Zeckenforscher tracken die Ausbreitung von FSME-Viren
Aus einem Gespräch mit dem Virologen Professor Gerhard Dobler
„Da haben Sie aber Glück mit Ihrer Interviewanfrage“ schallt es freundlich aus dem Telefonhörer, denn ab morgen sei er unterwegs, um Zecken zu sammeln
Um daraus neue Erkenntnisse zu erhalten über die Dynamik in der „Zeckenbewegung“. Gerhard Dobler brennt als Forscher für das Thema, weiß aber als Arzt um die Dramatik eines schweren FSME-Erkrankungsverlaufs.
Jeder hat die FSME-Risikolandkarte von Deutschland vor Augen, aber diese kann nicht das sehr viel kleinteiligere Gesamtgeschehen abbilden, erläutert Dobler. Es wird zwar erfasst, in welchen Landkreisen bei Menschen FSME-Infektionen aufgetreten sind, aber zum Beispiel können sogenannte FSME-Naturherde in diesem Kreis nicht detaillierter definiert werden. Man kann der Karte nicht entnehmen, wo diese genau liegen. Die Zahl der gemeldeten humanen FSME-Infektionen in einem Landkreis spiegelt einen großen Teil der Wahrheit wider, aber eben nicht die ganze Situation.
FSME-Naturherde gibt es vermutlich fast überall in Deutschland, meist sind es Waldwiesen, aber viele seien eben noch gar nicht bekannt, ein weißer Fleck auf der Landkarte.
Sie sind etwa nur so groß wie ein Fußballfeld; hier leben auf engem Raum Zecken, die FSME-Viren in sich tragen. Und so kommt es, dass einzelne FSME-Infektionen beim Menschen, die vielleicht in nicht bekannten FSME-Naturherden erworben wurden, gar nicht in der FSME-Risikolandkarte erscheinen. Denn hierfür muss laut Robert Koch-Institut in 5-Jahres-Zeiträumen eine bestimmte Inzidenz in einem Land- oder Stadtkreis erreicht sein, also eine bestimmte Anzahl an Erkrankungen gemessen an 100.000 Einwohnern.
Und so bleiben manche Landkreise oder Stadtkreise „unter dem Radar“, sind kein definiertes Risikogebiet, obwohl es immer wieder dort erworbene FSME-Fälle gibt. Immerhin drei Prozent der FSME-Erkrankungen gehen auf das Konto solcher Gebiete, gibt Dobler an.
Es sind unzählige Detailerkenntnisse nötig, um die FSME-Gesamtsituation zu verstehen und bewerten zu können.
Deshalb ist es auch wichtig, Einzelfälle von Erkrankungen beim Menschen genau zu untersuchen und herauszufinden, wo sich die Person infiziert hat. Und auch durch das einem Laien zunächst unverständliche Zeckensammeln wichtige Erkenntnisse zu erlangen. Nachfolgende wissenschaftliche Untersuchungen zeigen aktuelle Trends, die vielleicht Hinweise auf das zukünftige Geschehen geben können.
„Es gibt tatsächlich seit Jahren einen ganz eindeutigen Trend: Die FSME-Fallzahlen steigen. Und dies vor allem in den bekannten Risikogebieten Baden-Württembergs und Bayerns, nicht in den ‚exotischen‘ nördlicheren Regionen.“
Auf eine Ausnahme weist der FSME-Experte hin: Sachsen. Hier sind die Fallzahlen in den vergangenen Jahren sozusagen dramatisch angestiegen.
Dieses Phänomen bereitet Dobler und auch anderen Forschern Sorgen, denn es zeigt sich ein südosteuropäisches Problem mit denselben Entwicklungen unter anderem in der Schweiz, Österreich, Slowenien und weiteren Staaten. Ein Phänomen, für das es bislang keine Erklärung gibt.
Noch eine Beobachtung ist laut Dobler höchst interessant. In den bekannten und gut untersuchten Naturherden im Süden Deutschlands tummelt sich eine genetische Vielfalt der FSME-Viren.
Hingegen zeigt sich auf weiten Strecken im Norden Deutschlands nur ein einziger genetischer Typ des FSME-Virus.
Offenbar sind Viren verschiedener Herkunft dort versammelt, wo sich für sie optimale ökologische Bedingungen bieten. Für die Wirtstiere der Zecken, für die Zecken selbst und damit auch für FSME-Viren.
Die genetische Vielfalt der Viren kommt wahrscheinlich durch das Einschleppen über Wirtstiere wie zum Beispiel Vögel zustande, die aus unterschiedlichen Regionen kommen.
Offenbar sind die Naturherde in Baden-Württemberg und Bayern in etwa 500 bis 600 m Höhenlage derzeit ein „FSME-Virus-Paradies“.
Dobler macht hier den Einfluss der Klimaveränderung deutlich: „Es ergibt sich durch die Erwärmung eine Pflanzen- und Tierwanderung aus dem Osten in westlicher Richtung, das sieht man in vielen Bereichen. Und damit erklärt sich schlussendlich auch eine Dynamik in den FSME-Virusstämmen.“
Dobler ist persönlich überzeugt, dass sich in 10 bis 20 Jahren diese beschriebenen Trends aus südöstlicher Richtung bis in den Norden ausdehnen werden. Welche Auswirkungen dies alles haben könnte, lässt sich heute noch nicht abschätzen.
Prof. Dr. med. Gerhard Dobler ist Oberfeldarzt und leitet an der Universität der Bundeswehr München im Institut für Mikrobiologie die Abteilung „Virologie & Rickettsiologie“ und überdies auch das Konsiliarlabor für FSME, das seit 2015 in diesem Institut angesiedelt ist.
Wer gern mehr erfahren möchte, schaut bitte direkt unter Deutsches Grünes Kreuz e.V. - www.dgk.de
Hinweis: Im Epidemiologen Bulletin Nr. 9/2023 vom 2. März ist die aktuelle Karte mit den FSME-Risikogebieten erschienen. - https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2023/09/Art_01.html