Gezielter Proteinabbau
Neues Adaptermolekül erweitert therapeutische Möglichkeiten rund um die Müllabfuhr der Zelle
Krankmachende Proteine können durch gezielten Proteinabbau aus der Zelle entfernt werden.
Dazu muss das Protein mit einer von ca. 600 körpereigenen sog. Ubiquitin-Ligasen verbunden werden, klinischen Erfolg hatte man bisher nur mit zwei davon.
Eine Gruppe von Forschenden am CeMM unter der Leitung von Georg Winter hat nun einen Adapter für eine neue Ligase entdeckt, mit der die Palette an medizinischen Anwendungen erheblich erweitert werden könnte.
Darüber hinaus gelang es dem Team, den molekularen Wirkmechanismus dieses Adapters aufzuklären, was zu einer neuen allgemeinen Strategie für den gezielten Proteinabbau führen könnte.
Die Studie wurde in Nature Communications veröffentlich (DOI: 10.1038/s41467-024-49739-3)
Mit einem Medikament ein beliebiges Protein der Zelle angreifen und es in der körpereigenen Entsorgungsstation unschädlich machen – so funktioniert, grob gesagt, der gezielte Proteinabbau.
Das Medikament besteht dabei aus einem kleinen Molekül, das eine Verbindung zwischen dem abzubauenden Protein und einer sogenannten E3-Ligase herstellt, die wiederum den Abbauprozess einleitet. Zwei verschiedene Strategien kamen dabei bisher zum Einsatz:
- Entweder wirkt das kleine Molekül als eine Art Kleber, der die Oberfläche der Ligase oder des Proteins so verändert, dass sie aneinanderbinden.
- Oder es handelt sich um eine Art Adapter, an dessen Enden sich zwei Bindungsstellen befinden, eine für die Ligase und eine für das Protein.
Die Kleber werden in der Fachsprache als „Molecular Glue Degrader“ (MGD) bezeichnet, die Adapter als „Proteolysis Targeting Chimeras“ (PROTACs).
Rund 600 verschiedene E3-Ligasen sind im menschlichen Körper bekannt, doch alle Medikamente für den gezielten Proteinabbau die derzeit klinisch erforscht werden nutzen dieselben zwei E3-Ligasen. Das hat einerseits zur Folge, dass sich – vor allem beim Einsatz der Wirkstoffe gegen Krebserkrankungen – Resistenzen bilden können.
Außerdem werden die beiden verwendeten Ligasen fast überall im Körper produziert, was eine gewebespezifische oder sogar zelltypspezifische Anwendung der Wirkstoffe erschwert. Schließlich können, vermutlich aufgrund ihrer Oberflächenstruktur, auch nicht alle Proteine von diesen beiden Ligasen abgebaut werden.
Ein kleines Molekül mit vielen Vorteilen
Neue Ligasen für den gezielten Proteinabbau zu rekrutieren ist daher eine dringende Notwendigkeit für die Entwicklung neuer Therapien, insbesondere gegen Krebs, und für die biomedizinische Forschung. Dies ist dem Team von Georg Winter am CeMM nun gelungen: In einer in Nature Communications veröffentlichten Studie (DOI: 10.1038/s41467-024-49739-3) haben sie ein Adaptermolekül vorgestellt, das eine neue E3-Ligase namens FBXO22 für den Proteinabbau rekrutiert.
Darüber hinaus gelang es den Forschenden, die Wirkungsweise dieses Moleküls zu entschlüsseln, wobei sich zeigte, dass es zwar ähnlich wie die PROTACs reagiert, jedoch spezielle Eigenschaften aufweist, die zu einer neuen Strategie in der systematischen Entwicklung von Wirkstoffen für den gezielten Proteinabbau führen könnte.
Das SP3N getaufte Molekül besteht aus einem proteinbindenden Teil, dem sogenannten Liganden, und einer daran gebundenen Kohlenstoffkette, an deren Ende eine Stickstoffverbindung (Amin) angebracht ist.
Diese als Alkylamin bezeichnete Kette ist in der Lage, eine neue E3-Ligase zu rekrutieren, da es im Körper in ein Aldehyd umgewandelt wird, das sich chemisch an die E3 Ligase FBXO22 binden kann.
„Im Vergleich zu klassischen PROTACs ist diese neue Klasse an Wirkstoffen deutlich kleiner, was Vorteile in der weiterführenden Entwicklung mit sich bringen wird“, sagt Studienleiter Georg Winter.
„Weiters werden die E3 Ligase FBXO22, aber auch die Enzyme, die es verstoffwechseln, in verschiedenen Tumorarten in großer Menge produziert. Dies eröffnet neue Wege, um den zielgerichteten Proteinabbau spezifisch auf Tumorzellen lenken zu können“, ergänzt Erstautorin Chrysanthi Kagiou.
Durch diese Vorteile erhoffen sich die Forscher einerseits die Effektivität dieser Therapieform erhöhen zu können, und gleichzeitig auch potentielle Nebenwirkungen in gesundem Gewebe zu vermeiden.
Die Studie „Alkylamine-tethered molecules recruit FBXO22 for targeted protein degradation“
erschien in der Zeitschrift Nature Communications am 26. Juni 2024. DOI: 10.1038/s41467-024-49739-3
AutorInnen:
Chrysanthi Kagiou, Jose Antonio Cisneros, Jakob Farnung, Joanna Liwocha, Fabian Offensperger, Kevin Dong, Ka Yang, Gary Tin, Christina S. Horstmann, Matthias Hinterndorfer, Joao A. Paulo, Natalie S. Scholes, Juan Sanchez Avila, Michaela Fellner, Florian Andersch, J. Thomas Hannich, Johannes Zuber, Stefan Kubicek, Steven P. Gygi, Brenda A. Schulman, Georg E. Winter
Förderung:
Die Studie wurde vom Europäischen Forschungrat (ERC) im Rahmen des European Union’s Horizon 2020 Forschungs- und Innovationsprogramms, vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), einem Aspire Award der Mark Foundation for Cancer Research, der Max Planck Gersellschaft sowie der Peter und Traudl Engelhorn-Stiftung gefördert.
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen.
Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien.
Wer gern mehr erfahren möchte, findet weitere Informationen unter www.cemm.at