Unkomplizierte Blasenentzündungen
Expertengremium empfiehlt pflanzliche Senföle als Mittel der Wahl
Antibiotikaresistenzen stellen Ärzte aus Klinik und Praxis vor immer größere Herausforderungen: Was tun, wenn die einstige Wunderwaffe gegen Bakterien keine Wirkung mehr zeigt?
Um der bedrohlichen Resistenzentwicklung entgegenzuwirken, sprechen sich die Autoren der für Ärzte wichtigen Leitlinie „unkomplizierte Harnwegsinfektionen“ seit 2017 für neue Behandlungsstrategien ohne Antibiotika aus. Bei häufig wiederkehrenden Blasenentzündungen werden dort auch Arzneipflanzen empfohlen.
„Akute Blasenentzündungen können mit pflanzlichen Senfölen wirkungsvoll und nebenwirkungsarm behandelt werden, daher empfehlen wir deren Einsatz bei unkomplizierten Blasenentzündungen als Mittel der Wahl“, so der Konsens eines interdisziplinären Expertentreffens deutscher und Schweizer Ärzte, Wissenschaftler und Apotheker Ende 2018 in Frankfurt am Main.
Sie sprachen sich daher bei ihrem Treffen für eine künftige Leitlinien-Empfehlung von Arzneipflanzen mit Senfölen auch zur Therapie von akuten unkomplizierten Harnwegsinfektionen aus. Die gute Wirkung und Verträglichkeit der Senföle sowie ihre antibakterielle und entzündungshemmende Wirkung ist durch zahlreiche Studien belegt.
Und:
Durch die vielfältigen Wirkansätze der Pflanzenstoffe ist bei den Bakterien die Entwicklung von Resistenzmechanismen gegen die Senföle deutlich erschwert.
„Aufgrund der guten Studienlage empfehle ich seit Jahren, bei akuten und immer wiederkehrenden, akuten Blaseninfektionen primär pflanzliche Arzneimittel, die Senföle enthalten, einzusetzen“, erklärte Dr. med. Wolfgang Bühmann, Facharzt für Urologie, Sylt OT Morsum.
Der wissenschaftliche Schriftleiter des Berufsverbandes der Deutschen Urologen e. V. spricht sich für deren Einsatz bei den ersten Anzeichen der Beschwerden aus. Das sei besser als abzuwarten, ob ein Antibiotikum nötig wird.
„Wenn ich meine Patienten vor die Wahl stelle, abzuwarten oder etwas pflanzliches zu probieren, dann bevorzugen sie den schnellen Beginn der Behandlung“, so Bühmann.
Um ein Aufsteigen der Bakterien und damit eine mögliche gefährliche Besiedelung der Nierenbecken zu verhindern, sollte bei der Wahl des alternativen Arzneimittels die antibakterielle Wirkung im Vordergrund stehen und eine Therapie mit nur schmerzstillenden oder durchspülenden Effekten sorgfältig abgewogen werden, so der Konsens der Experten.
Dr. Gero Beckmann, Fachtierarzt für Mikrobiologie aus Bad Bocklet, bemängelte, dass Antibiotika – sowohl bei Menschen als auch bei Tieren – immer noch viel zu früh, ungezielt und flächendeckend eingesetzt werden. Er plädierte für einen verantwortungsvollen Umgang mit diesen hochwirksamen Substanzen.
Mit Senfölen gegen Biofilm-bildende Bakterien
Eine besondere Rolle für die Resistenzentwicklung gegen Antibiotika spielen sogenannte bakterielle Biofilme. Das sind spezielle Schleimschichten, die manche Bakterien ausbilden, um sich darin vor dem eigenen Immunsystem und Antibiotika zu schützen.
„Bei den Senfölen handelt es sich um sehr mobile Substanzen, die bis in tiefe Schichten der Biofilme einwandern bzw. diese abtöten können“, erläuterte Professor Dr. Frank Guenther, Facharzt für Mikrobiologie aus Marburg.
