Wie eine Nervenzelle im Gehirn überleben kann
Wissenschaftler*innen der Universität zu Köln haben entdeckt, wie Mitochondrien die Zellerneuerung und die neuronale Plastizität im Gehirn der erwachsenen Maus steuern
Nervenzellen im Gehirn (Neuronen) gehören zu den komplexesten Zelltypen in unserem Körper.
Grund dafür sind die verzweigten Fortsätze, die sogenannten Dendriten und Axone, und Tausende von Synapsen, die komplexe Netzwerke bilden.
Zwar werden die meisten Neuronen während der Embryonalentwicklung gebildet, aber in bestimmten Regionen des Gehirns findet während des gesamten Erwachsenenalters Neurogenese, die Bildung von Nervenzellen, statt.
Noch ist unklar, wie diese neu entstandenen Zellen erfolgreich reifen und überleben, um ihre Funktionen innerhalb eines vollständig gebildeten Organs auszuüben.
Das Verständnis dieser Prozesse birgt jedoch ein großes Potenzial für regenerative Ansätze bei Erkrankungen.
Die Forschungsgruppe um Professor Dr. Matteo Bergami vom Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD an der Universität zu Köln untersuchte diese Prozesse anhand von Mausmodellen mithilfe von Bildgebung, Signalverfolgung mit Viren, und elektrophysiologischen Techniken.
Sie fanden heraus, dass bei der Reifung neuer Neuronen die Mitochondrien (die Kraftwerke der Zellen) entlang der Dendriten sich zunehmend durch Fusion verbinden und dadurch länglichere Formen bilden.
Dieser Prozess ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Plastizität neuer Synapsen und die Anpassung bereits bestehender neuronaler Netze als Reaktion auf komplexe Erfahrungen.
Die Studie „Enhanced mitochondrial Fusion during a critical period of synaptic Plasticity in adult-born Neurons“ wurde in Neuron veröffentlicht.
Die mitochondriale Fusion sichert das Überleben neuer Neuronen
Die adulte Neurogenese findet im Hippocampus statt, die Region des Gehirns, die kognitive und emotionale Prozesse steuert. Es konnte bestätigt werden, dass Veränderungen der Neurogenese im Hippocampus mit neurodegenerativen und depressiven Störungen korrelieren.
Obwohl bekannt ist, dass die neu produzierten Neuronen dort über längere Zeiträume reifen, um eine hohe Plastizität zu gewährleisten, ist unser Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen begrenzt. Die Ergebnisse von Bergami und seinem Team deuten darauf hin, dass das Tempo der mitochondrialen Fusion in den Dendriten die neuronale Plastizität der neuen Nervenzellen steuert, nicht aber deren Reifung an sich.
„Wir waren überrascht, dass sich neue Neuronen ohne mitochondriale Fusion fast perfekt entwickeln, aber ihre Überlebensrate plötzlich abnahm, obwohl es keine offensichtlichen Anzeichen für eine Degeneration gab“, sagt Bergami. „Dies lässt vermuten, dass die Fusion eine wichtige Rolle bei der Regulierung neuer Neuronen an den Synapsen als Teil eines Selektionsprozesses spielt, den neue Neuronen bei ihrer Integration in das Netzwerk durchlaufen.“
Die Ergebnisse erweitern das Wissen, dass mitochondriale Dysfunktionen (z.B. während der Fusion) neurologische Störungen beim Menschen verursachen. Zudem deuten sie darauf hin, dass die Fusion eine viel komplexere Rolle als bisher angenommen bei der Kontrolle der synaptischen Funktion und ihrer Fehlfunktion bei Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson spielen kann.
Abgesehen davon, dass sie einen grundlegenden Aspekt der neuronalen Plastizität unter physiologischen Bedingungen aufdecken konnten, hoffen die Wissenschaftler*innen, dass diese Ergebnisse hilfreich für die Entwicklung spezifischer Behandlungsmethoden zur Wiederherstellung der neuronalen Plastizität und der kognitiven Funktionen bei Krankheiten sein werden.
Quelle:
Universität zu Köln - Mitteilung vom 5. April 2024
Originalpublikation:
https://www.cell.com/neuron/fulltext/S0896-6273(24)00167-3