Kopfschmerz ist nicht gleich Kopfschmerz
Was tun, wenn der Kopf dröhnt?
Experteninterview mit PD Dr. med. Charly Gaul, Facharzt für Neurologie, Spezielle Schmerztherapie (Kopfschmerzzentrum Frankfurt)
Welche Form von Kopfschmerz gibt es und wann spricht man von Migräne?
Dr. Gaul: „Die internationale Kopfschmerzklassifikation unterscheidet mehr als 250 verschiedene Kopfschmerzdiagnosen. Die meisten Kopfschmerz-Betroffenen leiden unter einem primären Kopfschmerz, das heißt die Kopfschmerzen selbst stellen die Erkrankung dar, davon grenzt man sekundäre Kopfschmerzen ab.
Sekundäre Kopfschmerzen treten als Symptom einer anderen Erkrankung, z.B. einer akuten Infektion oder nach einem Schädeltrauma auf.
Der häufigste primäre Kopfschmerz ist der Spannungskopfschmerz, der häufigste primäre Kopfschmerz, der zum Arzt führt, ist die Migräne.“
Was hat es mit der Migräne auf sich?
Dr. Gaul: „Migräne ist eine Kopfschmerzerkrankung, die meist familiär gehäuft auftritt.
Typisch sind Kopfschmerzattacken, die zwischen einem halben und drei Tagen andauern, bei Kindern können auch kürzere Attacken auftreten.
Die Kopfschmerzen sind häufig mittelschwer bis stark ausgeprägt.
Bei vielen erwachsenen Migränepatienten sind die Kopfschmerzen einseitig, es werden durchaus aber auch beidseitige Migräneattacken berichtet.
Typische Begleitsymptome sind Licht- und Geräuschempfindlichkeit, auch Geruchsempfindlichkeit tritt auf. Übelkeit, manchmal auch Erbrechen sind weitere typische Begleitsymptome.
Sehr typisch für die Migräne ist, dass ein Ruhe- und Rückzugsbedürfnis besteht und die Kopfschmerzen bei körperlicher Aktivität in ihrer Intensität deutlich zunehmen. Migränekopfschmerzen werden häufig als pochend, stechend oder pulsierend berichtet.“
Können bestimmte Lebensmittel Kopfschmerzen auslösen?
Dr. Gaul: „Sowohl Betroffene, die an einer Migräne, als auch solche, die an einem Clusterkopfschmerz leiden, berichten Alkohol als häufigen Auslöser, auch glutamathaltige und histaminhaltige Lebensmittel werden häufig als Auslöser benannt.
Generelle Regeln, welche Lebensmittel zu Kopfschmerzen führen und welche nicht, kann man nicht benennen.
Letztlich ist dies eine individuelle Beobachtung der Patienten und deshalb ist es auch nicht lohnend, auf alle Lebensmittel zu verzichten, die in Broschüren oder im Internet als potenzielle Auslöser benannt werden.“
Was ist mit Wetterumschwüngen? Gibt es hier Unterschiede zwischen Betroffenen mit „normalen“ Kopfschmerzen und Migräniker*innen?
Dr. Gaul: „Wetterfühligkeit ist weit verbreitet, dies betrifft sowohl Patienten, die an Spannungskopfschmerzen als auch solche, die an Migräne leiden.
Das Phänomen ist in wissenschaftlichen Untersuchungen schwer zu fassen, es konnte jedoch gezeigt werden, dass Wetterumschwünge mit deutlichen Änderungen des Luftdrucks und der Temperatur das Auftreten von Kopfschmerzattacken begünstigen.
Migränepatienten sind hier besonders empfindlich. Individuelle Vorhersagen können jedoch nicht gemacht werden. Zeitungsnotizen,die „Migränewetter“ ankündigen, können sich auch ungünstig auswirken und zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Das Wetter können die Betroffenen ohnehin nicht ändern, Ziel sollte es sein, einen so gesunden Organismus und Lebensstil zu haben, dass er wenig auf solche Einflüsse reagiert.“
Wie sieht es mit der Strahlung von elektronischen Geräten aus? Verursacht sie Attacken?
Dr. Gaul: „Studien, die diesen Zusammenhang belegen, liegen nicht vor.“
Ist Ruhe generell ein Mittel, um den Schmerz loszuwerden?
Dr. Gaul: „Stress und Stressabfall sind wichtige Trigger von Kopfschmerzattacken. Es kann also gerade in der Erholungsphase nach Stress zu Kopfschmerzen kommen.
Das rechtzeitige Einlegen einer Ruhepause kann vorbeugend wirken. Im Migräneanfall besteht ein deutliches Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug, dem sollten Patienten soweit möglich auch nachgeben, da das Gehirn in seiner Reizverarbeitung überfordert ist und sich in der Ruhe erholen kann.
Als alleinige Therapie einer schweren Migräneattacke wird Ruhe häufig nicht ausreichend sein.“
Was ist die „Aura“ bei Migräniker*innen?
Dr. Gaul: „Unter der Aura versteht man neurologische Reiz- oder Ausfallssymptome, die meist zu Beginn der Migräneattacke noch vor den Kopfschmerzen auftreten.
Die häufigste Manifestation ist die visuelle Aura, berichtet wird ein sich über mehrere Minuten ausbreitendes farbiges Flimmerskotom oder ein Gesichtsfelddefekt.
Neben den visuellen Auren können auch sensible Störungen auftreten, dabei berichten Patienten über ein Taubwerden ihrer Hand, das sich langsam ausbreitet, den Arm hinaufsteigt und bis ins Gesicht ziehen kann.
Selten kommt es auch zu motorischen Auren, bei den neben dem Taubwerden eine Ungeschicklichkeit und Schwäche der motorischen Funktion auftritt.
