Ährenrettung für Weizenbrot

... auch moderne Weizensorten schmecken gut

Eine Untersuchung der Universität Hohenheim widerlegt, dass hoher Ertrag guten Geschmack ausschließt, denn alte Weizensorten und moderner Hochleistungsweizen liegen gleichauf

„Guter“ und „böser“ Weizen:
Alte Weizensorten, traditionell gemahlen und verbacken, haben den Ruf besonders wohlschmeckend zu sein. Moderner Hochleistungsweizen kämpft mit dem Image fad zu schmecken. Zu Unrecht, wie eine neue Studie der Universität Hohenheim in Stuttgart jetzt belegt.

In einem weltweit einmaligen Brotweizen-Backmarathon erfassten Forscher der Universität Hohenheim, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften  und zwei engagierte schwäbische Praktiker Backeigenschaften, Geruch und Geschmack von Weizenvollkornbroten aus 20 alten und 20 modernen Weizensorten.

Das Ergebnis:
Alte und moderne Weizensorten unterscheiden sich im Aromapotenzial nicht. Und es gibt auch keinen Zusammenhang zwischen Ertragsmenge und Backqualität. „Sowohl Züchter als auch Bäcker könnten also künftig mehr auf das Geschmacks- und Geruchspotenzial einzelner Sorten achten“, erklärt PD Dr. Friedrich Longin von der Universität Hohenheim.

Am 15. Februar 2017 krempelten frühmorgens in der Backstube von BeckaBeck in Römerstein Forscher der Universität Hohenheim, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften sowie ein Bäcker- und ein Müllermeister die Hemdsärmel hoch, kneteten Teig für 240 Brote und formten sie zu Brotlaiben.

„Das Mehl für die Brote stammte von 40 Sorten Brotweizen, darunter Öko-Weizen, alte Weizensorten und Hochleistungsweizen“, erklärt Hermann Gütler, Chef der Stelzenmühle in Bad Wurzach.

„Dabei haben wir ganz moderne Weizensorten (Zulassungsjahr 2005–2014) mit alten Weizensorten (Zulassungsjahr 1962–1999) verglichen“, erklärt Gütler weiter. „Der Versuch wurde auf zwei Standorten (Stuttgart-Hohenheim und Gatersleben in Sachsen-Anhalt) im Anbaujahr 2015/16 in Einzelparzellen von je 5m² Fläche durchgeführt.“

Geschmacksunterschiede von fad bis Banane
Mit verblüffenden Ergebnissen: „Ob alte oder neue Weizensorten: Beim Geschmack liegen sie gleichauf“, so PD Dr. Longin von der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim. „So gab es Sorten, deren Vollkornbrote sehr fade waren, aber auch solche mit intensiven Aroma- und Charakternoten von Rauch, Banane oder Kräutern. Und interessanterweise schmeckten und rochen Brote aus manchen Weizensorten sehr nach Hefe bzw. Gärung, während dies bei anderen Weizensorten nicht der Fall war, trotz gleicher Hefemengen.“

Dr. Longin gruppierte die 40 Weizensorten in alte und moderne Sorten und sah sich an, in welcher Häufigkeit die Brote mit gutem und schlechtem Geschmack verteilt waren. „Beim Geschmack sehen wir, dass die Verteilungen der alten und modernen Sorten fast genau übereinanderliegen“, erklärt Dr. Longin. „Es gibt also in beiden Gruppen gleichermaßen fad und aromatisch schmeckende Sorten.“

„Insofern konnten die Gerüchte, dass man wegen besseren Geschmackes unbedingt auf alte Sorten zurückgreifen müsse, klar widerlegt werden! Im Gegenteil, man kauft sich dabei nur Einbußen in Ertrag und Backqualität ein, ohne sicher zu sein, dass die alte Sorte auch besser schmeckt.“

Neben diesen Sortenunterschieden konnte das Forschungsteam aber auch Standorteinflüsse auf Geschmack und Geruch der Weizenbrote feststellen. So waren der Brotgeschmack und Geruch von Broten aus derselben Weizensorte von zwei unterschiedlichen Anbaustandorten manchmal überraschend unterschiedlich.

