Rote Trauben als Antidepressivum?
Depressionen sind immer noch in vielen Fällen unzureichend therapiert.
Dies liegt auch daran, dass die Erkrankung noch immer schlecht verstanden ist. Die Komplexität verschiedenster Gründe und Auslöser, Begleiterkrankungen und Lebenserfahrungen gestalten eine schablonenhafte Therapievorlage, die bei jedem wirken könnte, schlicht unmöglich.
Umso wichtiger ist es, die Abläufe im Gehirn der von Depressionen betroffenen Menschen besser zu verstehen. Dr. Lu von der chinesischen Shanxi Medical University und Kollegen ermittelten nun in einer Übersichtsstudie die bisher bekannten Zusammenhänge zwischen einem Eiweißstoff namens Sirt1 (vom englischen silent information regulator 1) und Depressionen. Sirt1 ist involviert in eine Vielzahl von Prozessen, vom Stummschalten einzelner Gene, über generelle Aspekte des Zellzyklus wie Wachstum und Alterung, hin zu Fett- und Zuckerstoffwechsel oder dem Umgang mit sogenanntem oxidativem Stress in den Zellen.
Damit wird Sirt1 mehr und mehr zu einem kritischen therapeutischen Ziel für ganz unterschiedliche Erkrankungen. Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigte interessanterweise auch, dass Sirt1 deutlichen Einfluss auf Depressionen hat und entsprechend auch hierfür zu einem wichtigen Behandlungsziel werden könnte.
Die großangelegte Studie der internationalen CONVERGE-Forschungsgruppe (kurz für China, Oxford and Virginia Commonwealth University Experimental Research on Genetic Epidemiology) ermittelte bei 11000 chinesische Frauen in einer Kollaboration von etwa 60 chinesischen Krankenhäusern, welche Gene (also die zellinternen Bauvorlagen für Eiweißstoffe) besonders zu Depressionen beitrugen.
Dabei fand sich besonders prominent das Gen für Sirt1. Auch weitere Studien fanden Einflüsse von Änderungen im Sirt1-Gen auf die Entwicklung von Depressionen. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass die Konzentration von Sirt1 im Blut depressiver Menschen deutlich niedriger ist als im Blut von Menschen, die nicht (oder auch nicht mehr) unter Depressionen leiden.
Auch in Tierstudien konnte gezeigt werden, dass eine Veränderung der Sirt1-Aktivität im Körper depressive Verhaltensweisen von Tieren beeinflusste. Wenn Sirt1 aktiviert war, konnten sowohl depressive Symptome als auch Gehirnveränderungen, die beispielsweise gehäuft bei chronischem Stress (ein klassischer Auslöser für Depressionen) gesehen werden, abgemildert oder gar verhindert werden.
Aber wie konnten Forscher Sirt1 aktivieren?
Resveratrol, bekannt vor allem als im Rotwein enthaltene Substanz, ist ein bekannter, vermutlich indirekt wirkender, Aktivator für Sirt1. Als solcher kann Resveratrol nach mehreren Studien offenbar auch antidepressive Effekte hervorrufen. Auch starke Ängste konnten im Tierversuch mit Hilfe von Resveratrol gelindert werden.
Aber auf welche Weise könnte Sirt1, und damit auch ein Sirt1-aktivierendes Mittel, wirken?
Entzündungen infolge Überaktivierung der Mikroglia, der Schutz- und Ernährungsnervenzellen des Gehirns, wurden in verschiedenen Studien mit Resveratrol eingedämmt. Dabei konnte unter anderem auch ein positiver Effekt der Dämpfung der Mikroglia-Aktivität auf depressive Symptome gezeigt werden.
Die durch Resveratrol ausgelöste Aktivierung Sirt1 steigert die Zellneubildung im Lernzentrum des Gehirns, dem Hippocampus. Ähnliche Effekte haben auch Antidepressiva, wie frühere Studien bereits zeigen konnten. Infolge der Zellneubildung konnten auch Verbesserungen depressiver Symptome gezeigt werden. Es wurde daher auch schon vermehrt diskutiert, ob speziell Medikamente, die die Zellneubildung im Hippocampus anregen, ein neues Entwicklungsziel für die Behandlung von Depressionen sein könnten.
Frühere Studien fanden auch einen regulierenden Einfluss von Sirt1 auf die Tag-Nacht-Rhythmik. Dabei wirkt Sirt1 offenbar auch vermittelnd für andere Mechanismen, die die sogenannte zirkadiane Rhythmik eventuell stabilisieren. Und gerade die ist bei depressiven Erkrankungen typischerweise auffällig und eher instabil.
Weitere Einflüsse von Sirt1 auf Signalstoffe, die bei der Behandlung von Depressionen bereits aufgefallen sind, werden derzeit vermehrt untersucht. Dazu gehört beispielsweise der BDNF (brain-derived neurotrophic factor, also ein Wachstumsfaktor im Gehirn), der bei geistiger Regulation eine Rolle spielt und bei antidepressiver Wirkung von Medikamenten, aber auch Ausdauersport, zu Tage tritt.
In diesem Übersichtsartikel wurde also der derzeitige Wissensstand zum Eiweißstoff Sirt1 zusammengefasst. Die Studienlage spricht für einen starken Einfluss dieses körpereigenen Stoffes auf depressive Symptome und die Entwicklung von Depressionen. Es gibt inzwischen einen guten Einblick darin, auf welche Weise Sirt1 einen solchen Einfluss ausüben könnte.
Einerseits werden entzündliche Prozesse gehemmt, andererseits der Hippocampus zur Zellneubildung angeregt, die Tag-Nacht-Rhythmik korrigiert oder stabilisiert und eventuell mittels weiterer Signalstoffe wie dem BDNF vielfältig auf Depressionen eingewirkt. Sirt1 ist damit ein sehr vielversprechendes Therapieziel für die Behandlung von Depressionen, auf dessen Basis mit Sicherheit in den nächsten Jahren neue Medikamente gefunden werden können.
Aber was können Menschen mit Depressionen schon jetzt tun? Resveratrol als Aktivator von Sirt1 stellt mit Sicherheit eine spannende Möglichkeit dar, auf die depressiven Symptome grundlegend einzuwirken. Allerdings empfiehlt es sich nicht, dafür Unmengen Rotwein zu konsumieren – obwohl es inzwischen auch durchaus trinkbare alkoholfreie Varianten gibt.
Alternativen neben der extrahierten Form als Nahrungsergänzungsmittel sind beispielsweise rote Trauben, dunkle Schokolade oder auch Erdnüsse. Aber auch Himbeeren oder Pflaumen können Ihnen eine extra Dosis dieses natürlichen Antidepressivums bieten.
Bis weitere Wege der Depressionsbehandlung auf der Basis von Sirt1 entwickelt worden sind, empfehlen wir also einen täglichen Fruchtsalat, Dosierung frei nach Geschmack und empfundener Wirksamkeit.
Quelle:
beilit