Vom Bauch in den Kopf - Zöliakie

Für alle an Zöliakie erkrankten ändert sich unmittelbar nach der ärztlichen Diagnose ihr Leben.

Doch wie meistern Zöliakie-Betroffene ihren Alltag?

„Ernähren Sie sich ab heute ausschließlich glutenfrei.“ Ein Satz, der in wenigen Sekunden ausgesprochen ist, dessen Konsequenz den Alltag von Zöliakie betroffenen Menschen bis zu ihrem Lebensende prägen wird.  

Unmittelbar nach der Diagnose stehen Lieblingsspeisen und Getränke auf dem Prüfstand und es folgt ein massiver Eingriff in liebgewonnene Ess- und Trinkgewohnheiten. Am Ende dieses Prozesses folgen Verzicht auf glutenhaltiges Brot, Kuchen, Bier und vieles mehr - für immer.

Dies ist der Augenblick, in dem sich Zöliakie-Diagnostizierte neu erfinden müssen und es auch tun, denn Dinge, die man nicht verändern kann, muss man akzeptieren. Ab diesem Moment geht es darum, trotz Einschränkung maximale Lebensqualität zu finden.

Die Betroffenen werden zu Produkttestern und entdecken vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben das glutenfreie Sortiment im Supermarkt ihrer Wahl. Ein breites und tiefes Angebot großer und kleiner Hersteller wartet dort in den Regalen. Steht man als Betroffener zum ersten Mal davor, so schöpft man Mut, findet man doch für fast jedes Lebensmittel, das auf der persönlichen Streichliste glutenhaltiger Favoriten stand, einen Ersatz.

Ab hier entscheidet der persönliche Geschmack - und der Geldbeutel entscheidet mit. Glutenfreie Produkte sind weit teurer als ihre glutenhaltigen Verwandten. Eine neue Erkenntnis für alle Betroffenen, denn auch das Einkommen bestimmt nun das neue, glutenfreie Einkaufsverhalten. 

Wer über Zeit und Können verfügt, kann Brot, Kuchen und Kekse selbst backen und seinen Geldbeutel entlasten. Alle anderen tragen die Mehrkosten - und ihren glutenfreien Einkauf nach Hause. 

Voraussetzung für eine sichere glutenfreie Ernährung ist eine glutenfreie Küche. Der durch Gluten verunreinigte Toaster und die Getreidemühle werden entsorgt. Doch was tun mit dem Backofen, in dem Pizza aufgebacken wurde? Was tun mit dem Topf, in dem Nudeln kochten? Was tun mit der Pfanne, in der panierte Schnitzel brutzelten? Intensive Reinigung oder Neuanschaffung? Die Furcht vor Kontamination durch Gluten entscheidet mit.

Der Gedanke an Kontamination wird zu einem ständigen Begleiter im glutenfreien Leben, denn verunreinigte Nahrungsmittel lauern außerhalb der eigenen vier Wände überall. Vorsicht ist geboten, das sicherlich! Hysterisch oder panisch auf mögliche reale und irreale Kontaminationsquellen zu reagieren ist falsch.  

Zöliakie-Betroffene müssen ein gesundes Maß an Vertrauen in ihre Umwelt finden und sich gleichzeitig eine gewisse Skepsis bewahren.

Wieviel Vertrauen sollen Betroffene in ein Restaurant investieren, das neben glutenhaltiger Küche auch glutenfreie Kost anbietet? Hier gilt es genau hinzusehen, mutig Koch und Personal zu fragen und sich dann für oder gegen einen Restaurantbesuch zu entscheiden. 

Solange Betroffene alleine, mit ihren Lebenspartnern oder engsten Freunden essen gehen, lässt sich diese Aufgabe meistern und früher oder später finden sich eine Restaurantküche, der man zu Recht vertraut und Menschen, denen man nicht ständig erklären muss, was Zöliakie und Gluten bedeuten.

Was aber, wenn Betroffene mit Bekannten oder Kollegen unterwegs sind und sich die Gruppe spontan zum Besuch einer Pizzeria, einer Döner-Bude, einer Fast Food-Kette oder einer Bierkneipe entschließt? Zieht sich ein Zöliakie-Betroffener aus der Gruppe zurück, indem er sich verabschiedet oder passiv die Getränke- und Nahrungsaufnahme der anderen beobachtet? Oder gerät seine Disziplin ins Wanken?

Der Anblick der perfekten Schaumkrone eines glutenhaltigen Bieres kann ebenso verführerisch sein, wie knusprige, glutenfreie Pommes in durch Gluten kontaminiertem Fett frittiert, vom Mehlstaub eines Fladenbrots bestäubtes Dönerfleisch oder eine verführerisch duftende glutenhaltige Pizza.

Es bedarf großer innerer Stärke der an Zöliakie Leidenden, um in solchen Situationen der Verlockung und der Gruppendynamik zu widerstehen. Der bittere Lohn für Stärke und Verzicht sind Frustration und ein Gefühl der Ausgrenzung. 

