Neue Grundsatzentscheidung: Notar muss Daten für das Nachlassverzeichnis selbst ermitteln

Gute Nachricht für alle enterbten oder übergangenen Verwandten, die den Pflichtteil einfordern

Das Oberlandesgericht Hamm verlangt von den Notaren, das zur Berechnung des Pflichtteils erforderliche Nachlassverzeichnis akribisch zu führen. Deshalb dürfen sie sich nicht länger auf unvollständige Angaben der Erben verlassen, sondern müssen selbst bei der Nachlasssuche zugunsten von Pflichtteilsberechtigten initiativ werden.

In der Praxis bedeutet das: Der Notar muss die Kontoauszüge der letzten zehn Jahre von den Erben oder den Banken herausverlangen und diese etwa auf mögliche Schenkungen durchforsten.

Werden die Notare fündig, erhöht das die Erbschaftssumme, aus der übergangene Erben ihren Pflichtteil verlangen können.

„Die Entscheidung stellt klar, dass sich Notare nicht einfach auf die Vermögensangaben der Erben verlassen dürfen und deren Angaben nach stichprobenartiger Überprüfung einfach übernehmen können. Vielmehr müssen die Notare selbst das Nachlassvermögen umfassend über die letzten 10 Jahre vor dem Tod des Erblassers ermitteln. In der Deutlichkeit hat das noch kein Gericht verlangt“, kommentiert Rechtsanwalt Dr. Sven Gelbke die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (Az.: I-5 W 94/23).

Das Gericht hat laut dem Geschäftsführer des Erbrechtsportals „Die Erbschützer“ bei Schenkungen des Erblassers an den Ehegatten die Ermittlungspflicht der Notare sogar ausdrücklich auf die gesamte Dauer der Ehe ausgedehnt, auch wenn dies Zeiträume betrifft, die länger als zehn Jahre zurückliegen.

Ganze Jahrgänge ohne Kontoauszüge

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte ein übergangener Erbe gegen die Ehefrau des 2018 verstorbenen Mannes auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses geklagt, um seine Pflichtteilsansprüche gegen die Alleinerbin geltend machen zu können.

Weil die Erbin das notarielle Verzeichnis nicht vorlegte, erging ein Urteil gegen sie. Weil sie die darin festgesetzte Frist ignorierte, setzte das Gericht im Vollstreckungsverfahren ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro gegen sie fest.

Erst Anfang 2023 legte die Erbin ein notarielles Nachlassverzeichnis vor.

Der übergangene Erbe monierte allerdings, dass das Nachlassverzeichnis seinen Namen nicht wert sei. Das Verzeichnis genüge nicht der Vorgabe, alle lebzeitigen unentgeltlichen oder teilunentgeltlichen Zuwendungen des Erblassers innerhalb von zehn Jahren vor dessen Todestag anzugeben. So fehlten Angaben zu den Konten des Erblassers zwischen den Jahren 2008 bis 2010. Die Angabe des Notars, er habe die Konten des Erblassers im Rahmen eigener Ermittlungen erst ab dem 1.2.2012 gesichtet, passe nicht dazu, dass der Notar als mögliche ausgleichspflichtige Schenkung eine Transaktion auf dem Konto des Verstorbenen vom 29.7.2011 angegeben hatte.

Bummelnder Erbe kassiert doppeltes Zwangsgeld

Das sah das Oberlandesgericht Hamm genauso. Ende 2023 verurteilte es die Alleinerbin zu weiteren 500 Euro Zwangsgeld, weil sie ihrer Verpflichtung zur Vorlage eines lückenlosen notariellen Nachlassverzeichnisses nicht nachgekommen war.

Zum Hintergrund

Der Anspruch auf Vorlage eines notariellen Verzeichnisses soll es dem Pflichtteilsberechtigten ermöglichen, sich die notwendigen Kenntnisse zur Bemessung seines Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen. Hierbei soll ein notarielles Nachlassverzeichnis eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft als das private Verzeichnis des Erben bieten. Dementsprechend muss der Notar den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig ermitteln und klar zum Ausdruck bringen, dass er den Inhalt selbst verantwortet.

Der Notar ist in der Ausgestaltung des Verfahrens weitgehend frei. Er muss zunächst von den Angaben des Auskunftspflichtigen ausgehen. „Allerdings darf er die Angaben des Erben nicht nur auf Plausibilität prüfen und dann seine Recherchen einfach einstellen. Vielmehr muss er den Nachlass selbst ermitteln und feststellen. Dabei hat er diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Sven Gelbke.

Nicht allein auf Bankauskünfte verlassen

Ausgehend von diesem Maßstab gehört zu der Ermittlung von Zuwendungen, dass der Notar Einsicht in die vollständigen Kontounterlagen bzw. Kontoauszüge des Erblassers nimmt. In dem entschiedenen Fall monierte das Gericht, dass es sich der Notar zu leicht gemacht habe, indem er sich darauf berufen hatte, dass die Bank keine älteren Kontodaten mehr aufbewahre. Möglich sei nämlich, dass die Alleinerbin die entsprechenden Kontoauszüge noch liefern könne.

Auch Lebensversicherungen gehören in das Verzeichnis

Außerdem monierte das Gericht, dass der Notar die Alleinerbin nicht nach Schenkungen jenseits der 10-Jahresfrist befragt habe. Erst recht fehlt es laut Gericht an Ermittlungen seitens des Notars, die über die Wiedergabe der Auskunft der Schuldnerin hinausgehen. Unvollständig hielt das Gericht das vom Notar erstellte Nachlassverzeichnis bzgl. der darin aufgeführten Lebensversicherungen. Hier habe der Notar nicht klar herausgearbeitet, welche Beträge als Schenkungen anzusehen sind – die ausgezahlte Versicherungssumme oder die vorher eingezahlten Prämien.

Wer gern mehr erfahren möchte, schaut bitte direkt unter www.erbschuetzer.de