Border-Collie-Syndrom
Voller Terminkalender als Coping-Strategie
Regelmäßig greift die Hand zum nächsten Bildschirm – ein kurzer Blick auf die Nachrichten, zielloses Scrollen durch Social Media, ein flüchtiger Austausch im Chat.
Was für viele kurze Ablenkung bedeutet, wird für andere zur täglichen Strategie, die innere Leere zu vertreiben. Jede freie Minute ohne Beschäftigung ist eine Herausforderung, der Gedanke ans Alleinsein löst Unbehagen aus. Fachärzte sprechen in diesem Zusammenhang vom „Border-Collie-Syndrom“.
„Der Begriff, der an den stets arbeitsfreudigen, unruhigen Border Collie erinnert, beschreibt Menschen, die ein intensives Bedürfnis nach Beschäftigung und sozialer Interaktion verspüren, um sich sicher und erfüllt zu fühlen“, erklärt Dr. med. Steffen Häfner, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und ärztlicher Direktor der Klinik am schönen Moos.
Er zeigt, welche ernsthaften psychischen Probleme hinter dem Phänomen liegen können und was langfristig hilft.
Stille als Belastung
Kulturell gesehen ist „Busy-Sein“ mittlerweile zum Statussymbol geworden – wer wenig zu tun hat oder Zeit allein verbringt, hat oft instinktiv ein schlechtes Gewissen oder bekommt vermittelt, dass er unproduktiv ist. Doch was, wenn die Erholung komplett ausbleibt?
„Das Border-Collie-Syndrom ist zwar keine medizinische Diagnose, aber ein hilfreiches Bild, um die ständige Rastlosigkeit zu verdeutlichen. Oft geht es den Betroffenen weniger um konkrete Erledigungen, sondern um die Vermeidung belastender Gefühle wie Unsicherheit oder Einsamkeit“, sagt Dr. Häfner.
Stets auf der Suche nach Ablenkung kreisen Betroffene um die Frage „Was könnte ich noch machen?“ und wirken dabei wie energiegeladene und arbeitssame Border Collies.
Betroffene füllen ihren Kalender bis zum Rand, treffen sich ständig mit Freunden, treiben sich durch Aufgaben.
Dr. Häfner warnt jedoch: „Dieses Verhalten birgt die Gefahr, dass echte Erholung sowie innerer Frieden auf der Strecke bleiben und die wahren Bedürfnisse dahinter übersehen werden.“
Vielfältige Hintergründe
In vielen Fällen ist das Border-Collie-Syndrom ein Hinweis auf psychische Schwierigkeiten. Oftmals tragen Betroffene ungelöste Probleme aus der Vergangenheit mit sich, etwa familiäre Konflikte, emotionale Vernachlässigung oder früh erfahrene Ablehnung.
Anstatt sich mit diesen Erlebnissen auseinanderzusetzen, versuchen sie, sich durch ständige Ablenkung zu stabilisieren.
Wer stets früh zur Arbeit erscheint, durchgehend Überstunden macht, in der Mittagspause noch E-Mails beantwortet und sich auch nach dem Job keine Ruhe gönnt, dem fehlt eine gesunde Balance.
„Es gibt nicht die eine Antwort auf die Frage, woran es liegt, dass Betroffene ihr Wohlbefinden und ihr Selbstwertgefühl von äußerer Bestätigung und dem Gefühl, ständig unter Strom zu sein, abhängig machen – die Ursachen sind vielfältig und häufig reichen sie bis weit in die Kindheit zurück“, betont Dr. Häfner und führt aus: „Da auf Social Media soziale Bestätigung besonders leicht erreichbar ist, kann ein übermäßiger Konsum die psychische Gesundheit zusätzlich belasten und die Rastlosigkeit verstärken.“
Einklang finden
Wer sich vom Border-Collie-Syndrom angesprochen fühlt, sollte sein eigenes Verhalten reflektieren und bei Anzeichen von Schwierigkeiten gegensteuern. „Ruhephasen sind unersetzlich für das Wohlbefinden“, betont Dr. Häfner und ergänzt. „Achtsamkeitstechniken oder Entspannungsübungen wie Meditation können helfen, das Alleinsein als Chance zur Selbstreflexion und Entspannung zu begreifen.“
Für Menschen, bei denen das „Border-Collie-Syndrom“ stärkere Ausmaße annimmt und zu einer echten Belastung im Alltag wird, empfiehlt Dr. Häfner eine psychotherapeutische Begleitung. „Durch eine Therapie lässt sich herausfinden, wo die Ursachen liegen, und langfristig ein gesunder Umgang mit den eigenen Emotionen finden“, so der Facharzt.
Wer gern mehr erfahren möchte, findet weitere Informationen unter www.klinik-a-s-moos.de