Gut, wer seine Zöliakie-Diagnose aufgrund körperlicher Beschwerden durch den Verzehr von Gluten erhielt, denn die Erinnerung an die schmerzhaften Folgen früheren Glutenkonsums helfen, die richtige Entscheidung zu fällen.

Diejenigen, die nie Beschwerden nach der Nahrungsaufnahme von Gluten aufwiesen und dennoch glutenfrei leben müssen um gesund zu bleiben, benötigen weit mehr Disziplin. Für viele dieser Betroffenen ist es weit schwieriger immer standhaft zu sein. Warum verzichten, wenn es einem körperlich gut geht, lautet der tragische Gedanke. 

In diesen Momenten wünschen sich viele Betroffene, Zöliakie wäre eine Krankheit wie die meisten chronischen Erkrankungen, für die ein Medikament die Therapie wäre und nicht Diät, Verzicht und Ausgrenzung. 

Während Gesunde sich überall spontan mit Essen versorgen können, muss ein an Zöliakie Erkrankter gut vorbereitet sein, um an Freizeitveranstaltungen teilnehmen zu können. Ob Wandertour, Skiausfahrt oder Tagesausflug, im Vorfeld der Aktivität steht die Recherche, um einen direkten Kontakt zu einer Verpflegungsstation zu ermitteln.

Mit Glück wird dort glutenfreie Kost angeboten.

Ist dies nicht der Fall, müssen sich ZölikaieBetroffene zu Hause ein Lebensmittelpaket zusammenstellen und sich über die Zeit des Ausflugs davon ernähren, während die Gesunden spontan Skihütte, Gaststätte oder Imbissbude aufsuchen. Ausgrenzung als Alltagserfahrung.

Ähnlich verhält es sich auf Urlaubsreisen. In vielen Ländern ist das Angebot glutenfreier Produkte in Supermärkten, Hotels oder Restaurants hoch und das Reisen kein Problem. Doch wer außerhalb der Saison in Touristengebiete reist, stößt oftmals auf leere Supermarktregale, geschlossene Hotels und Restaurants, zu gering ist die Nachfrage am saisonalen Rand. 

Um sich diesem Risiko nicht auszusetzen, exportieren viele Zöliakie-Betroffene glutenfreie Lebensmittel aus der Heimat, denn niemand möchte kostbare Urlaubszeit opfern, um von Supermarkt zu Supermarkt zu fahren, immer auf der Suche nach der nächsten Mahlzeit anstatt am Strand zu baden oder Kultur zu genießen.

Für Zöliakie-Diagnostizierte ist ein glutenfreies Leben innerhalb der eigenen vier Wände verhältnismäßig einfach zu organisieren. Ein Leben in der Öffentlichkeit hingegen ist weit komplizierter. Zöliakie-Betroffene stellen sich diesen Herausforderungen, meistern sie, beweisen einen hohen Grad an Stärke, Disziplin und Organisation und zeigen damit bewundernswerte Eigenschaften. 

Wer von Zöliakie betroffen ist, muss kein Leben als Einzelkämpfer mit hoher Selbstorganisation führen. Die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e.V. bietet durch ihr vielfältiges Angebot Unterstützung. Informationen zu glutenfreien Urlaubsreisen werden dort ebenso angeboten wie „Fragen an den Koch“, die in vielen Landessprachen formuliert sind und die Besonderheiten einer glutenfreien Küche formulieren.

Wer den persönlichen Austausch mit Gleichgesinnten sucht, kann die Angebote der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft e.V. wahrnehmen. Seminare und Freizeiten werden hier ebenso angeboten, wie Treffen in regionalen Gesprächsgruppen. Dies sind hervorragende Möglichkeiten, sich als Betroffener nicht ausgegrenzt zu fühlen, sondern aktiver Teil einer Gemeinschaft zu sein.   

Über Zöliakie:
Zöliakie ist eine Systemerkrankung, die auf einer lebenslangen Unverträglichkeit gegenüber Gluten beruht.

Gluten kommt vor allem in den Getreidearten Weizen, Dinkel, Roggen und Gerste vor. Die über 800.000 Zöliakiebetroffenen in Deutschland müssen diese Getreidesorten ihr Leben lang strikt meiden, denn die glutenfreie Ernährung ist die einzige Therapie für ein beschwerdefreies Leben.

Weitere Informationen zum Thema Zöliakie gibt es bei der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft e.V. (DZG) unter www.dzg-online.de .  
 
Über die DZG:
Die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e.V. (DZG) ist eine Gemeinschaft für Zöliakiebetroffene mit Sitz in Stuttgart.

Ziel der Organisation ist es, Betroffenen das Leben mit Zöliakie zu erleichtern und das öffentliche Bewusstsein für Zöliakie zu stärken. 1974 gegründet, zählt der Verein inzwischen über 40.000 Mitglieder. Weitere Informationen über die DZG und ihre Arbeit unter www.dzg-online.de.