Warum verläuft Darmkrebs individuell so unterschiedlich?

Und wie finden wir für jeden Patienten die bestmögliche Therapie?

Antworten gibt Professor Dr. med. Bertram Wiedenmann, Kongresspräsident DGVS, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie und Hepatologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin (CCM, CVK)  

Die Diagnostik und Behandlung des Dickdarmkrebses oder Kolonkarzinoms hat sich in den letzten 40 Jahren dramatisch verbessert. Hiermit verbunden konnte vor allem auch bedingt durch Vorsorgeuntersuchungen mittels Dickdarmspiegelung, sogenannte Screening Kolonoskopien, das Auftreten von Kolonkarzinomen gesenkt werden.

Bei circa zehn Prozent aller  Screening-Untersuchungen finden sich Vorstufen von Krebs, sogenannte Polypen. Diese Polypen entsprechen gutartigen Tumoren oder Adenomen, die sich in unterschiedlicher Größe und Morphologie finden lassen.

Im Rahmen der Untersuchung ergibt sich die Möglichkeit, diese Polypen zu entfernen und damit der Krebsentstehung vorzubeugen. Über die Jahre hat sich zunehmend gezeigt, dass diese Polypen in Abhängigkeit ihres Erscheinungsbildes nur dann gut erkennbar sind, solange diese erhaben, Pilzen ähnlich mit und ohne Stiel, mit einer Elektroschlinge abgetragen werden können.

Dagegen ist die Erkennung der selteneren (circa 15 Prozent), sogenannten eingesenkten Adenome häufig schwierig und sie können sogar vom Untersucher übersehen werden. Mittlerweile ist auch bekannt, dass diese unterschiedlich aussehenden Adenome ein unterschiedliches Wachstums- und Ausbreitungsverhalten aufweisen.

Feingewebliche, sogenannte histologische und molekularbiologische Untersuchungen bestätigen, dass mit unterschiedlichen endoskopischen Erscheinungsbildern/Phänotypen auch unterschiedliche molekulare Muster verbunden sind. Diese molekularen Muster, die wie individuelle Fingerabdrücke zu betrachten sind, lassen sich auch in etwas abgeänderter Form noch im Falle der Entartung, der sogenannten malignen Transformation, verfolgen und nachweisen.  

Neben diesen komplexen „Genmustern“ (Genomic profile) finden sich jedoch auch einzelne, manchmal mehrere in einer Liste oder einem Panel zusammengefasste Marker bestehend aus mehreren Genen und deren Genprodukten als prognostisch verwertbar (Phipps et al., 2015). So wurde aktuell in einer Studie mit über 2 000 Patienten der Transkriptionsfaktor CDX 2 als prognostisch verwertbarer molekularer Marker identifiziert, der bei seinem Nachweis im Tumorgewebe für den Patienten eine bessere Prognose beinhaltet als im Falle des Fehlens dieses Markers (Dalerba et al., 2016)  

Diese molekularen Befunde haben über die Jahre zunehmend auch Eingang in neue Behandlungsformen gefunden (Fakih, 2015). Vor 40 Jahren gab es neben der Operation und Strahlentherapie bei Enddarmtumoren, sogenannten Rektumkarzinomen, als medikamentöse Therapie nur das Chemotherapeutikum 5-Fluorouracil (5-FU).

Dieses Medikament ist auch heute noch in Kombination mit den Chemotherapeutika Oxaliplatin und/oder Irinotecan zusammen mit Lävulinsäure ein unverzichtbarer Bestandteil unserer heutigen Krebsbehandlung. Dies gilt sowohl für die Behandlung von Patienten nach einer Operation, in deren Rahmen ein Lymphknotenbefall beobachtet wurde und man durch die postoperative Gabe dieses Medikamentes über mehrere Monate das Risiko des erneuten Auftretens des Krebses vermindern kann (sogenannte adjuvante Therapie).

Gleiches gilt für den Einsatz von 5-FU bei Patienten, bei denen schon Tumorabsiedlungen in der Leber, sogenannte Lebermetastasen, vorhanden sind und man die Metastasen medikamentös verkleinern oder sogar zur Auflösung bringen möchte (sogenannte neoadjuvante Therapie).  

Heute wissen wir, dass der Dickdarmkrebs sich in Abhängigkeit seines Entstehungsortes und auch der beobachteten Polypenanzahl in verschiedene Untergruppen unterteilen lässt. Diese Unterteilung ist von zunehmender Bedeutung, da uns immer mehr Behandlungsmöglichkeiten, vor allem neue Medikamente, die gezielt auf ein Tumormolekül gerichtet sind, neudeutsch „targeted agents“, zur Verfügung stehen, die sich abhängig von der jeweiligen Untergruppe zielgerecht einsetzen lassen.