Daher sei auch eine Kombination der Senföle mit herkömmlichen antimikrobiellen Wirkstoffen vielversprechend, betonte Guenther. So könne die gute Wirksamkeit der Senföle gegen Biofilme unter Umständen genutzt werden, um die Erreger für die herkömmlichen Wirkstoffe besser zugänglich zu machen.
Urin-Selbstest wenig empfehlenswert
Die Bonner Urologin Dr. Sigrid Tapken berichtete, dass sie ihren Patienten davon abrät, bei Verdacht auf eine Blasenentzündung ihren Urin mit Teststreifen selbst zu testen.
Dabei komme es häufig zu falsch-positiven Ergebnissen. Dies berge die Gefahr, dass Betroffene Eigendiagnosen stellen und zur Behandlung dann ein Antibiotikum fordern, obwohl dies nicht erforderlich ist.
Viele Patienten sind belehrbar.
So erklärte PD Dr. Winfried Vahlensieck, Chefarzt der Urologie in der Kurpark-Klinik Bad Nauheim, dass „die meisten Patienten bei ausreichender Aufklärung über die Begleitschäden von Antibiotika für eine phytotherapeutische Behandlung offen sind“.
Arzneipflanzen mit Senfölen seien ein gutes Beispiel dafür, dass Substanzgemische effektiver sind als Einzelsubstanzen. Die Senföle wirken nicht nur antibakteriell, sondern zusätzlich gegen die Anhaftung der Bakterien an die Blasenschleimhaut, antientzündlich und sogar gegen Viren.
Antibiotika nicht vorbeugend anwenden
Die Schweizer Fachärztin für Urogynäkologie und Geburtshilfe Prof. Dr. med. Annette Kuhn forderte dazu auf, „vorbeugende Antibiotikagaben zu vermeiden und – wann immer möglich – pflanzliche Alternativen einzusetzen“. Vorsorglich eingesetzte Antibiotika hielt auch Christoph Hohmann, Abteilung Naturheilkunde, Immanuel Krankenhaus Berlin, für nicht angezeigt. „Sie beeinträchtigen die Bakterien im Darm und erhöhen so wiederum die Infektanfälligkeit.“
Ein Großteil der Patienten steht einer alternativen Therapie mit Senfölen positiv gegenüber, berichteten der Gynäkologe PD Dr. Daniele Perucchini aus Zürich sowie der Ulmer Apotheker Timo Ried. „Große Bedenken bestehen bei unseren Kunden hinsichtlich einer Schädigung der Darm- und Scheidenflora durch verordnete Antibiotika“, erklärte Ried.
Diese Kunden seien froh über das Angebot einer wirksamen pflanzlichen Alternative. „50 bis 80 Prozent meiner Patientinnen nehmen das Angebot einer pflanzlichen Behandlung in Anspruch und kaufen das Präparat privat“, so der Schweizer Facharzt Perucchini.
Senföle auch bei Blasenkatheter einsetzen
Prof. Dr. Ruth Kirschner-Hermanns, Fachärztin für Urologie und Andrologie aus Bonn, erläuterte ihre Erfahrungen mit den Senfölen bei Infektionen, die durch Blasenkatheter ausgelöst werden.
Eine wiederholte Antibiotikagabe könne bei diesen Patienten die Darmflora empfindlich stören und entsprechende Beschwerden und Probleme hervorrufen.
„Ich habe viele Patienten gesehen, die unter der Antibiotika-Gabe mehr litten als unter der eigentlichen Harnwegsinfektion”, so die Expertin.
Daher bestünde die dringende Notwendigkeit, verträglichere Behandlungsstrategien zu erforschen.
Mit einer Anwendungsbeobachtung konnte ihre Arbeitsgruppe zeigen, dass die Behandlung mit Arzneipflanzen, die Senföle enthalten sowohl als Einzeltherapie als auch in Kombination mit Standardantibiotika bei diesen Patienten die Häufigkeit wiederkehrender Infektionen, den Antibiotikaverbrauch sowie die Entwicklung multiresistenter Keime senkte.
Quelle:
CGC Cramer Gesundheits-Consulting GmbH