80 Weizenproben im Backvergleichstest
In dem wissenschaftlichen Brotweizen-Backmarathon ging das Forschungsteam folgendermaßen vor: Es nahm 40 Sorten Brotweizen aus zwei Anbaugebieten. Das ergab 80 Weizenproben. Für den Back- und Geschmacksverglich waren pro Probe drei Laibe Brot zu backen – insgesamt 240 Brote. Das Verfahren war für jeden Laib standardisiert: die Körner einheitlich zu je 2 Kilo Mehl in der Stelzenmühle in Bad Wurzach vermahlen, Rezept und Zubereitung identisch sowie einheitliche Teigreife, Backtemperatur und -zeit.

„Die Teigqualität beurteilte mit Heiner Beck ein sehr erfahrener Bäcker“, so Dr. Longin weiter. „Er ermittelte sie mittels manueller Dehnung einer Teigprobe in einer Skala von 1 (schlechte Dehnbarkeit, Teig reißt schnell) bis 9 (sehr gute Dehnbarkeit).“ „Dabei gab es große Unterschiede: Teige die perfekt verarbeitbar waren, bis hin zu Teigen, die fast davongeflossen sind“, so Heiner Beck, Bäckermeister und Chef von BeckaBeck.

Die Backqualität der einzelnen Weizensorten bestimmten die Forscher durch das Höhe/Breite-Verhältnis der Brote. Hierzu durchschnitten sie die Brote in der Mitte und ermittelten die Höhe und Breite in cm.

Geruchs- und Geschmacksvergleich zeigt erhebliche Unterschiede
Das Aromapotenzial ermittelten die Forscher im Konsensverfahren mit sechs Prüfern. Im ersten Schritt schätzten sie den Geschmack und Geruch der Brote ab in einer Skala von 1 (sehr fade) bis 9 (sehr aromatisch).

Im zweiten Schritt erfolgte eine genauere Aromabeschreibung nach dem Wädenswiler Brot-Aromarad. Entwickelt hat es Prof. Michael Kleinert, Aromaforscher der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Life Sciences und Facility Management. „Das Aromarad ist ein Werkzeug, um Geruch und Geschmack von Brot professionell zu beschreiben, wie es zum Beispiel bei Weinverkostungen schon bekannt ist“, so Prof. Kleinert.

Alle Prüfer hatten dazu eine Schulung bei Prof. Kleinert gemacht und einigten sich auf die Aromabeschreibungen. „Obwohl alle Sorten genau nach dem gleichen Schema vermahlen und verbacken wurden, zeigten sich erhebliche Unterschiede im Geruch und Geschmack der Brote“, erklärt Prof. Kleinert weiter.

Einflüsse lassen sich wissenschaftlich eindeutig nachweisen
„Der Einfluss von Sorte und Umwelteinflüssen ließ sich sogar statistisch messen“, erklärt Dr. Longin. „Wir konnten dies in Form der sogenannten Heritabilität tun. Die Heritabilität beschreibt statistisch, wie viel an der Ausprägung eines Merkmales, also z.B. Geschmack, durch die gewählte Sorte bzw. die Umwelteinflüsse beim Anbau beeinflusst wird.“

Für Geschmack bestimmten die Forscher eine Heritabilität von 0,41. Das bedeutet, dass gute 40 % der gemessenen Unterschiede auf die Sorte und knappe 60 % auf die Umwelteinflüsse bei deren Anbau zurückgeht. Bei der Teig- und Backqualität hat dagegen die Weizensorte einen größeren Einfluss.

Weizensorten in Zukunft besser auf Geschmack testen
Die Auswertungen zeigten zudem, dass es viele Sorten im mittleren Geschmacksbereich gebe, aber wenige nur im guten bzw. schlechten: „Das ist typisch für Merkmale, die von sehr vielen Genen beeinflusst werden, wo dann aber jedes einzelne Gen nur einen geringen Effekt auf die Aromaausprägung hat.“

Für Ertrag und Backqualität gelte dies übrigens auch. „Im Gegensatz zum Geschmack, unterscheiden sich die modernen und alten Sorten aber deutlich beim Ertrag“, so Dr. Longin. „Hier haben die modernen Sorten ein besseres Leistungspotenzial als die alten. Diese Ergebnisse zeigen klar auf, dass es möglich wäre, in der künftigen Weizenzüchtung neben Ertrag und guten Backeigenschaften auch auf das Geschmackspotenzial zu züchten.“

Quelle:
Universität Hohenheim, Landessaatzuchtanstalt, Arbeitsgebiet Weizen


Titel der Studie
Heiner Beck, Hermann Gütler, Wendelin Heilig, Michael Kleinert, Matthias Rapp, Friedrich Longin: „Geschmack von Brot hängt von gewählter Weizensorte ab“