Während schon seit Jahrzehnten klar ist, dass nur beim Rektumkarzinom eine Strahlentherapie möglich ist, wird seit Neuestem zusätzlich zwischen einem tief und hoch sitzenden Rektumkarzinom unterschieden, da die technischen Möglichkeiten der Strahlentherapie verfeinert wurden und zusätzlich neue Medikamente sich in Kombination mit der Strahlentherapie anbieten.  

Beim Kolonkarzinom sind seit Langem die relativ selten (unter fünf Prozent) vorkommenden, erblich bedingten Darmkrebserkrankungen bekannt. Eine Reihe unterschiedlicher Genveränderungen sind mittlerweile bekannt, die mit einem unterschiedlichen endoskopischen Erscheinungsbild vergesellschaftet sind. So finden sich bei der sogenannten familiären adenomatösen Polypose meist mehr als hundert Polypen vor allem im linken unteren Schenkel des Dickdarmes. Dagegen findet sich ebenfalls eine Vielzahl von Polypen im Anfangsteil oder rechten oberen Schenkel des Dickdarmes bei Patienten mit dem sogenannten Lynch-Syndrom.

Bei Patienten mit einer MUTYH-Mutation finden sich dagegen weniger Polypen, diese jedoch ähnlich in der Verteilung wie beim Lynch-Syndrom.

Therapie der Wahl ist bei diesen Patienten die vorbeugende operative Entfernung des Dickdarmes. Sind zum Diagnosezeitpunkt bereits Fernmetastasen vorhanden, bieten sich besonders beim Lynch-Syndrom neue sogenannte Checkpoint-Inhibitoren, die besonders mit Blockade des Checkpoint-Moleküls PD-1 die Tumorabsiedlungen nachhaltig verkleinern oder manchmal sogar wieder zum Verschwinden bringen können (Le et al., 2015).

Wesentliche molekulare Kenngröße für eine erfolgreiche Behandlung ist hierbei der Nachweis einer genetischen Instabilität, einer sogenannten Mikrosatelliteninstabilität, die mittels immunhistologischer und genetischer Nachweisverfahren in kürzester Zeit festgestellt werden kann.

Darüber hinaus ist bei den sogenannten sporadischen, das heißt nicht erblichen Dickdarm- und Rektumkarzinomen (kolorektalen Karzinomen) heute die Erkennung des Mutationsstatus des Protoonkogens K-Ras von wichtiger Bedeutung, da nur bei fehlender Mutation von K-Ras (sogenannter Wildtyp) Antikörper gegen den Rezeptor des EGF-Wachstumsfaktors (Cetuximab, Panitumumab) erfolgreich zum Einsatz kommen können.  

Untersuchungen der letzten Jahre sprechen zusätzlich dafür, dass Patienten, die eine B-RafMutation aufweisen, auf eine Therapie mit EGF-Rezeptor-Blockern oder -Antikörpern deutlich schlechter ansprechen. Somit zeichnen sich zunehmend sogenannte prädiktive Marker ab, die uns die Möglichkeit geben, vor Beginn einer Therapie Festlegungen zu treffen, ob ein Medikament zielsicher – ähnlich einem Drohneneinsatz im militärischen Sinne – überhaupt zum Einsatz kommen kann.

Bei dem zukünftig zu erwartenden, verlässlichen Vorliegen prädiktiver Marker, die einen Therapieeinsatz klar verbieten sollten, würde damit dem Patienten eine wirkungslose Therapie einschließlich der häufig damit verbundenen Nebenwirkungen erspart bleiben.  

Aktuelle wie auch zukünftige Entwicklungen geben berechtigten Grund zu hoffen, dass in der gerade angebrochenen, neuen Ära der Präzisionsmedizin in den nächsten Jahren zunehmend für jeden Patienten in Abhängigkeit des jeweiligen molekularen Fingerabdrucks seines Tumors maßgeschneiderte Therapien zur Verfügung stehen werden, die nur dann gezielt zur Therapie  eingesetzt werden, wenn man weiß, dass das Ziel auch sicher getroffen werden kann.

Ob dieser Ansatz zukünftig allein mit den neuen Technologien erfolgreich sein wird oder nicht auch zukünftig noch klassische, klinische Parameter wie zum Beispiel eine TNM-Klassifikation notwendig bleiben werden, wird abzuwarten sein.  

Wer gern mehr erfahren möchte, schaut bitte direkt unter www.viszeralmedizin.com


Literatur:
Dalerba P et al., New Engl. J. Med. 2016; 374(3):211-22. CDX2 as a Prognostic Biomarker in Stage II and Stage III Colon Cancer.   

Fakih MG. J Clin. Oncol. 2015; 33(16):1809-1824. Metastatic Colorectal Cancer: Current State and Future Directions. 

Nagaraja AK et al., Journal of Clinical Oncology 2015; 33(34):3990-2. Hitting the Target in BRAFMutant Colorectal Cancer. 

Phipps AI et al., Gastroenterology 2015; 148(1):77-87. Association between molecular subtypes of colorectal cancer and patient survival.    
(Es gilt das gesprochene Wort!)