Erbliche Fettstoffwechselstörung
... hochrisikopatienten früh diagnostizieren und behandeln - neue europäische Leitlinie setzt auf noch niedrigere LDL-Zielwerte
Fettstoffwechselstörungen sind eine Hauptursache für Atherosklerose, auch unter „Gefäßverkalkung“ bekannt, mit den möglichen Folgen Herzinfarkt, Schlaganfall oder Gefäßverschluss in den Beinen. Wenn erhöhte Blutfette in der Familie liegen, also erblich bedingt sind, ist die Gefahr groß, schon in jungen Jahren kardiovaskuläre Ereignisse zu erleiden. Diese Hochrisikopatienten müssen früh erkannt und therapiert werden, um die Prognose zu verbessern.
Eine neue europäische Lipid-Leitlinie empfiehlt diesen und anderen Patientengruppen nun noch niedrigere Zielwerte beim LDL-Cholesterin als bisher.
Hohe Cholesterinspiegel, auch Hypercholesterinämie genannt, haben einen großen Einfluss auf die Gefäße und die Entstehung von Atherosklerose. Es entstehen sogenannte Plaques, unter anderem durch Ablagerung von Cholesterin in der Gefäßwand, wodurch sich das Gefäß verengt und verhärtet („Verkalkung“). Zu den Folgeerkrankungen zählen Herzinfarkt und Schlaganfall.
Fettstoffwechsel-Störungen können primär (erblich) oder sekundär (erworben) sein. 80 Prozent des Cholesterins bildet der Körper selber, nur 20 Prozent werden über die Nahrung zugeführt.
Bei der erblichen Form sprechen Mediziner von einer familiären Hypercholesterinämie (FH). Dr. med. Ulrike Schatz, Fettstoffwechsel-Expertin an der Technischen Universität Dresden erklärt: „Die familiäre Hypercholesterinämie wird häufig erst diagnostiziert, wenn es zu einem ‚Ereignis‘ – also Herzinfarkt oder Schlaganfall in jungen Jahren – kommt.
Die FH führt von Geburt an zu sehr hohen Cholesterinwerten im Blut, woraus ein hohes Risiko für vorzeitige Gefäßverkalkungen entsteht.“ Bei der reinerbigen (homozygoten) Form könnten Herzinfarkte bereits im Kindesalter auftreten, bei der heterozygoten Form (Genmutation nur von einem Elternteil geerbt), schon vor dem 55. Lebensjahr, weiß die Expertin.
In Deutschland wird die Neuerkrankungsrate auf eins zu 300 geschätzt, das sind circa 270 000 Menschen mit FH. „Nur etwa zehn Prozent der Fälle werden diagnostiziert, 80 Prozent davon erreichen ihre Behandlungsziele nicht“, so Schatz. Die FH gilt als Hochrisikokonstellation für Herzinfarkt und Schlaganfall.
Um herauszufinden, ob eine familiäre Hypercholesterinämie vorliegt, empfiehlt die Expertin ein sogenanntes Kaskaden-Screening. Bei diesem untersuchen Ärzte die Verwandten ersten Grades (Eltern, Großeltern, Geschwister) des „Indexpatienten“, da die Erkrankung autosomal dominant, also von Generation zu Generation vererbt wird. „Durch eine frühzeitige effektive Therapie lässt sich die Prognose dieser Patienten ausschlaggebend verbessern“, so die Expertin.
Fettstoffwechsel-Störungen behandeln Mediziner, indem sie das individuelle Risiko des Patienten bewerten und dann mit ihm die Zielwerte des LDL-Cholesterins definieren. Die Behandlung folgt einer sogenannten Stufentherapie, die auf Lebensstil- und Diätmaßnahmen basiert, gefolgt von Medikamenten mit verschiedenen Wirkmechanismen und als letzte Möglichkeit die Lipoproteinapherese, also eine Blutwäsche von den Fetten.
Welche Zielwerte mit Medikamenten und Lebensstiländerungen erreicht werden sollten, werden in den von den Europäischen Gesellschaften für Kardiologie (ESC) und Atherosklerose (EAS) präsentierte und im European Heart Journal publizierte Lipid-Leitlinie jetzt neu erläutert. Sie empfiehlt eine „aggressivere“ Herangehensweise als bisher mit noch tieferen Zielwerten für LDL-Cholesterin – nach der Maxime „je niedriger, desto besser“.
Dabei werden vier Patientenklassen gebildet, je nach ihrem Herz-Kreislauf-Risiko durch Komorbiditäten und dem Zehn-Jahres-Risiko für eine tödliche kardiovaskuläre Erkrankung. Der Zielwert für das LDL-C soll bei Höchstrisikopatienten – darunter auch Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie und kardiovaskulärer Erkrankung oder mit weiteren Risikofaktoren – < 55 mg/dl (< 1,4 mmol/l) betragen. Der alte Wert lag bei < 70 mg/dl (<1,8 mmol/l).
Gab es innerhalb von zwei Jahren trotz maximaler lipidsenkender Therapie ein zweites vaskuläres Ereignis (damit ein Progress), soll noch weiter gesenkt werden, auf < 40 mg/dl (<1,0 mmol/l). Für Patienten mit hohem Risiko rutscht der Zielwert für das LDL-C von 2016 noch <100 mg/dl (<2,6 mmol/l) definiert auf nun < 70 mg/dl (<1,8 mmol/l). Patienten mit moderatem Risiko haben nun nicht mehr den Zielwert < 116 mg/dl (<3,0 mmol/l), sondern < 100 mg/dl (<2,6 mmol/l). Bei Menschen mit einem niedrigen kardiovaskulären Risiko ist der Zielwert gleichgeblieben und liegt bei < 116 mg/dl (<3,0 mmol/l).
Professor Dr. med. Matthias M. Weber, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, ergänzt: „Wir müssen vor allem das Bewusstsein für diese Form der Fettstoffwechsel-Störung steigern. Die FH ist eine gut therapiebare Erkrankung. Früh erkannt, können schwere Komplikationen wie ein Herzinfarkt in jungen Jahren verhindert werden.“
Schatz ergänzt: „Wenn wir frühzeitig die Diagnose stellen und die Hypercholesterinämie sowie alle weiteren Risikofaktoren strikt einstellen, so können wir das Risiko dieser Patienten auf das der Allgemeinbevölkerung senken.“ Entsprechend der neuen LL-Empfehlungen heißt es nun: „Je niedriger und je früher, desto besser“.
Quelle:
Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE) - www.endokrinologie.net
Literatur:
Mach F, Baigent C, Catapano AL. et al.: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk: The Task Force for the management of dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and European Atherosclerosis Society (EAS)
European Heart Journal, ehz455, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehz455.
Schatz H: Fettstoffwechselstörungen aggressiv behandeln – die Lipid-Leitlinien 2019 der Europäischen Gesellschaften für Kardiologie und Atherosklerose. DGE-Blogbeitrag vom 5. September 2019
Endokrinologie ist die Lehre von den Hormonen, dem Stoffwechsel und den Erkrankungen auf diesem Gebiet. Hormone werden von endokrinen Drüsen, zum Beispiel Schilddrüse oder Hirnanhangdrüse, aber auch bestimmten Zellen in Hoden und Eierstöcken, „endokrin“ ausgeschüttet, das heißt nach „innen“ in das Blut abgegeben. Im Unterschied dazu geben „exokrine“ Drüsen, wie Speichel- oder Schweißdrüsen, ihre Sekrete nach „außen“ ab.