Im Innern der Zelle: Proteinfaltungshelfer in ihrer natürlichen Umgebung

Forschende des Instituts für Neuropathologie der Universitätsmedizin in Göttingen (UMG) und des Max-Planck-Instituts für Biochemie (MPIB) in Martinsried bei München haben Proteinfaltungshelfer, sogenannte Chaperonin-Komplexe, mithilfe der Kryo-Elektronentomographie (Kyro-ET) in ihrer natürlichen Umgebung analysiert.

Fehlerhaft gefaltete Proteine können zu Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson führen. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.

Göttingen – Proteine sind für praktisch alle Lebensfunktionen in Zellen verantwortlich. Um ihre vielfältigen Funktionen auszuüben, müssen sie – ähnlich wie Bauteile in Maschinen – eine bestimmte dreidimensionale Struktur aufweisen. Proteinfaltungshelfer unterstützen neu hergestellte Proteine dabei, ihre funktionelle Form einzunehmen.

Diese Proteinkomplexe, auch Chaperonine genannt, kommen in allen Lebewesen fast unverändert vor und sind für die korrekte Faltung der Proteine essenziell. Fehlerhaft gefaltete Proteine können zum Beispiel zu Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson führen. Je mehr über die Strukturen der Chaperonine bekannt ist, desto besser wird das Verständnis über Funktionen und Fehlfunktionen. Daraus können neue Strategien für die Behandlung dieser Krankheiten entwickelt werden.

Um die genaue Funktionsweise der Chaperonine noch besser zu verstehen, wurde ein Forschungsprojekt in Leben gerufen, in dem Prof. Dr. Rubén Fernández Busnadiego vom Institut für Neuropathologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und Mitglied des Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging: From Molecular Machines to Networks of Excitable Cells“ (MBExC) mit Prof. Dr. Ulrich Hartl, Direktor am MPI für Biochemie (MPIB), und Wolfgang Baumeister, Emeritus-Direktor und wichtiger Treiber der Kryo-Elektronentomographie (Kryo-ET) am MPIB, zusammengearbeitet hat.

Quelle:
Universitätsmedizin Göttingen Mitteilung vom 26. August 2024

Originalpublikation:

Jonathan Wagner, Alonso I. Carvajal, Andreas Bracher, Florian Beck, William Wan, Stefan Bohn, Roman Körner, Wolfgang Baumeister, Rubén Fernández-Busnadiego, F.-Ulrich Hartl: Visualizing chaperonin function in situ by cryo-electron tomography, Nature, August 2024
DOI: 10.1038/s41586-024-07843-w, https://www.nature.com/articles/s41586-024-07843-w

Die Studie im Detail

In Bakterien bestehen Chaperonin-Komplexe aus zwei verschiedenen Untereinheiten: GroEL und GroES. GroEL ist in zwei gestapelten Ringen organisiert, die ein Fass bilden. GroES fungiert wie ein Deckel für das GroEL-Fass. Neu hergestellte Proteine werden im nanometergroßen Innenraum des GroEL eingekapselt und können sich falten während sie von der zellulären Umgebung abgeschirmt sind.

In der Studie erhielten die Forscher Einblicke in den Faltungsprozess mit noch nie dagewesenen Details. Grund dafür ist die Technologie der Kryo-Elektronentomographie (Kryo-ET), mit der die Beobachtung molekularer Strukturen in zellulären Umgebungen unter naturnahen Bedingungen möglich wird. Die Forscher konnten zeigen, dass zwei Formen des GroEL-GroES-Komplexes an der Faltungsreaktion beteiligt sind. Zum einen sind das die sogenannten „Bullet“-Komplexe, bei denen der GroES-Deckel nur an einer Seite des Zylinders gebunden ist, zum anderen die sogenannten „Football“-Komplexe (nach der Form eines amerikanischen Fußballs benannt), bei denen beide Seiten des Zylinders durch GroEL verschlossen sind. Außerdem konnten die Forschenden in den Mikroskopiebildern sehen, dass sich zu faltende Proteine im Innenraum des Chaperonin-Zylinders befanden.  Dr. Jonathan Wagner, Erstautor der Studie und Wissenschaftler in Martinsried und Göttingen erklärt: „Es ist faszinierend, dass die Kryo-ET mittlerweile so weit fortgeschritten ist, dass wir Prozesse wie die Proteinfaltung sichtbar machen können, die sich auf kleinstem Raum in der Zelle abspielen.“

Prof. Dr. Rubén Fernandez Busnadiego beschreibt: „In dieser Studie haben wir die Kryo-ET mit der Einzelpartikel-Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) und der quantitativen Massenspektrometrie kombiniert. Auf diese Weise konnten wir verschiedene Konformationen von Chaperonin-Komplexen in verschiedenen Zellzuständen beobachten und ihre Häufigkeit bestimmen. Die Möglichkeit, diese Komplexe direkt im Bakterium und nicht nur im Reagenzglas sichtbar zu machen, stellt einen großen Fortschritt auf diesem Gebiet dar und ist erst seit kurzem möglich. Der Chaperoninkomplex ist nur 14 Nanometer breit. In Jahrzehnten von Experimenten mit gereinigten GroEL/ES-Komplexen wurden widersprüchliche Ergebnisse über die Funktionsweise dieser Maschinerie erzielt. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass In-vitro-Experimente die Bedingungen in der Zelle nicht vollständig nachbilden können. Dieses Wiedersprüche können wir nun durch zelluläre Kryo-ET ausräumen, da wir die Komplexe in ihren nativen Umgebungen mit hoher Auflösung visualisieren.“

Abschließend fasst Prof. Dr. Ulrich Hartl zusammen: „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich bei der Chaperonin-unterstützten Proteinfaltung die Chaperonine unterschiedlich zusammenlagern und in einem Reaktionszyklus zwischen der Bullet-  und der Football-Form wechseln. In zukünftigen Arbeiten werden wir uns darauf konzentrieren, die Zwischenzustände dieser Zyklen zu klären, um zu verstehen, wie sie durch die chemischen Reaktionen der ATP-Bindung und Hydrolyse reguliert werden.“