Neues System ruft die Müllabfuhr der Zelle herbei
Etablierte Medikamente gegen Krebs und andere Krankheiten zielen oft darauf ab, krank machende Enzyme zu blockieren und dadurch auszuschalten.
Ein neuerer vielversprechender Ansatz ist es, das zelleigene Abfallsystem dazu zu bringen, diese Proteine nicht nur zu inaktivieren, sondern gänzlich zu zerstören.
Mit zwei verschiedenen Methoden haben Forschende am CeMM bereits gezeigt, dass dies funktioniert. In Kollaboration mit Kolleg:innen von der Dundee Universität in Schottland konnten sie nun ein drittes System entwickeln, mit dem bisher unerreichbare Proteine entsorgt werden können. Ihre Ergebnisse wurden in dem Fachjournal Nature veröffentlicht.
Lebende Zellen gleichen einer hochorganisierten Kleinstadt – neben der Energieerzeugung, dem Transportsystem oder dem Baugewerbe benötigen Zellen auch eine effiziente Müllentsorgung. Denn die meisten Proteine, die der Zelle Form und Funktion verleihen, haben nur eine gewisse Halbwertzeit und müssen früher oder später, genauso wie defekte und unerwünschte Proteine, entsorgt werden.
Diesen Job übernehmen spezielle Enzyme, die sogenannten Ubiquitin-Ligasen, die ausrangierte Proteine für den Abbau markieren, damit sie in die Recyclinganlage der Zelle, dem Proteasom, transportiert werden können.
Die Markierung zum Abbau erfolgt dabei über die Anheftung eines Etikettes, genannt Ubiquitin: Ist es einmal an ein Protein geheftet, landet es zuverlässig im Proteasom.
Zellen sind jedoch nicht immer dazu in der Lage, jedes Protein zu erkennen, das ihnen schadet, und es entsprechend mit Ubiquitin zu versehen. So können viele Krankheiten wie Krebs oder neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer erst dadurch entstehen, dass sich die krankmachenden Proteine in den Zellen anhäufen.
Hier setzt die Forschung der Gruppe von Georg Winter am CeMM an
Mit einer Technik, die als „gezielte Proteindegradierung“ bezeichnet wird, kann man krankmachende oder anderweitig unerwünschte Proteine mit Ubiquitin markieren und im Proteasom zerstören lassen, also das zelleigene Abfallsystem quasi umprogrammieren.
Bisher funktionierte das auf eine von zwei Arten: Entweder, indem man einen chemischen Wirkstoff (sog. PROTACs) in die Zelle einführt, der sich auf einer Seite an das abzubauende Protein heftet, und auf der anderen Seite an die Ubiquitin-Ligase, was diese beiden direkt miteinander verbindet und zur Markierung des unerwünschten Proteins für den Abbau führt.
Oder, indem man eine Art „molekularen Kleber“ in die Zelle bringt, der an die Ligase angebracht wird und sie dadurch dazu bringt, das unerwünschte Protein zu erkennen und für den Abbau zu kennzeichnen.
In der neuen Studie, die nun in Nature erschienen ist (DOI: 10.1038/s41586-024-07089-6), konnte das Team um Georg Winter (CEMM) und Alessio Ciulli (University of Dundee) einen dritten Weg aufzeigen, der beide bisherigen Strategien miteinander verbindet: Sogenannte „Intramolekulare bivalente Kleber“ (IBGs) binden an gleich zwei Stellen an das abzubauende Protein, verbiegen es dabei ein wenig und führen dadurch zu einer Veränderung seiner Oberfläche.
Diese Veränderung wird von einer Ubiquitin-Ligase erkannt und das Protein folglich für den Abbau markiert.
„Dieses Verfahren eröffnet uns völlig neue Möglichkeiten für die Entwicklung von Wirkstoffen, die etwa gegen Krebs eingesetzt werden können“, so Georg Winter. „Zusammen mit den anderen Methoden der gezielten Proteindegradierung könnten damit viele Erkrankungen therapiert werden, die bisher auf keine der verfügbaren Medikamente angesprochen haben.“
„Bisher können wir Wirkstoffe, die zum gezielten Proteinabbau führen, oft nur durch Zufall entdecken. Je besser wir jedoch verstehen, wie dieses System funktioniert, desto näher kommen wir dem Ziel, solche Medikamente ganz gezielt entwerfen zu können“, sagt Matthias Hinterndorfer, Postdoktorand in Georg Winters Forschungsgruppe.
Die neue Entdeckung liefert daher wichtige Einblicke in die Funktionsweisen und therapeutischen Möglichkeiten des gezielten Proteinabbaus.
Die Studie „Targeted protein degradation via intramolecular bivalent glues“ erschien in der Zeitschrift Nature am 21.02.2024
DOI: 10.1038/s41586-024-07089-6
AutorInnen:
Oliver Hsia #, Matthias Hinterndorfer #, Angus D. Cowan #, Kentaro Iso, Tasuku Ishida, Ramasubramanian Sundaramoorthy, Mark A. Nakasone, Hana Imrichova, Caroline Schätz, Andrea Rukavina, Koraljka Husnjak, Martin Wegner, Alejandro Correa-Sáez, Conner Craigon, Ryan Casement, Chiara Maniaci, Andrea Testa, Manuel Kaulich, Ivan Dikic, Georg E. Winter & Alessio Ciulli (# zu gleichen Teilen)
Förderung:
Diese Studie wurde durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Horizon 2020 Programms zur Förderung von Forschung und Innovation sowie durch den Wissenschaftsfonds FWF gefördert.
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen.
Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien.
Wer gern mehr erfahren möchte, schaut bitte direkt unter www.cemm.at