Schilddrüsenknoten: Häufigkeit von Schilddrüsenkrebs ist überbewertet – wird zu viel operiert?

Neue Risikobewertung geht von deutlich niedrigeren Zahlen aus als bislang angenommen

Fast jeder zweite Erwachsene in Deutschland hat knotige Veränderungen seiner Schilddrüse (1). Mitunter ist dann eine Operation notwendig, etwa wegen einer stark vergrößerten Schilddrüse oder bei Verdacht auf Krebs.

Nach US-amerikanischen Leitlinien musste man bisher davon ausgehen, dass bis zu 15 Prozent dieser Knoten bösartig sind oder entarten könnten (2, 3).

Doch eine aktuelle deutsche Langzeitstudie zum Malignitätsrisiko von Schilddrüsenknoten an über 17.500 Patientinnen und Patienten mit Knoten kommt zu dem Schluss, dass die Zahlen viel niedriger sind: Im Lauf von bis zu 23 Jahren Nachbeobachtungszeit wurde nur bei 1,1 Prozent der Beobachteten Krebs diagnostiziert (4).

Damit erweist sich die vorsorgliche Entfernung vieler Knoten als überflüssig.

Die Indikation zur Operation sollte deshalb erst nach gründlicher Diagnostik gestellt werden, sagt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE).

Da Schilddrüsenoperationen mit Komplikationen wie etwa der Schädigung des Stimmband-Nervs oder der Nebenschilddrüsen verbunden sein sowie eine lebenslange Einnahme von Medikamenten nach sich ziehen können, gelte es, unnötige Operationen zu vermeiden. 

Jodmangel, aber auch eine immer weiter verfeinerte Ultraschalldiagnostik haben dazu geführt, dass bei nahezu jedem zweiten Erwachsenen Knoten in der Schilddrüse nachgewiesen werden können.

„Dies löst oft Ängste aus, an Krebs des Stoffwechselorgans zu leiden oder daran zu erkranken“, weiß der Endokrinologe und DGE-Mitglied Prof. Dr. med. Martin Grußendorf aus Halblech.

Doch er beruhigt: "Pro Jahr entwickelt sich in Deutschland bei weniger als 10 000 Menschen Schilddrüsenkrebs".

Dies zeigen die Daten des Robert Koch Instituts (RKI) zur Häufigkeit von Schilddrüsenkarzinomen in Deutschland (5). Dort wurden in 25 Jahren 103.300 Fälle erfasst.

„Die daraus abgeleitete Krebsrate von Knoten der Schilddrüse liegt bei etwa einem Prozent und damit bei nur circa einem Zehntel der in den Leilinien angegebenen Rate“, so der Experte.

Nur 1,1 Prozent der Schilddrüsenknoten wurden später bösartig

Diese Zahlen bestätigt auch die aktuell von Grußendorf als Erstautor publizierte retrospektive Studie (4): Hier wurden 17.592 Patientinnen und Patienten mit Schilddrüsenknoten von über einem Zentimeter Durchmesser in den Jahren zwischen 1989 und 2013 in einem endokrinologischen Zentrum untersucht.

1.904 von ihnen wurden operiert und 6.731 länger als ein Jahr nachverfolgt (davon 1.165 länger als 10 Jahre und bis zu 23 Jahren).

Bei 155 Patientinnen und Patienten konnten Malignome im ersten Jahr nach Erstvorstellung histologisch nachgewiesen werden, bei weiteren 25 wurde ein Malignom in den Jahren zwei bis fünf entdeckt und bei weiteren neun in den Jahren sechs bis zehn.

Danach wurden bis 23 Jahre nach Erstdiagnose der Knoten keine weiteren bösartigen Veränderungen festgestellt. Insgesamt diagnostizierten Ärztinnen und Ärzte bei 189 Patienten Schilddrüsen - Krebs. Dies entspricht einer Malignitätsrate von 1,1 Prozent.

Die Risikoabschätzung beim Umgang mit den Knoten muss an die neuen Zahlen angepasst werden

„Diese neuen Zahlen sollten in die Risikoabschätzung beim Umgang mit den Knoten einfließen, insbesondere auch was die OP-Entscheidung angeht“, sagt Grußendorf.

Momentan werden in Deutschland jährlich rund 56.000 Schilddrüsenoperationen durchgeführt: „Das sind circa 70 Operationen/100.000 Einwohner. Im europäischen Durchschnitt liegen die Zahlen jedoch mit 47 Operationen/100.000 Einwohner deutlich niedriger (6, 7).“

Um Überdiagnostik und Übertherapie zu vermeiden, empfiehlt die DGE, im Jodmangel – Gebiet Deutschland auf ein routinemäßiges Ultraschall-Screening der Schilddrüse bei Patientinnen und Patienten ohne Hinweise auf eine Schilddrüsenerkrankung zu verzichten.

