Erweitertes OP-Verfahren bei bösartigen Hirntumoren
Deutsche Krebshilfe fördert neurochirurgische Studie zum Glioblastom unter Federführung des Universitätsklinikums Bonn (UKB) – Die Kliniken für Neurochirurgie und Neuroonkologie am UKB forschen an neuen Therapieansätzen zur Behandlung des Glioblastoms.
Die Lebenserwartung bei diesem bösartigen Hirntumor ist schlecht, eine Chance auf Heilung gibt es bislang nicht. Ein chirurgisches Verfahren, das neben dem Tumor auch das umgebende Hirngewebe entfernt, könnte möglicherweise die Lebenserwartung der Patientinnen und Patienten verbessern.
Die ATLAS/NOA-29-Studie unter Leitung des Bonner Neurochirurgen Privatdozent Dr. Matthias Schneider soll Aufschluss darüber geben, welchen Einfluss dieses chirurgische Verfahren auf die Lebenserwartung und die Lebensqualität der Betroffenen hat. Das Projekt erhält eine Förderung durch die Deutsche Krebshilfe in Höhe von 1,4 Millionen Euro.
Das Glioblastom ist ein bösartiger Hirntumor mit einer Lebenserwartung von nur etwa 17 Monaten. Die operative Entfernung des Tumors ist ein wichtiger Bestandteil der Therapie, wobei in der Regel der im MRT sichtbare Tumoranteil entfernt wird. Da sich Glioblastomzellen jedoch über den im MRT erkennbaren Bereich in das angrenzende gesunde Gehirngewebe ausbreiten, beginnt der Tumor auch nach der Operation wieder zu wachsen.
„Indem wir zusätzlich Gewebe über den sichtbaren Tumorrand hinaus entfernen, könnte das Zeitfenster bis zum Wiederauftreten des Tumors verlängert und die Überlebenszeit der Patientinnen und Patienten verbessert werden“, erklärt Privatdozent Dr. Matthias Schneider, Oberarzt der Klinik für Neurochirurgie und Leiter der interdisziplinären Brain Tumor Translational Research Group am UKB.
Nicht alle Betroffene kommen für einen solchen Eingriff in Frage
Die Entfernung von Hirngewebe, das an den Tumor grenzt, kann allerdings – abhängig von der Lokalisation im Gehirn – auch mit schweren neurologischen Ausfällen einhergehen. Deshalb eignet sich ein solches erweitertes Operationsverfahren nicht für jede Tumorlokalisation.
Glioblastome im vorderen Schläfenlappen könnten jedoch für dieses Vorgehen in Frage kommen, da für den Schläfenlappen erweiterte Resektionen bereits erprobt sind. So ist die vordere Schläfenlappenresektion, bei der sogar der gesamte vordere Schläfenlappen entfernt wird, ein gängiges Verfahren in der Epilepsiechirurgie. Diese chirurgische Variante wird bei Personen mit Epilepsie angewendet, deren Anfallsleiden im Schläfenlappen seinen Ursprung hat und nicht ausreichend auf Medikamente anspricht.
„Wir möchten unsere Erfahrungen aus der Epilepsiechirurgie nutzen, um zu erforschen, ob eine vordere Schläfenlappenresektion auch bei Patientinnen und Patienten mit einem im Schläfenlappen gelegenen Glioblastom geeignet sein könnte“, erläutert Professor Dr. Hartmut Vatter, Direktor der Klinik für Neurochirurgie am UKB. „Mit diesem Ansatz würden wir nicht nur den im MRT sichtbaren Tumor entfernen, sondern auch weitreichendere Bereiche des Schläfenlappens, die schon von Tumorzellen befallen sind.“
Die Studie geht auch der Frage nach, inwieweit die Lebensqualität beeinflusst wird
„Lebensverlängernde Effekte durch eine solch erweiterte Resektion von Glioblastomen im Schläfenlappen sind zwar beschrieben [s. Publikationshinweis], jedoch bis dato nicht systematisch in Studien untersucht worden. Unklar ist bisher auch, ob die Entfernung des vorderen Schläfenlappens mit kognitiven Einbußen einhergeht, die die Lebensqualität der operierten Patientinnen und Patienten einschränkt“, sagt Professor Dr. Ulrich Herrlinger, Direktor der Klinik für Neuroonkologie des UKB.
Die ATLAS/NOA-29-Studie soll deshalb auch klären, ob durch die Entfernung des gesamten vorderen Schläfenlappens die Lebensqualität der Betroffenen beeinträchtigt wird. Dazu sollen in den kommenden drei Jahren insgesamt 170 Glioblastompatientinnen und -patienten in 23 deutschen Zentren sowie jeweils in einem Zentrum in der Schweiz und in Österreich in der Studie einbezogen werden. Das Projekt erfolgt in Kooperation mit der Studienzentrale des Studienzentrums Bonn (SZB).
„Sollte sich ein Überlebensvorteil bei erhaltener Lebensqualität zeigen, würden die aus dieser Studie gewonnen Ergebnisse das chirurgische Vorgehen bei einem im Schläfenlappen gelegenen Glioblastom womöglich verändern. Betroffene könnten dann routinemäßig mit einer Entfernung des vorderen Schläfenlappens effektiver behandelt werden“, erhofft sich Privatdozent Schneider. Zudem könnten diese Erkenntnisse dann darauf hindeuten, dass eine erweiterte Resektion auch bei Glioblastomen in anderen ausgewählten Bereichen des Gehirns vorteilhaft sein könnte.
Quelle:
Universitätsklinikum Bonn - Mitteilung vom 24. April 2024
Publikation:
Schneider M. et al: Surgery for temporal glioblastoma: lobectomy outranks oncosurgical-based gross-total resection. Journal of Neuro-Oncology 2019, 145, 143-150; Doi:10.1007/s11060-019-03281-1
https://link.springer.com/article/10.1007/s11060-019-03281-1
Brain Tumour Translational Research Group:https://www.ukbonn.de/neurochirurgie/forschung/onkologische-forschung/
Das Centrum für Integrierte Onkologie (CIO Bonn)
ist das interdisziplinäre Krebszentrum des Universitätsklinikums Bonn und des Johanniter- Krankenhauses Bonn. Unter seinem Dach arbeiten alle Kliniken und Institute des UKB zusammen, die sich mit der Diagnose, Behandlung und Erforschung aller onkologischen Erkrankungen befassen.
Das CIO Bonn gehört zum bundesweiten Netzwerk ausgewählter Onkologischer Spitzenzentren der Deutschen Krebshilfe. Gemeinsam gestaltet dieser Verbund „Centrum für Integrierte Onkologie – CIO Aachen Bonn Köln Düsseldorf“ die Krebsmedizin für rund 11 Millionen Menschen.
Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB werden pro Jahr etwa 500.000 Patient*innen betreut, es sind ca. 9.000 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,6 Mrd. Euro. Neben den 3.500 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr 550 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet.
Das UKB steht im Wissenschafts-Ranking sowie in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW und weist den dritthöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf. Das F.A.Z.-Institut hat das UKB 2022 und 2023 als begehrtesten Arbeitgeber und Ausbildungs-Champion unter den öffentlichen Krankenhäusern in Deutschland ausgezeichnet.