Wenn der Körper nicht vergisst
Wie ein Schmerzgedächtnis entsteht und wie Betroffenen geholfen werden kann
Jeder Mensch hatte wohl schon einmal Schmerzen – etwa nach einem Sturz, einem Unfall, aufgrund von Problemen mit den Zähnen oder Beschwerden beziehungsweise Erkrankungen im Rückenbereich.
In der Regel enden die Schmerzen nach gewisser Zeit wieder.
Und so unangenehm Schmerzen für die jeweiligen Betroffenen auch sind, haben sie doch eine wichtige Funktion: Sie warnen vor Gefahren für die Gesundheit.
„Manchmal gehen die Beschwerden allerdings nicht wieder weg. Bestehen sie länger als ein halbes Jahr, sprechen Mediziner von chronischen Schmerzen. Unabhängig von den Ursachen verselbstständigen sie sich und der Körper entwickelt ein Schmerzgedächtnis – besonders häufig bei Rücken- und Gelenkschmerzen“, weiß Dr. Munther Sabarini, Neurochirurg und Gründer der Avicenna Klinik in Berlin.
Er erklärt, wie genau das Schmerzgedächtnis entsteht und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.
Lang anhaltende Beschwerden hinterlassen Spuren im Nervensystem
Chronische Schmerzen treten beispielsweise nach offenen Operationen an der Wirbelsäule, nach Verletzungen, Entzündungen oder Bestrahlungen, bei starkem Verschleiß an der Wirbelsäule oder den Gelenken und bei Polyneuropathie auf. Zudem kann Dauerschmerz die Antwort des Körpers auf ein Zusammenspiel von akutem Schmerz, falschem Schonverhalten und Problemen in Familie und Berufsleben sein.
„Zum Beispiel bei unzureichender Behandlung können starke Schmerzreize Spuren im Nervensystem hinterlassen und die Empfindlichkeit für die Reize erhöhen. Die Nervenbahnen, die den Schmerzimpuls durch den Körper leiten, werden ständig gereizt. Besonders gut untersucht sind solche Veränderungen im Rückenmark. Dort gibt es bestimmte Neuronen, die eine entscheidende Rolle im Prozess der Chronifizierung – also der Übergang von vorübergehenden zu dauerhaften Schmerzen – spielen“, berichtet Dr. Sabarini
Er ergänzt: „Ähnliche Schmerzspuren entstehen vermutlich auch im Gehirn. Länger anhaltende Schmerzen können dann dazu führen, dass diese als eine Art Erinnerungen erhalten bleiben und abrufbar sind.“
Häufig äußert sich ein Schmerzgedächtnis durch die Zunahme der subjektiven Schmerzempfindung bei gleichbleibender oder sogar abnehmender Schmerzintensität.
Anhaltende oder wiederkehrende Beschwerden treten dabei ohne erkennbaren Auslöser auf.
Nicht selten kommt es zu Begleiterscheinungen wie Kribbeln, Taubheitsgefühl oder unangenehme Empfindungen bei Berührungen.
„Betroffene sind dadurch deutlich eingeschränkt in ihrem Privat- und Berufsleben – trotz Einnahme von Schmerzmitteln. Dies belastet auf Dauer auch die psychische Gesundheit der Patienten“, weiß der Neurochirurg.
Denervation und Schrittmacher unterbrechen Schmerzimpulse
Liegt eine klare Ursache für die Schmerzen vor, wie zum Beispiel Bandscheiben-Reste, eine nicht ausreichende Erweiterung des Spinalkanals oder eine andere objektivierbare Ursache, lassen sich diese behandeln.
Doch bei nicht korrigierbaren Ursachen – etwa inoperable Verschleißstörungen oder starke Vernarbungen nach mehrfachen Operationen – können sich die Schmerzen zu einer eigenständigen Krankheit entwickelt und mitunter entwickelt sich ein Schmerzgedächtnis.
In diesem Fall lässt sich das Schmerzempfinden nicht komplett zurückstellen.
Allerdings kann es durch gezielte schmerztherapeutische Maßnahmen unterbrochen werden.
„Durch eine Denervierung oder auch Denervation lässt sich die Weiterleitung von Schmerzimpulsen beispielsweise vollständig oder partiell unterbrechen. Bei dem minimalinvasiven Verfahren veröden wir mithilfe von Hitze oder auch Kälte kleine Nervenfasern“, erklärt Dr. Sabarini.
Die Therapieform ist dabei für Patienten risikoarm und wenig belastend. Im Fokus steht die Schmerzlinderung der Betroffenen, um eine maßgebliche Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen.
Tatsächliche Ursachen wie Wirbelgelenkarthrose oder Wirbelsäulendeformität beseitigt das Verfahren jedoch nicht.
„Verschwinden chronische Schmerzen auch nach der Behandlung mit modernen Verfahren nicht, können Schmerzschrittmacher Linderung verschaffen. Sanfte Impulse hemmen dabei die Schmerzweiterleitung zum Gehirn“, ergänzt der Neurochirurg.
Dort, wo Patienten vor der Behandlung noch arge Schmerzen plagten, spüren sie ein angenehmes Kribbeln. Nach Bedarf lässt sich die Stärke der gewünschten Stimulation individuell einstellen.
Weitere Informationen unter https://avicenna-klinik.com