Vorsorge und Krebsfrüherkennung beim Mann – ein ungeliebtes Thema
Interview mit Herrn Professor Rolf Harzmann, Urologe und Präsident des Deutschen Grünen Kreuzes e. V.
Nur 12 Prozent der Männer gehen zur Früherkennungsuntersuchung, um einen Prostatakrebs rechtzeitig zu entdecken – oder auszuschließen –, obwohl dieser Tumor die weitaus häufigste Krebserkrankung des Mannes ist. Warum wird diese Untersuchung immer noch so schlecht angenommen?
Prof. Harzmann: Sich untersuchen zu lassen bedeutet, dass etwas gefunden werden könnte. Es überwiegt die Befürchtung, dass – wenn der Arzt etwas entdeckt – eine Klinik aufgesucht und dann ggf. operiert bzw. bestrahlt werden muss. Das steckt offensichtlich hinter der Tatsache, dass Männer der Krebsfrüherkennung gerne aus dem Weg gehen. Zusätzlich besteht die Sorge, nach der OP inkontinent und / oder impotent zu werden. Es dominiert die Vogel-Strauß-Politik.
Und warum kommen manche Männer dann doch?
Prof. Harzmann: Mehrheitlich werden sie durch ihre Partnerin motiviert. Frauen nehmen die Früherkennung wesentlich häufiger in Anspruch: Mehr als 40 Prozent lassen sich auf Brust- und Gebärmutterhalskrebs untersuchen. Für die Männer sind sie nicht eben selten die treibende Kraft. Denn: Frauen sind wesentlich umsichtiger und pragmatischer, wenn es um die Gesundheit geht.
Was ist der Unterschied zwischen Prostatakrebs-Vorsorge und -Früherkennung?
Prof. Harzmann: Die Prostatakrebs-Vorsorge basiert darauf, dass sich Männer – nicht erst im Alter – vernünftig ernähren, also anstelle von rotem Fleisch eher Obst, Gemüse, Fisch und / oder Geflügel bevorzugen und zudem auch sportlich unterwegs sein sollten. Eine andere – allerdings lediglich unterhaltsame – Variante der Vorsorge ist die an Männer adressierte Empfehlung, sich möglichst frühzeitig dafür zu entscheiden, als Mädchen oder als Chinese auf die Welt zu kommen.
Als Mädchen allerdings hat man dann das Risiko, am – weitaus aggressiveren – Mamma-Karzinom zu erkranken. Und warum Chinese? Die Prostata-Karzinom-Rate war dort – zumindest bis 1986 – die geringste weltweit. Sie wurde u. a. mit den dort vorherrschenden Ernährungsgewohnheiten erklärt. Ob diese sich inzwischen verändert haben und infolgedessen die PCa-Rate angestiegen ist, entzieht sich meiner Kenntnis.
Die Früherkennung des Prostatakrebses besteht u. a. darin, dass eine durch den Enddarm vorzunehmende Fingeruntersuchung der Prostata (rektal-digitale Diagnostik) durchgeführt wird.
Sie wird aber inzwischen als „Späterkennungs“-Verfahren bewertet, da dabei mehrheitlich lokal bereits fortgeschrittene Tumoren entdeckt werden. Demgegenüber gelingt eine verlässliche Früherkennung durch die seit 1986 etablierte PSA-Bestimmung im Blut (PSA = prostata-spezifisches Antigen).
Wann würden Sie einem Mann weitergehende Maßnahmen empfehlen?
Prof. Harzmann: Bei erhöhten PSA-Werten (4 ng/ml oder mehr) sollte neben einer Ultraschall- und MRT- (Magnet-Resonanz-Tomographie) Untersuchung auch Prostata-Gewebe entnommen werden (Prostata-Biopsie). Da die über den Enddarm vorgenommene – unsterile – Prostata-Biopsie ein höheres Infektions-Risiko hat, sollte die über den Damm entnommene Biopsie (perineal) bevorzugt werden.
Wie sind heute die Chancen, wenn ein Prostata-Karzinom frühzeitig erkannt wird? Und wie wird es therapiert?
Prof. Harzmann: Falls mit Hilfe der Biopsie ein Prostata-Karzinom festgestellt worden ist, wird entweder eine externe bzw. lokale (SEEDS) Bestrahlung empfohlen oder eine Operation. Für offene oder laparoskopische Eingriffe gilt allerdings, dass sie jenseits des 75. Lebensjahres und / oder bei schlechtem Allgemeinzustand – potentiell – problematisch sind. Falls die Biopsie einen günstigen Gewebe-Wert (Gleason-Score unter 7) ergeben hat, empfiehlt sich meist, unter laufender PSA-Kontrolle („Active Surveillance“) abzuwarten.
Und noch ein Hinweis auf die von vielen befürchteten Nebenwirkungen der Operation: Dieses Verfahren wurde – ebenfalls 1986 – von Dr. Patrick Walsh so umfassend verbessert, dass die Risiken Inkontinenz und Impotenz weitestgehend ausgeklammert werden können. Voraussetzung: Die Tumorausdehnung lässt das zu, und der Operateur versteht sein Handwerk. In Deutschland ist das – inzwischen – glücklicherweise der Fall.
Prof. Dr. Rolf Harzmann,
Jahrgang 1943, war langjähriger Direktor der Urologischen Klinik des Klinikums Augsburg. Er ist Mitglied bzw. Ehrenmitglied in zahlreichen urologischen Verbänden und seit 2004 Präsident des Deutschen Grünen Kreuzes e. V. Mit 59 Jahren erkrankte er selbst an einem Prostatakarzinom und kennt damit die Problematik auch aus der Sicht eines Betroffenen.
Quelle/Weitere Informationen:
Beitrag in der Zeit: "Früher haben Männer wortlos die Hose runtergelassen", Interview mit Professor Rolf Harzmann, erschienen in ZEIT am Wochenende, Ausgabe 46/2023.
Quelle:
Privatarchiv Prof. Dr. Harzmann