Medikamentensucht - 4 Regeln gegen die stille Abhängigkeit
Immer wieder gibt es Schlagzeilen über Prominente, die unter einer Medikamentensucht leiden.
Doch nicht nur berühmte Persönlichkeiten haben mit der Abhängigkeit auf Rezept zu kämpfen.
Etwa 1,2 Millionen Menschen sind hierzulande von Schlaf- und Beruhigungsmitteln abhängig, meldet die Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS). Zwei Drittel davon sind Frauen. Unabhängig vom Geschlecht sind ältere Menschen häufiger betroffen als jüngere. Die Sucht ist meist unauffällig und wird deshalb als „stille Sucht“ bezeichnet.
Sie beginnt auch unspektakulär.
Menschen, die unter Schlafstörungen, Ängsten oder Spannungszuständen leiden, haben den nachvollziehbaren Wunsch, ihre Symptome medikamentös zu behandeln.
Sogenannte Benzodiazepine (wie z. B. die Wirkstoffe Lorazepam, Diazepam, Bromazepam) oder auch verwandte Substanzen (wie Zolpidem und Zopiclon) sind bewährte Mittel, die kurzfristig Linderung verschaffen können. Sie wirken angstlösend, entspannend und beruhigend und werden deshalb auch als Tranquilizer bezeichnet (lat.: tranquillare = beruhigen).
In vielen Schlaf- und Beruhigungsmitteln sind sie enthalten. Doch sie gehören auch zu den Arzneimitteln mit dem höchsten Suchtpotenzial, was eigentlich bekannt ist.
So schnell machen die Helfer abhängig
Jedoch ist vielen Patienten und auch manchen Ärzten und Apothekern nicht bewusst, dass sich bereits nach vier- bis sechswöchiger Einnahme eine Abhängigkeit entwickeln kann.
Laut Dr. Rüdiger Holzbach, Psychiater und Psychotherapeut, Chefarzt der Abteilung Suchtmedizin der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt, rufen Benzodiazepine wesentlich schneller eine Abhängigkeit hervor als beispielsweise Alkohol.
Selbst bei niedriger Dosierung kann Sucht entstehen
Die Patienten merken von einer Abhängigkeit zunächst kaum etwas, weil sie häufig mit einer Tablette am Tag auskommen und die Dosis nicht steigern müssen. Dieses Phänomen wird Niedrigdosisabhängigkeit genannt.
Wollen die Patienten die Medikamente jedoch absetzen, treten die ursprünglichen Beschwerden als Entzugserscheinungen verstärkt wieder auf, so zum Beispiel Schlafstörungen oder Angstattacken. Die Patienten nehmen das Medikament daraufhin weiter ein.
Doch auf Dauer haben die Pillen oft starke unerwünschte Nebenwirkungen: Das Gefühlsleben wird taub bis hin zur Abstumpfung, die Betroffenen fühlen sich abgeschlagen, und die Konzentrations- und Merkfähigkeit lassen nach.
Eine Sucht nach Medikamenten wie Beruhigungsmitteln bleibt oft unerkannt.
Die vier K-Regel gegen die Entstehung einer Sucht
Um auf diese Gefahren hinzuweisen, hat die DHS gemeinsam mit Aktionspartnern eine Kampagne gestartet. Kernpunkt ist die 4-K-Regel, die sowohl Patienten als auch Ärzten und
Apothekern helfen soll, Schlaf- und Beruhigungsmittel richtig anzuwenden, um einer Sucht vorzubeugen.
An folgende Regeln sollten sich Betroffene halten:
Klare Indikation
Nehmen Sie das Medikament nur ein, wenn eine eindeutige medizinische Notwendigkeit besteht. Diese sollten Sie in einem Gespräch mit Ihrer Ärztin / Ihrem Arzt abklären und auch andere Behandlungsmöglichkeiten in Erwägung ziehen.
Kleinste notwendige Dosis
Nehmen Sie nur so viel wie nötig ein – und unbedingt so wenig wie möglich. Besprechen Sie die kleinste notwendige Dosis mit Ihrer Ärztin / Ihrem Arzt.
Kurze Anwendung
Nehmen Sie das Medikament nur überbrückend ein – für kurze Zeit.
Kein schlagartiges Absetzen
Hören Sie nicht einfach mit der Einnahme auf, sondern verringern Sie langsam die Dosis – mit ärztlicher Begleitung.
Medikamentensucht ist kein Schicksal
Wenn schon eine Sucht nach Schlaf- und Beruhigungsmitteln besteht, kann ein Entzug helfen, der aber auf jeden Fall unter ärztlicher Begleitung stattfinden muss.
Holzmann: „Den allermeisten Patienten geht es nach dem Entzug, der stationär oder ambulant erfolgen kann, deutlich besser. Sie fühlen sich danach körperlich und seelisch fit genug, manche Probleme zu klären, die sie unter der dämpfenden Wirkung der Mittel nicht angehen konnten.“
Ermutigend ist, so Holzmann, dass viele nach einem Entzug die Erfahrung machen, dass sich ihre ursprünglichen Beschwerden, gegen die die Tabletten helfen sollten, verflüchtigt haben.
Unter www.dhs.de können Interessierte einen Flyer zu dem Thema herunterladen.
Quellen:
(1) Pressemitteilung der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) vom 8.12.14: Sucht auf Rezept
(2) „Benzodiazepine machen schneller abhängig als Alkohol“ Ein Interview der DHS mit dem Psychiater und Psychotherapeuten Dr. Rüdiger Holzbach
http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Kampagnen/Interview_Holzbach.pdf