Wie Zellen Kondensation nutzen, um Gewebe fest zu versiegeln

Unser Körper und unsere Organe sind durch Gewebebarrieren wie die Haut von der äußeren Umgebung abgeschirmt.

Diese Barrieren müssen absolut dicht sein, damit keine schädlichen Stoffe in den Körper eindringen können. Diese dichten Verbindungen zwischen den Zellen nennt man Tight Junctions.

Wie genau diese entstehen, war lange Zeit ein Rätsel.

Nun hat ein interdisziplinäres Forschungsteam unter Leitung von Prof. Alf Honigmann am Biotechnologischen Zentrum (BIOTEC) der Technischen Universität Dresden (TUD) entdeckt, dass die für diese Dichtungen verantwortlichen Proteine ein flüssigkeitsähnliches Material auf der Zelloberfläche bilden, ähnlich der Bildung von Wassertröpfchen, die an einem kalten Fenster kondensieren. Ihre Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Unsere Haut schützt uns wie ein Schild vor der Außenwelt, und wie eine gut gebaute Mauer muss sie dicht sein, um Durchbrüche zu verhindern.

Ebenso müssen unsere Organe - wie die Lunge oder der Darm - abgedichtet sein, um sicherzustellen, dass der Inhalt nicht in andere Körperbereiche gelangt.

Die äußerste Schicht unserer Organe erreicht dies mit speziellen Dichtungen zwischen den Zellen, den sogenannten Tight Junctions.

Tight Junctions ähneln einer Fuge zwischen Fliesen. Sie sind Gürtel, die die Oberseite jeder Zelle umgeben und sich mit den Nachbarzellen verbinden, um eine dichte Verbindung zwischen ihnen zu bilden.

„Im Gegensatz zur Fuge zwischen Fliesen oder Mörtel in einer Mauer sind Tight Junctions dynamisch. Unsere Haut oder Organe sind weich und die Zellen verändern ständig ihre Form.

Tight Junctions müssen sich an die Zellformveränderungen anpassen und dennoch in der Lage sein, die Lücken zu schließen“, erklärt Prof. Alf Honigmann, Leiter der Biophysik und Forschungsgruppenleiter am BIOTEC.

„Wie Tight Junctions ein so robustes und dennoch flexibles Material um den Zellumfang herum bilden können, war eine faszinierende wissenschaftliche Frage.“

Kondensation auf einer Oberfläche

Um zu verstehen, wie sich diese Dichtungen bilden, verwendete das Team von Prof. Honigmann fortschrittliche biophysikalische Methoden, um den Prozess in Echtzeit zu beobachten.

Sie entwickelten eine Möglichkeit, die Bildung von Tight Junctions nach Belieben chemisch ein- und auszuschalten. Außerdem markierten sie die Dichtungs-Proteine mit einem fluoreszierenden Marker. Zusammen ermöglichte dies die Beobachtung der Tight-Junction-Bildung in Echtzeit mit Hilfe der hochauflösenden Mikroskopie.

In Zusammenarbeit mit theoretischen Physikern unter Leitung von Frank Jülicher am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme (MPI-PKS) in Dresden konnte die Gruppe zeigen, dass die Selbstorganisation von Tight Junctions durch ein physikalisches Phänomen namens Benetzung angetrieben wird.

„Es ist faszinierend, dass sich diese Tight-Junction-Proteine sehr ähnlich wie Wasser verhalten. Wenn wir unsere Beobachtungen und die theoretische Physikmodellierung zusammenführen, erhalten wir im Wesentlichen den physikalischen Prozess der Flüssigkeitskondensation auf einer Oberfläche“, sagt Dr. Karina Pombo-Garcia, die Forscherin hinter dem Projekt und jetzt Forschungsgruppenleiterin am Rosalind Franklin Institute in England.

Die Tight-Junction-Proteine binden an die Oberfläche der Zellmembran an der Grenzfläche, an der sich die Zellen berühren.

Wenn die Anzahl der dort gebundenen Proteine einen bestimmten Schwellenwert erreicht, kondensieren die Proteine zu einer Flüssigkeit, die schrittweise zu einem Tropfen auf der Zelloberfläche wächst.

Schließlich verlängern sich diese Tropfen und berühren sich gegenseitig, um einen gleichmäßigen Gürtel um die Zellen zu bilden. Auf diese Weise dichten Tight Junctions die Räume zwischen den Zellen ab, um Haut und Organe luftdicht zu machen.

„Vielleicht hat jeder das schonmal im Winter gesehen. Kleine Wassertropfen erscheinen auf einem kalten Fenster. Es ist genau das, aber auf molekularer Ebene“, fügt Dr. Pombo-Garcia hinzu.

Flüssigkeiten aus Proteinen

Bereits 2017 begann das Honigmann-Team zu vermuten, dass Tight-Junction-Proteine sich wie Flüssigkeiten verhalten könnten.

„Wir haben viel Mühe darauf verwendet, herauszufinden, wie man diese flüssigkeitsartigen Eigenschaften messen und beschreiben kann“, sagt Prof. Honigmann. „Glücklicherweise waren wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Die frühen Arbeiten, die zu dieser Entdeckung führten, wurden am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden durchgeführt.

Forschende am MPI-CBG sind Wegbereitende der Kondensatbiologie, dem neu entdeckten Zweig der Biologie, der sich auf die Bildung großer Ansammlungen von Proteinen mit flüssigkeitsartigen Eigenschaften konzentriert.

„Die Kondensatbiologie ist ein vielversprechendes Forschungsfeld, weil es die Lücke zwischen den Skalen schließt. Eines der allgemeinen Probleme in der Biologie ist das Verständnis, wie Strukturen wie Zellorganellen aus der Vielzahl molekularer Wechselwirkungen im Zytoplasma entstehen. Wir wissen jetzt, dass bestimmte Biomoleküle sich selbst zu Materialien wie Flüssigkeiten und Gelen organisieren können. Dies ermöglicht es uns, gut verstandene physikalische Konzepte wie Kondensation und andere Phasenübergänge zur Beschreibung der Strukturbildung in der Biologie anzupassen“, schließt Prof. Honigmann.

Originalveröffentlichung:
 Karina Pombo-García, Omar Adame-Arana, Cecilie Martin-Lemaitre, Frank Jülicher und Alf Honigmann: Membrane prewetting by condensates promotes tight-junction belt formation. Nature (August 2024)

Link: https://doi.org/10.1038/s41586-024-07726-0

Über das Biotechnologisches Zentrum (BIOTEC):
 Das Biotechnologische Zentrum (BIOTEC) wurde 2000 als zentrale wissenschaftliche Einrichtung der TU Dresden mit dem Ziel gegründet, modernste Forschungsansätze in der Molekular- und Zellbiologie mit den in Dresden traditionell starken Ingenieurwissenschaften zu verbinden. Seit 2016 ist das BIOTEC eines von drei Instituten der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB) der TU Dresden.

Das BIOTEC nimmt eine zentrale Position in Forschung und Lehre im Forschungsschwerpunkt Molecular Bioengineering ein und verbindet zellbiologische, biophysikalische und bioinformatische Ansätze miteinander. Es trägt damit entscheidend zur Profilierung der TU Dresden im Bereich Gesundheitswissenschaften, Biomedizin und Bioengineering bei.

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www.tud.de/cmcb