Wird ein Knoten mit einem Durchmesser von über einen Zentimeter nachgewiesen, sollte zunächst eine Schilddrüsen-Sonographie mit einer standardisierten Befundung nach TIRADS (Thyroid Imaging And Reporting System) erfolgen.

Außerdem rät die Fachgesellschaft, im Blut den TSH-Wert zu bestimmen.

Weicht er von der Norm ab, sollten im nächsten Schritt zusätzlich die Schilddrüsenhormone fT4 und fT3 gemessen werden. „Ebenso empfehlen wir die Bestimmung des Calcitonin-Wertes“, so der Experte: Dadurch könnten die in etwa 0,5 Prozent der Fälle auftretenden sogenannten C-Zell Karzinome frühzeitig entdeckt werden. Die weiteren Schritte richten sich nach den Befunden und können Untersuchungen wie Feinnadelbiopsien und Szintigrafien beinhalten.

Hat man sich entschieden, den Knoten zu beobachten, sollte man ihn nach sechs bis zwölf Monaten erneut per Ultraschall kontrollieren, sagt Grußendorf. Bei weiterhin unauffälligem Befund kann die nächste Nachkontrolle nach zwei bis drei Jahren und dann nach fünf Jahren erfolgen.

„Da bei initial unauffälligen Schilddrüsenknoten danach nur noch sehr wenige Malignome auftreten, muss der Stellenwert einer langjährigen Nachsorge jedoch kritisch hinterfragt werden“, ergänzt er.

Klug entscheiden-Empfehlung: kein präventives Ultraschallscreening auf Schilddrüsenveränderungen bei älteren Menschen

„Die Herausforderung besteht darin, mit einem angemessenen Aufwand an Diagnostik die seltenen bösartigen Fälle aus der Vielzahl der harmlosen Veränderungen herauszufiltern. Außerdem ist eine Jodprophylaxe wichtig, da der Jodmangel in Deutschland in den letzten zehn Jahren wieder deutlich zugenommen hat (7)“, sagt Professor Dr. med. Stephan Petersenn, Mediensprecher der DGE, ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg.

Er fasst zusammen: „Um Patienten unnötige Ängste zu ersparen, sollte eine Ultraschall-Untersuchung der Schilddrüse nur bei klinisch oder laborchemisch begründetem Verdacht erfolgen, und nicht als Präventivdiagnostik. Dies wird ausdrücklich auch in den Klug entscheiden-Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und der DGE festgehalten: Ein Ultraschallscreening auf Schilddrüsenveränderungen bei älteren Menschen soll nicht durchgeführt werden (8).“

Quellen:
(1)    Kiel S, Ittermann T, Steinbach J, Völzke H et al.: The course of thyroid nodules and thyroid volume over a time period of up to 10 years: a longitudinal analysis of a population-based cohort. Eur J Endocrinol. 2021;185(3):431–439

(2)    Gharib H, Papini E, Garber JR et al. AACE/ACE/AME Task Force on Thyroid Nodules. American Association of Clinical Endocrinologists (AACE), American College of Endocrinology (ACE) and Associazione Medici Endocrinologi (AME) Medical Guidelines for Clinical Practice for the Diagnosis and Management of Thyroid Nodules – 2016 Update. Endocr Pract. 2016;22(5):622-639.

(3)    Haugen BR, Alexander EK, Bible KC et al.: 2015 American Thyroid Association Management Guidelines for Adult Patients with Thyroid Nodules and Differentiated Thyroid Cancer: The American Thyroid Association Guidelines Task Force on Thyroid Nodules and Differentiated Thyroid Cancer. Thyroid. 2016;26(1):1-133

(4)    Grussendorf M, Ruschenburg I, Brabant G. Malignancy rates in thyroid nodules - a long-term cohort study of 17,592 patients. Eur Thyroid J. 2022;11(4): e220027 (free access).

(5)    Robert Koch Institut: Krebs in Deutschland für 2017/2018 (Berlin, 2021). https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Krebs_in_Deutschland/kid_2021/kid_2021_c73_schilddruese.pdf?__blob=publicationFile

(6)    Berichterstattung des Bundes 2022: https://www.gbe-bund.de/gbe/pkg_olap_tables.prc_set_hierlevel?p_uid=gast&p_aid=89236258&p_sprache=D&p_help=2&p_indnr=662&p_ansnr=45207860&p_version=3&p_dim=D.390&p_dw=43137&p_direction=drill

(7)    Møllehave LT, Eliasen MH, Strele I, et al. Register-based information on thyroid diseases in Europe: lessons and results from the EUthyroid collaboration. Endocr Connect. 2022;11(3): e210525

(8)    Klug entscheiden-Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)/Endokrinologie: https://www.klug-entscheiden.com/empfehlungen/endokrinologie