Hepatitis B: Neuer Therapieansatz könnte Ausheilung chronischer Hepatitis-B-Infektionen ermöglichen
Forschende des Helmholtz Zentrums München, der Technischen Universität München (TUM) und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) haben einen neuartigen Therapieansatz zur Heilung chronischer Hepatitis-B entwickelt.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fanden heraus, dass die große Menge an Proteinen, die das Hepatitis-B-Virus in der Leber bildet, die körpereigene Abwehr hemmt und dadurch eine effektive Therapie verhindert. Die Forschenden konnten zeigen, dass eine Unterdrückung dieser Virusproteine eine erfolgreiche therapeutische Impfung ermöglicht. Die neuartige Impfung wird ab 2021 in klinischen Studien erprobt werden.
Rund 260 Millionen Menschen, mehr als drei Prozent der Weltbevölkerung, sind chronisch mit dem Hepatitis-B-Virus infiziert. Jährlich sterben weltweit 880.000 Betroffene an den Folgen: Leberzirrhose und Leberzellkarzinom.
Derzeit gibt es keine Möglichkeit zur Heilung. Denn die bisher vorhandenen Therapien verhindern nur die Vermehrung des Virus, können die Infektion jedoch nicht ausheilen. Solange infizierte Menschen keine ausreichende Immunantwort bilden können, überlebt das Virus. An diesem Punkt setzte Prof. Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie am Helmholtz Zentrum München und der TUM, gemeinsam mit ihrem Team an.
Neuartiger Therapieansatz
In Untersuchungen am Mausmodell fand die Gruppe heraus, dass Proteine des Hepatitis-B-Virus bestimmte Immunzellen des Körpers, sogenannte CD8-T-Zellen, hemmen. Eine wirksame Immunantwort des infizierten Körpers ist daher nicht möglich.
Auf dieser Erkenntnis aufbauend entwickelte die Gruppe einen neuartigen Therapieansatz
Zuerst wird die Bildung der Virusproteine unterdrückt, um anschließend die Immunzellen durch eine Impfung zu aktivieren. Anders als bei der herkömmlichen Impfung, die einer Erkrankung vorbeugen soll, dient eine solche therapeutische Impfung der Heilung von chronischen Krankheiten.
Unterdrückung von Virusproteinen in Mäusen erfolgreich
Dafür entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst eine Methode, um die Hepatitis-B-Virus-Proteine zu unterdrücken. Sie nutzen siRNAs, kleine Ribonukleinsäure-Moleküle, die sich an die Boten-RNA der Virusproteine binden.
Durch die Markierung der Boten-RNA mit siRNA erhält die infizierte Zelle das Signal, dass die Virus-RNA unerwünscht ist und baut sie ab. Dies führt zur Unterdrückung der Proteinbildung. Doch die Unterdrückung der Proteine reichte nicht aus, um die Hemmung der CD8-T-Immunzellen in chronisch erkrankten Mäusen aufzuheben.
Infektion heilte in Mäusen aus
Deshalb ging die Gruppe noch einen Schritt weiter: „Wir kombinierten die siRNA-Methode anschließend mit einer von uns entwickelten therapeutischen Impfung. Dadurch gelang es uns, in den Mäusen eine starke Immunantwort gegen das Virus auszulösen. Die Hepatitis-B-Infektion heilte aus“, erklärt Dr. Thomas Michler, Arzt und einer der beiden Erstautoren der Studie.
Neuartige therapeutische Impfung bald in klinischen Studien
Der neu entwickelte Impfstoff, genannt TherVacB, soll als Immuntherapie ab 2021 in einer zweijährigen klinischen Studie erprobt werden. „Der therapeutische Impfstoff, den wir entwickelt haben, ist sehr vielversprechend, da er neutralisierende Antikörper und T-Zell-Antworten induziert“ sagt Dr. Anna Kosinska, die andere Erstautorin der Studie.
Der Impfstoff soll in drei Gaben alle vier Wochen verabreicht werden.
Er ist außerdem so konzipiert, dass er die Mehrheit aller vorkommenden Hepatitis-B-Viren abdeckt, und damit für Infizierte weltweit angewandt werden kann.
„Wir sind froh, dass wir für die klinische Studie von TherVacB mit einem europaweiten Konsortium führender Virologen, Immunologen und Hepatologen, unter Leitung des Helmholtz Zentrums München, zusammenarbeiten können“, ergänzt Protzer. Das Konsortium erhält dafür eine Förderung der Europäischen Union im Rahmen von Horizon 2020 (H2020-SC1-2019) von über 10 Millionen Euro.
Das Helmholtz Zentrum München
verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil.
Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.500 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 19 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören.
Das Institut für Virologie (VIRO)
untersucht Viren, die Menschen chronisch infizieren und lebensbedrohliche Krankheiten hervorrufen können. Der Fokus liegt auf dem AIDS-Erreger HIV, endogenen Retroviren, die in unserer Keimbahn integriert sind, sowie Hepatitis-B- und C-Viren, die Leberzirrhose und hepatozelluläre Karzinome verursachen. Molekulare Studien identifizieren neue diagnostische und therapeutische Konzepte, um diese Virus-Erkrankungen zu verhindern und zu behandeln bzw. die Entstehung von virusinduzierten Tumoren zu vermeiden.
Die Technische Universität München (TUM)
ist mit rund 550 Professorinnen und Professoren, 41.000 Studierenden sowie 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, verknüpft mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit dem Campus TUM Asia in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten.
An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.
Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)
entwickeln bundesweit mehr als 500 Wissenschaftler aus 35 Institutionen gemeinsam neue Ansätze zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten. Ziel ist die sogenannte Translation: die schnelle, effektive Umsetzung von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis. Damit bereitet das DZIF den Weg für die Entwicklung neuer Impfstoffe, Diagnostika und Medikamente gegen Infektionen.
Originalpublikation:
T. Michler et al., 2020: Knockdown of Virus Antigen Expression Increases Therapeutic Vaccine Efficacy in High-titer HBV Carrier Mice. Gastroenterology, DOI: 10.1053/j.gastro.2020.01.032.