„Wir müssen mehr über Organspende reden“
Interview mit einem Kardiologen zum Tag der Organspende
Am 1. Juni ist Tag der Organspende – er dient dazu, Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen und zu sensibilisieren.
Priv.-Doz. Dr. Jan Knierim, Kardiologe und Ärztlicher Direktor des Sana Paulinenkrankenhauses in Berlin, gibt im Interview Einblicke in seine Arbeit mit Patienten, die auf Organspenden angewiesen sind, und erklärt, warum dringend mehr über die Organspende geredet werden muss.
Wie erleben Sie als Kardiologe das Thema Organspende?
„Ich habe zu Beginn meiner Laufbahn auf einer neurochirurgischen Intensivstation tatsächlich zuerst die Spenderseite kennengelernt. Dort habe ich oft Familien getroffen, die entscheiden mussten, ob ihr gestorbener Angehöriger es gewollt hätte, dass seine Organe gespendet werden.
Später habe ich Patienten nach Herztransplantationen behandelt und inzwischen betreue ich am Sana Paulinenkrankenhaus auch Patienten, die noch auf ein Spenderherz warten.
Ich kenne also jede Seite und weiß, in welchen Ausnahmesituationen sich alle Betroffenen befinden − sowohl die Familien der potenziellen Spender, die eine schwierige Entscheidung treffen müssen, als auch die Patienten, die dringend auf ein Spenderorgan angewiesen sind.“
Wie beeinflusst Ihre Arbeit Ihre Einstellung zur Organspende?
„Es berührt mich jedes Mal, wenn Patienten, die jeden Tag gelitten und lange auf ihr Spenderorgan gewartet haben, nach der Transplantation wieder auf die Beine kommen und in ein normales Leben zurückkehren können. Es gibt so viele beeindruckende Krankheitsverläufe.
Im Mittel leben Patienten mit Spenderherz 11 Jahre, aber sogar 20 bis 30 Jahre sind möglich.
Zum Vergleich: Die Lebenserwartung mit einem Kunstherz beträgt durchschnittlich nur 5 Jahre. Was die Organspende ermöglicht, ist einfach unglaublich. Deshalb bin ich natürlich ein Befürworter.“
Was würden Sie Menschen sagen, die unsicher sind, ob sie sich für die Organspende entscheiden sollen?
„Ich würde empfehlen, dass man bei seiner Entscheidung auch die Perspektive der Menschen einnimmt, die auf ein Organ warten. Ständig von Geräten und medizinischer Hilfe abhängig zu sein und nicht zu wissen, ob rechtzeitig Hilfe geleistet werden kann, ist für die Betroffenen und ihre Angehörigen extrem belastend.
Es gibt zum Beispiel Patienten, die auf Lungentransplantationen warten und schon bei kleinster Anstrengung nach Luft ringen und sich permanent so fühlen, als hätte ihnen jemand eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt.
Sie können sich nicht einmal mehr alleine anziehen oder waschen. Solchen Patienten kann durch Organspenden wieder eine viel bessere Lebensqualität ermöglicht werden.“
Welche Veränderungen würden Sie sich wünschen, um die Organspende-Rate zu erhöhen?
„Mich ärgert sehr, wie wir als Gesellschaft an das Thema Organspende herangehen. Bei den Werbekampagnen lautet der Slogan zum Beispiel immer: Ja oder Nein, es ist deine Entscheidung. Das ist meiner Meinung nach der vollkommen falsche Ansatz.
Es wird viel zu viel über die persönliche Entscheidung gesprochen und zu wenig über die Leute, um die es eigentlich geht.
Das sind Menschen, die verzweifelt warten, die dringend Hilfe benötigen und für die es ohne Organspende keine Lebensperspektive mehr gibt.
Hätten wir mehr Organspenden, könnten wir diesen Menschen helfen.
Deshalb finde ich es falsch, die persönliche Entscheidung so sehr in den Fokus der Debatte zu rücken. Ich möchte selbstverständlich niemanden zu einer Organspende drängen, aber ich finde schon, dass wir uns als Gesellschaft stärker zur Organspende bekennen sollten. Schließlich zeigt sich bei Umfragen immer wieder, dass die Mehrheit der Deutschen für die Organspende ist.
Trotzdem sind wir eins der wenigen Länder Europas, die keine politische Mehrheit für die Widerspruchslösung finden. Da sollten wir uns ein Beispiel an anderen Ländern nehmen. Spanien hat zum Beispiel die Widerspruchsregelung und ist in Europa Spitzenreiter bei der Organspende.
Auf eine Million Einwohner kamen dort im Jahr 2022 46 postmortale Organspenden. In Deutschland waren es gerade mal 10,3. Das ist doch traurig.“
Würden Sie sich für eine Widerspruchslösung stark machen?
„Die Widerspruchsregelung ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss, aber sie würde verändern, aus welchem Blickwinkel wir die Organspende als Gesellschaft betrachten. Wer nichts tut, wird als potenzieller Organspender betrachtet – das veranlasst die Menschen dazu, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.“
Was wäre Ihrer Meinung nach wichtiger als die Einführung der Widerspruchslösung?
„Es muss mehr über Organspende gesprochen werden, auch im Privaten. Einen Organspendeausweis zu haben oder sich online im neuen Organspenderegister einzutragen, sind zwar wichtige Schritte, aber viel wichtiger ist, dass auch die eigenen Angehörigen wissen, wie man zur Organspende steht. Denn die Angehörigen werden letzten Endes im Krankenhaus mit der Situation konfrontiert und sollen sagen, was der Tote gewollt hätte.
In Deutschland wird es niemals zu einer Organspende kommen, wenn die Familie sagt, dass der Tote das ihres Wissens nach nicht gewollt hätte – auch wenn er einen 14 Jahre alten Organspendeausweis im Portemonnaie hatte. Deshalb ist es wichtig, seinen Wunsch zu Lebzeiten klar zu kommunizieren. Das macht die Entscheidung am Ende auch für die Angehörigen leichter.“
Gibt es auch strukturelle Probleme in den Krankenhäusern?
„Die Anzahl der Organspenden variiert in Deutschland je nach Krankenhaus sehr stark, auch wenn die Kliniken von ihrer Größe grundsätzlich vergleichbar sind. Da spielen meiner Meinung nach verschiedene Faktoren eine Rolle. Eine Organspende zu koordinieren, ist zum einen viel organisatorischer Aufwand und es gibt kaum Anreize, Organspenden in der Klinik durchzuführen.
Das ist allerdings auch richtig so, denn es soll natürlich niemand zu unnötig vielen Organspenden verleitet werden. Zum anderen haben viele Häuser zu wenig freie Intensivbetten.
Zusätzlich binden die Spender auch personelle Ressourcen und OP-Säle. Einige Häuser entscheiden sich dann, diese Ressourcen lieber den Lebenden zur Verfügung zu stellen. Das ist verständlich, aber eigentlich müsste man auch die Leben im Hinterkopf haben, die letztendlich durch eine Organspende gerettet werden können.“
Wenn Sie gern weitere Informationen zu diesem Thema hätten, schauen Sie bitte direkt unter www.sana.de/paulinenkrankenhaus