Wortfindungsstörungen können ebenfalls ein Aurasymptom sein.
Aurasymptome halten zwischen 30 und 60 Minuten an. Wenn verschiedene dieser Symptome gemeinsam auftreten, kann eine Aura auch länger als 60 Minuten anhalten. Selten wird auch das Auftreten von Auren berichtet, ohne dass im Anschluss ein Kopfschmerz folgt, dies bezeichnet man als isolierte Aura.“
Wann sollte ich bei starken Kopfschmerzen zum Arzt gehen?
Dr. Gaul: „Betroffene, die ihre Kopfschmerzen kennen und damit gut umgehen können, brauchen in der Regel keinen Arzt. Ist die Diagnose unklar oder treten ungewöhnliche Symptome auf,sollte denen unbedingt nachgegangen werden.
Grundsätzlich gilt der Rat, dass Kopfschmerzen, die erstmals nach dem 50. Lebensjahr auftreten, ärztlich diagnostiziert werden sollten.
Ebenso sollte ein Arzt aufgesucht werden, wenn Kopfschmerzen im Zusammenhang mit Fieber auftreten (eine Meningitis, also Hirnhautentzündung, sollte nicht übersehen werden) oder nach einem Schädeltrauma.
Auch das Auftreten von epileptischen Anfällen im Zusammenhang mit Kopfschmerzen erfordert unbedingt Diagnostik. Dann, wenn Kopfschmerzen sich wesentlich verändern oder auf die sonst wirksame Therapie nicht mehr ansprechen, ist ein Arztbesuch sinnvoll.“
Was können Betroffene selbst tun, um Migräneattacken vorzubeugen?
Dr. Gaul: „Eine Voraussetzung, um mit den Kopfschmerzattacken besser umzugehen ist, dass man sich mit seinen eigenen Kopfschmerzen gut auskennt, auch die Akutmedikation zum richtigen Zeitpunkt und in der korrekten Dosierung einnimmt.
In der Vorbeugung sind nichtmedikamentöse Verfahren gut wirksam, Studien konnten zeigen, dass sowohl moderater Ausdauersport als auch das Erlernen eines Entspannungstrainings, wie progressive Muskelrelaxation nach Jacobson gut wirksam sein können.
Voraussetzung ist allerdings die regelmäßige Anwendung. Regelmäßiger ausreichender Schlaf und regelmäßige Mahlzeiten helfen ebenso, da unregelmäßiger Schlaf oder z.B. Schichtwechsel im Beruf Migräneattacken begünstigen. Auch Fasten kann Migräneattacken auslösen.“
Welche Rolle spielt sportliche Betätigung?
Dr. Gaul: „Moderater Ausdauersport ist zur Migräneprophylaxe gut wirksam. Damit die Motivation erhalten bleibt, ist es wichtig, eine Betätigung zu finden, die den Betroffenen Freude macht. Ob dies dann eher Joggen, Schwimmen oder Radfahren ist, ist letztlich ohne Bedeutung.
Überanstrengt sich ein untrainierter Migränepatient, können Kopfschmerzattacken ausgelöst werden, deshalb wird häufig auch Nordic Walking empfohlen, womit Belastungsspitzen vermieden werden.
Geht man solche Aktivitäten nicht alleine,sondern in einer Gruppe nach, bleibt die Motivation häufig länger erhalten.“
Welche Therapiemöglichkeiten stehen akut Kopfschmerzgeplagten derzeit zur Verfügung?
Dr. Gaul: „Zur Akuttherapie stehen freiverkäufliche Schmerzmittel wie Ibuprofen, Acetylsalicylsäure Paracetamol oder die Kombination aus Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Coffein zur Verfügung. Sind diese unzureichend wirksam, kann ein Migränemittel (Triptan) eingesetzt werden.
In Deutschland sind sieben unterschiedliche Triptane als Tabletten, Schmelztabletten, Nasenspray oder zur Selbstinjektion unter die Haut mit einem Fertig-Pen in unterschiedlichen Dosierungen zugelassen. Die Auswahl erfolgt nach der Schwere der Migräneattacke und häufig nach dem Ausmaß der Übelkeit. Sumatriptan 50 mg, Naratriptan 2,5 mg, und Almotriptan 12,5 mg sind freiverkäuflich in der Apotheke erhältlich.
Besteht ausgeprägte Übelkeit, kann zusätzlich ein Medikament gegen Übelkeit und Erbrechen wie Metoclopramid eingenommen werden.
Wichtig ist die rechtzeitige und ausreichend hochdosierte Einnahme der Akutmedikation.
Akute Medikation sollte jedoch an weniger als 10 Tagen im Monat eingenommen werden, da sonst insbesondere bei Migränepatienten eine Zunahme der Kopfschmerzhäufigkeit resultieren kann (Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch).“
Und wie sieht es vorbeugend aus?
Dr. Gaul: „Basismaßnahmen der Prophylaxe sind Lebensstilveränderungen, die Schlaf und regelmäßige Ernährung betreffen, das Erlernen eines Entspannungsverfahren sowie Ausdauersport.
Zur medikamentösen Prophylaxe stehen Betablocker, Kalziumantagonisten, Medikamente aus der Epilepsiebehandlung, bestimmte Antidepressiva sowie bei chronischer Migräne (15 oder mehr Kopfschmerztage pro Monat) Botulinumtoxin zur Verfügung.
Sind diese Präparate unwirksam oder werden nicht vertragen, kann ein monoklonaler Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um eine neue Generation migräneprophylaktischer Medikamente mit guter Wirksamkeit und Verträglichkeit.
Die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ist jedoch an das vorherige Ausschöpfen der Standardtherapien gebunden.“
Wir bedanken uns bei ABC HEALTHCARE für das Interview und die interessanten Informationen