Chronischer Juckreiz: häufiges Symptom, wenig beachtet

Erste Pruritus-Forschergruppe in Deutschland – auch Wissenschaftler des Uni-Klinikums Erlangen beteiligt

Chronischer Juckreiz – fachsprachlich Pruritus – betrifft bis zu 25 Prozent der Bevölkerung im Lauf des Lebens. „Ein relevantes Problem also, das aber in der Medizin deutlich unterschätzt wird“, sagt Dr. Dr. Andreas Kremer von der Medizinischen Klinik 1 – Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie (Direktor: Prof. Dr. Markus F. Neurath) des Universitätsklinikums Erlangen.

Im Rahmen des translationalen Projekts „PRUSEARCH“ hat sich deshalb jetzt die erste Forschergruppe Deutschlands zum chronischen Juckreiz zusammengeschlossen.

Sie wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und von Prof. Dr. Martin Schmelz von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg geleitet. In Erlangen sind die Medizin 1 sowie das Institut für Physiologie und Pathophysiologie (Leiter: Prof. Dr. Christian Alzheimer) der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg beteiligt.

Chronischer Juckreiz, der sechs Wochen oder länger anhält, schränkt die Lebensqualität stark ein.

Er kommt nicht nur bei dermatologischen Erkrankungen wie Schuppenflechte oder Neurodermitis vor, sondern zum Beispiel auch bei Leber- und Gallenstörungen, bei Niereninsuffizienz, Diabetes und Krebs, als Folge von Krebstherapien sowie bei psychiatrischen und neurologischen Krankheiten. Überdurchschnittlich oft plagt der chronische Juckreiz ältere Menschen.

Doch:
Zielgerichtete Behandlungen fehlen bis heute.

„Weil die Therapie schwierig ist, wird das Symptom oft negiert – genau wie der chronische Schmerz noch vor 30 Jahren“, erklärt Dr. Dr. Kremer. Hauptanliegen der neuen Forschergruppe ist es deshalb, Mediatoren des chronischen Pruritus im Menschen zu identifizieren, strukturelle und funktionelle Veränderungen von Nocizeptoren – also freien sensorischen Nervenendigungen – bei chronischem Pruritus zu charakterisieren und mögliche Mechanismen der neuronalen Sensibilisierung aufzuzeigen.

Kranke Leber führt zum Kratzen
Im Rahmen eines Teilprojekts von PRUSEARCH beschäftigt sich die Arbeitsgruppe von Dr. Dr. Andreas Kremer in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Peter Reeh vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie der FAU Erlangen-Nürnberg mit dem cholestatischen Juckreiz, der durch Erkrankungen der Leber oder der Galle ausgelöst wird.

„Ob entzündete Gallenwege, Hepatitis C, Leberzirrhose oder Lebertumor – bei allen Erkrankungen, die die Leber oder die Gallenwege betreffen, kann chronischer Pruritus auftreten. Er ist vor allem bei solchen mit cholestatischem Verlauf ein häufiges Symptom – also dann, wenn die Ausscheidung der Gallensäuren gestört ist“, erklärt Andreas Kremer.

Der cholestatische Juckreiz ist besonders quälend und durch Kratzen nicht zu stillen. Am stärksten empfinden ihn Patienten am Abend und in den frühen Nachtstunden. Er kommt insbesondere an den Extremitäten vor, kann aber auch am gesamten Körper auftreten.

In den vergangenen Jahren hat die Forschung Fortschritte gemacht und einige klinische Studien mit dem Ziel, den chronischen Juckreiz zu stoppen, angestoßen. Daran wollen Dr. Dr. Kremer und sein Team jetzt anknüpfen. Einen Auslöser des Juckreizes konnte Andreas Kremer bereits identifizieren: die Lysophosphatidsäure, kurz LPA.

Das kleine Lipid ist ein Zwischenprodukt des intrazellulären Fettstoffwechsels, und seit Längerem ist bekannt, dass LPA u. a. Muskelzellen und Thrombozyten, den Blutdruck und Entzündungsprozesse sowie die Tumorentstehung und -ausdehnung beeinflusst.

Hinzu kommt nun die juckreizauslösende Wirkung des Lipids. In diesem Zusammenhang erkannte Dr. Dr. Kremer, dass auch das LPA-bildende Enzym Autotaxin (ATX) ein wichtiger „Mitspieler“ bei der Entstehung des chronischen Pruritus ist. „Wir untersuchen aktuell, wie LPA auf molekularer Ebene genau funktioniert und wie das Lipid neuronale und nicht-neuronale Zellen aktiviert – und das translational, also von der In-vitro-Forschung bis hin zu Untersuchungen am Menschen“, sagt der Wissenschaftler.

Am Menschen beobachten die Erlanger Forscher den Einfluss von LPA mittels Psychophysik: Dazu injizieren sie die Substanz gezielt in die Haut des Probanden und lassen ihn dann sein Empfinden beurteilen – zum Beispiel Jucken, aber auch Schmerz. Außerdem soll mittels Mikroneurografie untersucht werden, welche Subklassen von somatosensiblen Nervenfasern durch LPA aktiviert werden.

„Dazu punktieren wir mit einer sehr dünnen Metallmikroelektrode den sogenannten Nervus peroneus und führen eine zweite Elektrode in die Haut. Solche Elektroden erlauben es, die Impulse einzelner Nervenfasern abzuleiten, also wie ein Telefonkabel ‚abzuhören‘, und einzelne Nervenfasern elektrisch zu stimulieren“, erläutert PD Dr. Barbara Namer, die ebenfalls zum Team gehört.

Um die Eigenschaften dieser Nervenfasern zu testen, werden am Fußrücken neben LPA verschiedene Reize appliziert – etwa Druck, Hitze, Kälte oder Histamin. „Neben einem besseren Verständnis für LPA hoffen wir, in Zukunft noch weitere Juckreiz-Mediatoren identifizieren zu können. Dies ist die Grundlage für neue, kausal wirksame Medikamente“, sagt Dr. Dr. Kremer.

PRUSEARCH-Mitglieder
Neben den Standorten Heidelberg/Mannheim und Erlangen sind auch die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die Julius-Maximilians-Universität Würzburg, die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg an PRUSEARCH beteiligt. Prof. Dr. Martin Schmelz, Sprecher der neuen DFG-Forschergruppe, ist ein ehemaliger Mitarbeiter des Instituts für Physiologie und Pathophysiologie der FAU Erlangen-Nürnberg und heute in Mannheim tätig.

Link zur DFG-Forschergruppe: http://www.prusearch.net/

Quelle:
Pressemitteilung des Universitätsklinikums Erlangen vom 29. August 2018