Zellen geben metabolisches Transkriptionsgedächtnis an ihre Nachkommen weiter

Zellen verfügen über ein "Transkriptionsgedächtnis", das sie befähigt, sich an verändernde Umweltbedingungen wie die Verfügbarkeit von Nahrung anzupassen.

Doch wie geben Zellen dieses Transkriptionsgedächtnis an ihre Nachkommen weiter?

Ein Forscherteam um Dr. Poonam Bheda und Prof. Robert Schneider vom Institut für Funktionelle Epigenetik (IFE) des Helmholtz Zentrums München ging dieser Frage nach und veröffentlichte seine jüngsten Ergebnisse in Molecular Cell.

In Eukaryonten ist die DNA in einer Struktur verpackt, die Chromatin genannt wird. Durch epigenetische Mechanismen können Teile des Chromatins geöffnet oder geschlossen werden und dadurch für die Transkriptionsmaschinerie zugänglich werden - oder auch nicht. Epigenetische Mechanismen funktionieren also wie Schalter, die auf Umweltreize reagieren können.

Die Fähigkeit, sich an eine frühere transkriptionelle Reaktion auf einen bestimmten Reiz zu erinnern, ermöglicht es Zellen, schneller zu reagieren, wenn sie erneut auf denselben Reiz treffen. Dieses so genannte "transkriptionelle Gedächtnis" ist vorteilhaft für das Überleben der Zellen.

Beim Menschen ist es an umweltbedingten Krankheiten wie Diabetes beteiligt. Daher sind die Entschlüsselung der Regulation des transkriptionellen Gedächtnisses und die Mechanismen seiner Weitergabe von einer Zelle an ihre Nachkommen der Schlüssel zum Verständnis der Vererbung von Krankheitszuständen.

Forscher des Instituts für Funktionelle Epigenetik haben einen neuartigen Arbeitsablauf entwickelt, der Mikrofluidik mit Einzelzell-Live-Bildgebung kombiniert, um Stammbäume zu erstellen und Transkriptionsveränderungen und das Gedächtnis an diese Veränderungen in einzelnen Zellen über mehrere Generationen hinweg zu analysieren. "Die Mikrofluidik fängt einzelne Zellen ein, wodurch es möglich wird, ihr Verhalten zu überwachen und ihre Abstammung zurückzuverfolgen", sagt Dr. Poonam Bheda.

Die Forscher untersuchten das Galaktokinase-Gen GAL1* in Hefe als Modell für ein nährstoffabhängiges transkriptionelles  Gedächtnis. Um zu bestimmen, wie dieses Gedächtnis vererbt wird, führte das Team ein Hochdurchsatz-Screening durch, um neue Faktoren zu identifizieren, die dieses Gedächtnis steuern.

"Wir konzentrierten uns auf Chromatinfaktoren, weil wir die Hypothese aufstellten, dass epigenetische Mechanismen das Gedächtnis von Stoffwechselzuständen regulieren würden - und genau das haben wir gefunden", sagt Prof. Robert Schneider. Insgesamt stellt diese Arbeit einen grossen Fortschritt dar indem sie die Mechanismen der Gedächtnisaufrechterhaltung und dessen Vererbung aufdeckt.

Beim Menschen könnte das transkriptionelle Gedächtnis ein Treiber für das Fortschreiten von z.B. Diabetes sein.

Die Reaktion von Zellen auf hohen Blutzucker** hat enorme Auswirkungen auf die Patienten, da Zellen gegen Insulin resistent werden können. Mit diesem Ansatz könnten so zum Beispiel die molekularen Mechanismen hinter der Insulinresistenz aufgedeckt und ein Beitrag zur Entwicklung neuer Diabetes-Therapien geleistet werden.

Original-Publikation:
Bheda et al. (2020). Single-cell tracing dissects regulation of maintenance and inheritance of transcriptional reinduction memory. Molecular Cell. DOI: 10.1016/j.molcel.2020.04.016

Weitere Informationen:
Hintergrundinformationen zum metabolischen Transkriptionsgedächtnis finden Sie in diesem Übersichtsartikel:. DOI: 10.1016/j.molmet.2020.01.019.

* In Hefe ist Galaktose die nachrangige Kohlenstoffquelle für das Wachstum. Ist jedoch keine Glukose verfügbar, verstoffwechselt Hefe Galaktose, um Energie zu gewinnen. Daher exprimieren die Zellen verschiedene Enzyme, die Galaktose abbauen, darunter die Galaktokinase GAL1. Zellen, die noch nie mit Galaktose in Kontakt waren, brauchen einige Zeit, bis die Galaktose-Metabolismus-Maschinerie in Gang kommt, während Zellen, die diese Maschinerie zuvor einschalten mussten, schneller reagieren können, wenn sie erneut Galaktose ausgesetzt werden.

** Beim Menschen kann ein hoher Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie), und sei es auch nur für einen kurzen Zeitraum, ein metabolisches Gedächtnis hervorrufen, das zu lang anhaltenden Komplikationen führt. Diese Effekte sind weitgehend irreversibel, selbst wenn der Zuckerspiegel unter Kontrolle ist, und akkumulieren sich, um Adipositas, Diabetes und Alterung voranzutreiben.