Neues Medikament wirkt gegen 2 Formen von Multipler Sklerose

Die Behandlung von Multipler Sklerose macht weiter grosse Fortschritte.

Nun zeigt sich, dass das neue Medikament Ocrelizumab dem bereits zugelassenen Medikament Interferon ß-1A in der Behandlung der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose deutlich überlegen ist. Zudem hat mit Ocrelizumab erstmals überhaupt ein Medikament eine Wirkung in der Behandlung der primär progredienten Multiplen Sklerose erzielt und das Fortschreiten der Behinderung verzögert. Die Ergebnisse der internationalen Phase-3-Studien, die massgebend auch am Universitätsspital Basel durchgeführt wurden, sind in der Fachzeitschrift «New England Journal of Medicine» veröffentlicht worden.

Ocrelizumab ist ein neu entwickelter humanisierter monoklonaler Antikörper. In den in über 40 Ländern durchgeführten Phase-3-Studien wurde die Wirksamkeit von Ocrelizumab bei zwei Formen von Multipler Sklerose (MS) untersucht. In die Studien waren jeweils über 700 Patientinnen und Patienten eingeschlossen. Bei der schubförmigen MS erhielten die Studienteilnehmer alle 24 Wochen intravenös 600 Milligramm Ocrelizumab und dreimal pro Woche Placebo subkutan oder alle 24 Wochen Placebo intravenös und dreimal wöchentlich 44 Mikrogramm Interferon ß-1A subkutan. In der Studie zur primär progredienten MS wurde die gleiche Dosis Ocrelizumab oder eine Placebo-Infusion gegeben.

Wie die nun publizierten Studienergebnisse zeigen, konnte Ocrelizumab bei der schubförmigen MS im Vergleich zum bereits auf dem Markt erhältlichen Interferon ß-1A die Zahl der Schübe um 45 Prozent reduzieren. Ausserdem konnte mit der Magnetresonanztomographie festgestellt werden, dass sich die Zahl entzündlicher Herde um über 90 Prozent verringerte. Weil mit Ocrelizumab auch wahrscheinlicher ist, dass die durch MS bedingte Behinderung weniger stark zunimmt, kann von einer deutlichen Überlegenheit gegenüber Interferon ß-1A gesprochen werden.

Für die Behandlung der primär progredienten MS, die von Anfang an stetig fortschreitend ohne Schübe verläuft, gibt es bisher keine zugelassene, als wirksam nachgewiesene Therapie. Nun hat mit Ocrelizumab erstmals überhaupt ein Medikament in einer Phase-3-Studie eine gegenüber Placebo signifikante Wirkung gezeigt. So stellte sich heraus, dass es mit Ocrelizumab weniger wahrscheinlich ist, dass sich die durch MS bedingte Behinderung weiter verschlechtert.

Therapie deutlich wirksamer und gut verträglich
Die Studien wurden geleitet von den Professoren Ludwig Kappos von der Universität Basel und Chefarzt Neurologie des Universitätsspitals Basel, Stephen Hauser von der University of California San Francisco und von Xavier Montalban von der Universitat Autònoma de Barcelona. Für Prof. Kappos ist das Ergebnis unmissverständlich: «Bei der schubförmigen MS ist Ocrelizumab hochwirksam und Interferon ß-1A deutlich überlegen. Bei der primär progredienten MS hat mit Ocrelizumab erstmals überhaupt ein Medikament eine Wirkung erzielt und das Fortschreiten der Behinderung verzögert.»

Insgesamt wurde Ocrelizumab in den nun abgeschlossenen Phase-3-Studien gut vertragen. Trotzdem sind weitere Untersuchungen zur Langzeitsicherheit dieser neuen Therapieoption nötig. Die jetzt publizierten Resultate geben jedoch Anlass zur Hoffnung, dass Menschen, die von MS betroffen sind, künftig eine deutlich wirksamere Therapie zur Verfügung stehen wird als bis anhin.

Neben dem direkten Nutzen für Menschen, die von MS betroffen sind, tragen die Studien auch zu einem vertieften Verständnis der Entstehung der Krankheit bei. Lange wurde angenommen, dass vor allem die T-Zellen für die Entzündungen und damit für die fortschreitende Behinderung bei MS verantwortlich sind.

«Nun tritt eine andere Untergruppe von Immunzellen, nämlich die B-Zellen, als treibende Kraft für die entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems in den Mittelpunkt des Interesses», sagt Prof. Tobias Derfuss, Leiter der Neurologischen Poliklinik des Universitätsspitals Basel. Der monoklonale Antikörper Ocrelizumab bindet gezielt an den CD20-Rezeptor auf der Oberfläche von B-Zellen und führt zu deren vollständigem Verschwinden aus dem Kreislauf. Mit seiner Forschungsgruppe am Departement Biomedizin der Universität Basel untersucht Derfuss, wie B-Zellen dazu kommen, Eigenes als fremd anzusehen und dagegen zu reagieren.

Quelle:
Prof. Dr. Ludwig Kappos, Universität Basel/Universitätsspital Basel, Departement Biomedizin, www.usb.ch

Den Originalbeitrag finden Sie unter http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1601277#t=article


Originalbeitrag
Stephen L. Hauser, Amit Bar-Or, Giancarlo Comi, Gavin Giovannoni, Hans-Peter Hartung, Bernhard Hemmer, Fred Lublin, Xavier Montalban, Kottil W. Rammohan, Krzysztof Selmaj, Anthony Traboulsee, Jerry S. Wolinsky, Douglas L. Arnold, Gaelle Klingelschmitt, Donna Masterman, Paulo Fontoura, Shibeshih Belachew, Peter Chin, Nicole Mairon, Hideki Garren, Ludwig Kappos, on behalf of the OPERA I and II clinical investigators

Ocrelizumab Versus Interferon ß-1a in Relapsing Multiple Sclerosis

New England Journal of Medicine (2016), December 21, 2016 | DOI: 10.1056/NEJMoa1601277