Lässt der Stress nach, erholt sich manchmal auch die Schilddrüse

Fallberichte zum Morbus Basedow

Einschneidende und belastende Lebensereignisse können dazu beitragen, dass die Schilddrüsenerkrankung Morbus Basedow ausbricht. Eine aktuelle Publikation zeigt nun, dass auch das gegenläufige Phänomen beobachtet werden kann: Fällt der auslösende Stressor weg, bildet sich bei Patientinnen und Patienten manchmal auch die Basedow-Krankheit spontan zurück.

Die im Journal of the Endocrine Society1 publizierte Sammlung von elf Fallberichten lässt vermuten, dass ein Teil der Betroffenen sogar auf schilddrüsenhemmende Medikamente verzichten kann, wenn die auslösende Belastungssituation vorüber ist. Die Arbeit unterstreiche die Bedeutung der Psyche für die Entstehung der Basedow-Krankheit, so der Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner BDN. Außerdem könne sie Anlass sein, die bisherige medikamentöse Praxis zu überdenken.

Die Basedow-Krankheit ist eine Autoimmunerkrankung, bei der Autoantikörper gegen bestimmte Schilddrüsen-Bestandteile gebildet werden. Durch die Antikörper werden die Zellen des Organs so aktiviert, dass sie große Mengen von Schilddrüsenhormonen produzieren und an den Körper abgeben. „Man spricht daher auch von einer autoimmunen Schilddrüsenüberfunktion“, erklärt Professor Dr. med. Detlef Moka, Vorsitzender des BDN.

Diese gehe mit Herzrasen, Schweißausbrüchen, Gewichtsverlust, Schlaflosigkeit und mitunter auch einem Hervortreten der Augäpfel einher, einer sogenannten endokrinen Orbitopathie. Frauen sind von dieser belastenden Erkrankung rund zehnmal so häufig betroffen wie Männer; auch sind genetische Faktoren bekannt, die die Entwicklung eines Morbus Basedow begünstigen. Seit Langem weiß man aber auch, dass die Krankheit eine psychische Komponente besitzt.

„Dem ersten Auftreten von Krankheitssymptomen gehen oft einschneidende Ereignisse wie der Tod eines nahen Angehörigen, eine schwere Erkrankung in der Familie, Beziehungskrisen oder der Verlust des Arbeitsplatzes voraus“, sagt Moka.

Wie sich das Ende einer solchen psychischen Krise auf den Verlauf der Schilddrüsenüberfunktion auswirkt, sei bislang jedoch noch nicht untersucht worden, heißt es in der Publikation. Die Medizinerinnen und Mediziner um Jeresa Willems vom Zuyderland Medical Center im niederländischen Sittard-Geleen berichten nun über elf Patientinnen und Patienten, die nach starkem emotionalen Stress aufgrund solcher einschneidender Ereignisse an einem Morbus Basedow erkrankten.

Die übliche Behandlung mit Thyreostatika lehnten sie jedoch ab. Überraschenderweise normalisierten sich bei neun Personen dennoch die klinischen Symptome sowie die Hormonspiegel im Blut, nachdem die emotionale Belastungssituation beendet war.

Bei fünf dieser Patienten hielt der krankheitsfreie Zustand dauerhaft an – die Nachbeobachtungszeit lag im Mittel bei 2,3 Jahren. Bei den übrigen vier Patienten kehrte der Morbus Basedow nach ein bis vier Jahren zurück.

Dass sich die Schilddrüsenfunktion bei Basedow-Betroffenen wieder normalisieren kann, ist bekannt. Auch verweisen die Studienautorinnen und -autoren auf frühere Studien, nach denen eine Psychotherapie oder Psychopharmaka, die zeitgleich mit der thyreostatischen Therapie angewendet werden, die Remission beschleunigen und das Rückfallrisiko verringern.

„Wie wirksam eine Stressreduktion ohne begleitende medikamentöse Therapie ist, wurde bislang aber noch nicht untersucht“, sagt Moka. „Dass ein Teil der Patientinnen und Patienten davon unmittelbar profitieren könnte – und in dem kleinen Kollektiv fast die Hälfte sogar dauerhaft – belegt eindrucksvoll den Einfluss der Psyche auf das Autoimmungeschehen“, betont der Nuklearmediziner aus Essen.

Die beim Morbus Basedow übliche Thyreostatika-Therapie kann mit unangenehmen Nebenwirkungen wie Ausschlägen, Juckreiz oder Haarausfall einhergehen und auf Dauer die Leber belasten. Deshalb werden die Medikamente häufig nur für zwölf bis 18 Monate verabreicht; nach dieser Zeit haben rund 60 Prozent der Betroffenen eine Remission erreicht.

„Die niederländischen Fallbeispiele ermutigen dazu, nicht bei allen Patientinnen und Patienten sofort mit der medikamentösen Therapie zu beginnen, die einen stressbedingten Morbus Basedow erleiden“, so Moka. Auch die Dauer der Thyreostatika-Gabe könne möglicherweise flexibler gehandhabt und in manchen Fällen deutlich früher ein Auslassversuch gestartet werden.

Sowohl der BDN-Vorsitzende als auch die niederländischen Forschenden sehen allerdings noch weiteren Forschungsbedarf. Von großer Bedeutung für die Praxis wäre es etwa, wenn sich Untergruppen von Patienten identifizieren ließen, die sich hinsichtlich ihrer Chancen auf eine Remission unterscheiden.

Die Fallbeispiele legen nahe, dass Basedow-Betroffene mit sehr hohen Autoantikörper- und Schilddrüsenhormonspiegeln letztlich nicht auf die Medikamentengabe verzichten können. Gleiches gilt für Betroffene, bei denen Augenbeschwerden hinzugekommen sind. „Um diese Fragen zu klären, müssen aber deutlich größere Patientenkollektive untersucht werden“, so Moka.

Quelle:
1 Jeresa I. A. Willems et al.: Stress-Induced Graves Disease: Spontaneous Recovery After Stress Relief. Journal of the Endocrine Society, 2024, 8, 1–4.

https://doi.org/10.1210/jendso/bvad157

Advance access publication 13 December 2023