Leben ohne Zittern dank Schallwellen
Deutschlandweite Premiere – Ärzte am Uni-Klinikum Bonn behandeln Tremor mit hoch fokussiertem Ultraschall
Allein eine handschriftliche Unterschrift war für Dieter Z. und Klaus J. bis vor kurzem nicht möglich. Denn aufgrund ihres schweren therapieresistenten essentiellen Tremors zitterten ihre Hände zu stark. Hilfe fanden sie am Universitätsklinikum Bonn. Das dortige Team aus Neurologen, Radiologen und Neurochirurgen hat kürzlich ein System zur Anwendung von Magnetresonanz(MR)-gesteuertem, hoch fokussiertem Ultraschall (MRgFUS) im Gehirn in Betrieb genommen.
Die Bonner Ärzte nutzen das deutschlandweit erste Gerät dieser Art bei schwerem, nicht-therapierbarem essentiellem Tremor und Parkinson Tremor – gezielt und ohne den Schädel zu öffnen. Dieter Z. und Klaus J. waren jetzt die ersten beiden Patienten, die sie im Rahmen einer Studie erfolgreich mit ausgezeichneten Ergebnissen behandelten.
„Es war faszinierend: Ich kam aus der Röhre und meine Hand war ruhig. Ich kann endlich wieder ein Glas halten“, freut sich Dieter Z, der seit etwa fünf Jahren unter schwerem, nicht-therapierbarem essentiellem Tremor litt. Etwa drei Stunden dauerte seine Behandlung, bei der hochintensive Schallwellen von außen die dafür verantwortlichen Areale im Gehirn abschalteten.
Dazu wurde dem 81-Jährigen für den hoch fokussierten Ultraschall eine Art Helm mit integrierter Wasserkühlung für das Schädeldach aufgesetzt. Von 1.024 Positionen werden bei diesem Verfahren Ultraschallwellen – jede für sich ungefährlich für das Hirngewebe – punktgenau auf den Zielpunkt gesendet und dort wie bei einem Brennglas gebündelt. Für die dafür notwendige hochpräzise Lokalisation sorgt die mit Hilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) gesteuerte Neuronavigation, damit nur der gewünschte Bereich in der Tiefe des Gehirns inaktiviert wird.
Punkt für Punkt, bis das Zittern in der Hand ganz weg ist
„Wo der ideale Zielpunkt ist, können wir durch MR-kontrollierte Energiesteigerung bei der Behandlung gefahrlos testen“, sagt Prof. Dr. Ullrich Wüllner, Leiter der Sektion Bewegungsstörungen an der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikum Bonn.
So tastet sich das Bonner Team aus Neurologen, Radiologen und Neurochirurgen Schritt für Schritt vor und prüft mit einer unterhalb 50 Grad Celsius umkehrbaren Hemmung, ob der Tremor bei dem während des Eingriffs wachen Patienten wie gewünscht abnimmt. Ist ein Zielpunkt so gefunden, steigert es die Temperatur bis auf etwa 55 bis 60 Grad Celsius.
„Nur dort wird das Hirngewebe zerstört und so inaktiviert. Dabei ist die Präzision dank MR-Kontrolle sehr hoch“, sagt Prof. Dr. Hans Schild, Direktor der Klinik für Radiologie am Universitätsklinikum Bonn.
Weltweite Studienlage ist vielversprechend
Nach den ersten internationalen Studien lässt sich durch die Kombination aus fokussierten Ultraschall und MR-Steuerung während des Eingriffs an einer Kopfhälfte das Händezittern auf der entgegengesetzten Körperseite signifikant verbessern. Dem großen Vorteil des neuen Verfahrens, dass der Schädel nicht wie bei der Tiefen Hirnstimulation zur Implantation von Elektroden geöffnet werden muss, steht der Nachteil gegenüber, dass die Inaktivierung des Hirngewebes anders als bei der Tiefenhirnstimulation nicht reversibel ist.
Zudem könnte eine beidseitige Behandlung des Tremors mit MRgFUS nach derzeitigen Erkenntnissen möglicherweise mit einem erhöhten Risiko für Sprechstörungen verbunden sein.
