Wenn Übergewicht auf die Psyche geht
DGE fordert interdisziplinäre Therapien
Adipositas und psychische Erkrankungen sind häufig miteinander verbunden und können sich gegenseitig verstärken.
Das belegen zahlreiche Studien. Menschen mit Adipositas haben demnach ein höheres Risiko, an Depressionen oder Angststörungen zu erkranken.
Gleichzeitig gehen psychische Erkrankungen oft mit Stoffwechselveränderungen durch einen veränderten Lebensstil einher, die wiederum eine Gewichtszunahme begünstigen.
Aufgrund dieser komplexen Wechselwirkungen fordert die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE) eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit von Endokrinologie, Ernährungswissenschaft und Psychiatrie – sowohl in der Prävention als auch in der Therapie.
„Adipositas und psychische Erkrankungen beeinflussen sich gegenseitig auf komplexe Weise“, erklärt Privatdozentin Dr. med. Sharmili Edwin Thanarajah, Fachärztin für Neurologie und Leiterin des Neurometabolic Circuitry Lab.
Die Forschung zeigt, dass Adipositas mit veränderten Botenstoffen im Gehirn einhergeht, welche die Stimmung negativ beeinflussen können.
„Mit Adipositas gehen oft auch Zucker- und Fettwechselstörungen, chronisch erhöhte Entzündungswerte oder veränderte hormonelle Signalwege einher. Diese Prozesse beschränken sich nicht nur auf unseren Körper, sondern können sich auch negativ auf unser Gehirn beeinflussen. Betroffene erfahren zudem häufig Stigmatisierung, leiden unter einem geringen Selbstwertgefühl und begeben sich nicht selten in soziale Isolation. Das sind alles Faktoren, die psychische Erkrankungen hervorrufen können.“
Gleichzeitig erhöhen diese psychischen Erkrankungen das Risiko für eine ungesunde Lebensweise, welche wiederum die Entstehung von Übergewicht begünstigt: Chronischer Stress, emotionale Belastung und depressive Verstimmungen können zu einem ungesunden Essverhalten und in der Folge einer Gewichtszunahme führen.
Ernährung spielt eine zentrale Rolle
Ernährungsgewohnheiten spielen eine wesentliche Rolle in der Wechselwirkung zwischen Adipositas und psychischen Erkrankungen. Eine unausgewogene Ernährung, insbesondere der hohe Konsum von raffinierten Kohlenhydraten, gesättigten Fetten und industriell verarbeiteten Lebensmitteln, kann Entzündungsprozesse im Körper fördern und sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken.
„Hinzu kommt, dass Adipositas oft mit Insulinresistenz verbunden ist. Das bedeutet, dass Körperzellen weniger empfindlich auf das Hormon Insulin reagieren. Insulin ist essenziell, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren. Hinweise aus Studien legen nahe, dass dauerhaft erhöhte Blutzuckerspiegel und eine gestörte Insulin-Signalübertragung in einigen Hirnregionen das Risiko für depressive Symptome und Angsterkrankungen erhöhen“, so Edwin Thanarajah weiter.
Praktische Ansätze zur Selbsthilfe und Prävention
Interventionsstudien zeigen, dass Veränderungen des Lebensstils, insbesondere eine ausgeglichene Ernährung mit frischen, unverarbeiteten Lebensmitteln, dazu führen kann, dass sich das Übergewicht verringert und der Stoffwechsel verbessert.
„Leichte depressive Symptome lassen sich häufig abmildern, wenn eine Ernährungsumstellung mit regelmäßiger körperlicher Aktivität kombiniert wird“, so Edwin Thanarajah.
Diese Maßnahmen helfen nicht nur, Übergewicht und Insulinresistenz zu reduzieren, sondern können auch Entzündungen hemmen und die Stimmung positiv beeinflussen.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit als Schlüssel zur effektiven Therapie
Die DGE betont, dass Adipositas und psychische Erkrankungen nicht isoliert voneinander betrachtet werden dürfen. Vielmehr sei es essenziell, dass Fachkräfte aus den Bereichen Endokrinologie, Ernährungswissenschaft und Psychiatrie eng zusammenarbeiten, so Edwin Thanarajah. Eine ganzheitliche Behandlung sollte sowohl hormonelle und metabolische Faktoren als auch psychische Belastungen berücksichtigen.
„Ein interdisziplinärer Therapieansatz kann helfen, die Mechanismen hinter dieser Wechselwirkung besser zu verstehen und gezielte Präventions- und Behandlungsstrategien zu entwickeln“, so Professor Dr. med. Jens C. Brüning, Kongresspräsident 2025 und Direktor der Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Präventivmedizin an der Uniklinik Köln. „Hierzu zählen neben einer individuell angepassten Ernährungsberatung auch psychotherapeutische Maßnahmen und eine optimierte medikamentöse Behandlung.“
Quellen:
Kiyuri Naicker, Jeffrey A. Johnson, Jens C. Skogen, Douglas Manuel, Simon Øverland, Børge Sivertsen, Ian Colman (2017) Type 2 Diabetes and Comorbid Symptoms of Depression and Anxiety: Longitudinal Associations With Mortality Risk. Diabetes Care; 40 (3): 352–358. https://doi.org/10.2337/dc16-2018
Samuthpongtorn, C., Nguyen, L. H., Okereke, O. I., Wang, D. D., Song, M., Chan, A. T., & Mehta, R. S. (2023). Consumption of ultraprocessed food and risk of depression. JAMA Network Open, 6(9), e2334770. https://doi.org/10.1001/jamanetworkopen.2023.34770
Interessenkonflikte:
Prof. Dr. med. Jens Brüning gibt an, Mitbegründer und Anteilseigner von Cerapeutix GmbH zu sein, sowie Vortragshonorare und Forschungsunterstützung von Sanofi, Aventis, Novo Nordisk und Eli Lilly & Co erhalten zu haben.
Priv.-Doz. Dr. med. Sharmili Edwin Tharanajah gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.