischer helfen zu können, wünscht sich die Expertin bessere gesetzliche Rahmenbedingungen.

„Man muss sich klarmachen, dass diese Frauen zwar nach dem Gesetz erwachsen, aber wenig selbständig sind. Sie wurden zu völliger Unselbstständigkeit erzogen und haben meist nur eine schlechte Schulbildung, was ihre beruflichen Möglichkeiten sehr eingeschränkt. Daher benötigen sie unbedingt Unterstützung.“

Der § 237 Strafgesetzbuch, der seit dem Jahr 2011 Zwangsehen verbietet, sei zwar sowohl für die Familien als auch für die Betroffenen ein wichtiges Signal – aber es müsse auch für genügend Hilfen gesorgt werden.

„Ich würde mir wünschen, dass das Thema Zwangsehe außerdem gesamtgesellschaftlich im Kontext der Selbstbestimmung und Gleichstellung der Geschlechter mehr beachtet und auch in den Schulen besprochen wird. Kinder sollten ihre Rechte kennenlernen und Geschlechterrollen sollten hinterfragt werden“, so die Expertin.

Wer gern mehr erfahren möchte, findet weitere Informationen direkt auf der Homepage www.polizei-dein-partner.de