„Laut den bisherigen weltweit erzielten Ergebnissen, hat die Methode durchaus das Potential eine Alternative zur bereits etablierten Tiefenhirnstimulation zu werden – vor allem für Patienten mit erhöhtem OP-Risiko oder diejenigen, die eine Tiefen Hirnstimulation aufgrund des dafür erforderlichen chirurgischen Eingriffs ablehnen“, sagt Prof. Dr. Hartmut Vatter, Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Bonn. „Es bedarf jedoch weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen wie wir sie hier in Bonn auch durchführen.“
Wieder mehr Selbständigkeit im Alltag
Seit etwa 30 Jahren litt Klaus J. unter starkem Zittern der Hände, des Kopfs und der Stimme. Die Bewegungsstörung liegt bei dem 70-Jährigen in der Familie. Neben starken beruflichen Einschränkungen zog er sich wie Dieter Z. im Privatleben – trotz Versuche soziale Kontakte aufrechtzuerhalten – immer mehr zurück. Denn beide konnten beispielsweise nur mit Schwierigkeiten essen, und trinken war für sie nur mit einem Strohhalm möglich. Allein an ein Essen im Restaurant war nicht zu denken. „Aber meine Frau und ich hatten uns trotzdem gut eingerichtet.
Den Eingriff habe ich für meine Kinder gewagt. Ich wollte ihnen für den Fall X zeigen: Es gibt eine greifbare Lösung“, sagt der Familienvater von zwei Kindern und vier Enkelkindern. Jetzt erfreut er sich wie Dieter Z. an seiner zurückgewonnen Lebensqualität – gerade auch bei den vermeintlich kleinen Dingen wie der morgendlichen Nassrasur.
„In 25 Jahren Neurologie habe ich es noch nicht erlebt, wie eine so starke Bewegungsstörung so deutlich gebessert werden kann. Ich halte die Methode für bahnbrechend und glaube, dass man vielen Betroffenen damit grundsätzlich helfen kann, aber auch viel über die Entstehung des essentiellen Tremors lernen wird“, sagt der klinische Studienleiter Prof. Wüllner.
Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zu den ersten Einsätzen von MRgFUS in Deutschland:
Magnet-Resonanztomographisch gesteuerte fokussierte Ultraschallkoagulation (MRgFUS) ist ein neues Verfahren zur Tremorbehandlung, mit dem spezifische Kerne des Thalamus ausgeschaltet werden können. Dies geschieht durch Fokussierung von unterschwelliger Energie durch die intakte Haut von 1024 Sendern aus, die um den Kopf angeordnet sind. Nur an der vorbestimmten Stelle, wird dann die zur Thermokoagulation nötige Temperatur von ca. 56-60 C erreicht.
Bislang hat sich das Verfahren einseitig beim essentiellen Tremor[1] und beim Tremor der Parkinson-Erkrankung[2] als wirksam erwiesen und war nur mit geringen Nebenwirkungen verbunden. Dieses in Deutschland neue Verfahren verspricht hohe Genauigkeit und Sicherheit für die Betroffenen.
Die MRgFUS kann sich zu einer Alternative zur Tiefen Hirnstimulation entwickeln, wenn Nutzen und Risiko von MRgFUS nach wissenschaftlichen Standards weiter untersucht werden. Studien bzgl. neuer weiterer Anwendungen laufen bereits.
Das Verfahren stellt einen vielversprechenden Ansatz für die Behandlung unterschiedlicher neurologischer Erkrankungen dar und sollte daher nur an ausgewiesenen Zentren zum Einsatz kommen, die die Betreuung durch ein interdisziplinäres Team bestehend aus Neurologen, Neurochirurgen und (Neuro-)Radiologen gewährleisten und beide Verfahren anbieten können.
Quelle:
Deutsches Gesundheitsportal - www.deutschesgesundheitsportal.de
Pressemitteilung des Universitätsklinikum Bonn vom 30. Juli 2018
[1] Elias WJ, Lipsman N, Ondo WG, Ghanouni P, Kim YG, Lee W, Schwartz M, Hynynen K, Lozano AM, Shah BB, Huss D, Dallapiazza RF, Gwinn R, Witt J, Ro S, Eisenberg HM, Fishman PS, Gandhi D, Halpern CH, Chuang R, Butts Pauly K, Tierney TS, Hayes MT, Cosgrove GR, Yamaguchi T, Abe K, Taira T, Chang JW.(2016) A Randomized Trial of Focused Ultrasound Thalamotomy for Essential Tremor. N Engl J Med;375:730-9; 10.1056/NEJMoa1600159.
[2] Bond AE, Shah BB, Huss DS, Dallapiazza RF, Warren A, Harrison MB, Sperling SA, Wang XQ, Gwinn R, Witt J, Ro S, Elias WJ.(2017) Safety and Efficacy of Focused Ultrasound Thalamotomy for Patients With Medication-Refractory, Tremor-Dominant Parkinson Disease: A Randomized Clinical Trial. JAMA Neurol;74:1412-8; 10.1001/jamaneurol.2017.3098.