„Wenn ich das schaffe, kannst du das auch!“ – stimmt das?

Anfälligkeit und Widerstandsfähigkeit der Psyche

  • Wieso empfinden einige Menschen unkomplizierte Aufgaben als extrem anstrengend?

    Und warum macht ein kleiner Misserfolg oder etwas Kritik manchen Personen unverhältnismäßig lange zu schaffen?

Was für die einen eine Nichtigkeit ist, stellt für andere eine enorme Belastung dar.

Woran das liegt, verrät Prof. Dr. med. Petra Beschoner, Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin und Ärztliche Leiterin der Akutklinik Bad Saulgau.

Individuelle Verletzlichkeit

Die Fähigkeit, auf Probleme und Herausforderungen mit seelischer Widerstandsfähigkeit zu reagieren, wird als Resilienz bezeichnet. Sie ist unterschiedlich stark ausgeprägt und zeigt sich am deutlichsten in Krisen oder bei Schicksalsschlägen. Besteht im Gegensatz dazu ein hohes Risiko für Verwundbarkeit oder Verletzbarkeit, ist die Rede von Vulnerabilität.

„Während jene mit ausgeprägter Resilienz beispielsweise ihre Trauer aufgrund einer Trennung, eines Jobverlusts oder eines verstorbenen Haustieres ertragen und bewältigen können, führen die gleichen Geschehnisse bei hoher Vulnerabilitätsrate teilweise zu schweren Depressionen oder anderen Erkrankungen“, erklärt Prof. Beschoner.

Neben genetischen Faktoren können das soziale Umfeld, die Lebensumstände, die Selbstwahrnehmung und psychische Belastungen wie Traumata oder chronischer Stress den Umgang mit schwierigen Erlebnissen beeinflussen.

Grenze der Belastbarkeit

Passiert etwas Schreckliches, erleben Menschen in der Regel Gefühle von Angst, Trauer, Verzweiflung oder Wut.

Doch wie intensiv und häufig die Reaktion vorkommt und was sie auslöst, variiert.

Die Fachärztin erläutert: „Man kann sich das bei uns Menschen wie bei einem Fass vorstellen, dessen Boden die Vulnerabilität, also die Anfälligkeit, symbolisiert. Da der Boden ganz niedrig gelegen ist, kann das Fass eine große Menge psychischer Stressoren aufnehmen. Bei jenen mit hoher Vulnerabilität ist der Boden jedoch verschoben und liegt zum Beispiel mittig im Fass, sodass weniger reinpasst. Demnach verarbeiten Menschen die gleichen Sorgen, Herausforderungen oder Rückschläge unterschiedlich gut.“

Keine Kraft für Kleinigkeiten

Bei psychisch Erkrankten ist die Vulnerabilität oftmals besonders stark ausgeprägt. Daher braucht es nicht erst gravierende Ereignisse im Leben, um das Fass zum Überlaufen zu bringen, es reichen schon alltägliche Belastungen.

„Wird beispielsweise ein lang ersehnter Termin abgesagt, fällt wegen eines unzufriedenen Kunden eine Überstunde an, spinnt das Auto rum oder wird nach Feierabend das gekochte Essen kritisiert, können diese frustrierenden Ereignisse ausreichen, um einen Zustand der völligen Erschöpfung und Niedergeschlagenheit herbeizuführen. Dadurch erfordert es für Betroffene enorme Kraftanstrengungen, weitere Aufgaben zu erledigen, sei es, die Wäsche zu waschen, Telefonate zu führen oder einen Geburtstag zu planen. Selbst sich für angenehme Aktivitäten zu motivieren, wie eine Freundin zu treffen, fällt dann meist schwer“, so Prof. Beschoner.

Gestärkter durchs Leben gehen

Damit beruflicher und privater Stress sowie soziale Anforderungen nicht mehr so schnell zum Überschreiten der Belastungsgrenze führen, gilt es das Fassungsvermögen zu vergrößern, sprich die Resilienz zu stärken.

„Dies kann unter anderem durch die Verbesserung der Stressregulation, zum Beispiel durch Achtsamkeitsübungen wie Meditation oder Yoga gelingen. Ebenso wichtig ist die Pflege sozialer Beziehungen, schließlich kann emotionale Unterstützung dabei helfen, Belastungen zu relativieren.

Auch Selbstfürsorge, sei es durch ausreichend Schlaf, eine gesunde Ernährung oder regelmäßige Bewegung, spielt eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus ist es nützlich, positive Denkmuster zu entwickeln. Wer sich auf Lösungen konzentriert und Herausforderungen als Lernmöglichkeit betrachtet, stärkt das Selbstvertrauen. So kann Resilienz wachsen und ein stabileres, erfüllteres Leben begünstigen“, betont Prof. Beschoner.

Da es mental Erkrankten mit ihrer sehr geringen Resilienz für solche Maßnahmen meist an Kraft fehlt, empfiehlt sich ihnen psychotherapeutische Unterstützung. Indem Betroffene ihre Widerstandsfähigkeit stärken, können sie die eigene Genesung fördern.

Weitere Informationen unter www.akutklinik-badsaulgau.de