Wie die Raumfahrt bei Gelenkkrankheiten hilft
Forschende aus Erlangen finden bei ESA-Studie Veränderungen des Gelenkknorpels
Wie wirkt sich Bettlägerigkeit auf den Knorpel der Gelenke aus?
Ein interdisziplinäres Forschungsteam um PD Dr. Anna-Maria Liphardt vom Uniklinikum Erlangen hat durch die Teilnahme an einer von der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) geförderten Bettruhestudie hierzu neue Erkenntnisse gewonnen.
Die Arbeitsgruppe kam zu dem Schluss, dass eine Bettruhe mit einer Dauer von 21 Tagen zum Abbau von Typ-II-Kollagen, einem wichtigen Knorpelbestandteil, führen kann. Allerdings ist noch nicht klar, wie der übermäßige Abbau von Typ-II-Kollagen die Funktion dieses Gewebes beeinflusst. Die Arbeit wurde in der Fachzeitschrift „Osteoarthritis and Cartilage“ veröffentlicht.*
Bettruhestudien sind ein wichtiges Instrument – nicht nur für die Raumfahrtforschung und die Frage, wie der Zustand der Schwerelosigkeit die Gesundheit beeinflusst; sie geben zum Beispiel auch Aufschluss darüber, welche Auswirkungen körperliche Inaktivität auf den Zustand von Menschen mit einer Erkrankung des Bewegungsapparats haben kann.
Die Erkenntnisse aus solchen Studien können zur Entwicklung von Behandlungen beitragen, die einer Degeneration des Bewegungsapparats vorbeugen.
21 Tage strikte Bettruhe
Die Forschungsgruppe um PD Dr. Anna-Maria Liphardt, Arbeitsgruppenleiterin an der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie (Direktor: Prof. Dr. med. univ. Georg Schett) des Uniklinikums Erlangen, untersuchte in einer Cross-over-Studie mit zwölf gesunden männlichen Probanden, wie sich die Konzentrationen von Markern für Typ-II-Kollagen im Blut und die Ausscheidung dieses wichtigen Strukturbestandteils des Knorpels durch den Urin während einer 21-tägigen Bettruhe veränderten.
Zunächst wurden die Daten der Teilnehmer während einer Dauer von sechs Tagen vor der Bettruhe ermittelt, in der sie ganz normal aktiv waren.
Daran schlossen sich 21 Tage strikte Bettruhe an, mit einer um sechs Grad gesenkten Kopfseite des Bettes.
Nur fürs Essen und aus Hygienegründen durften die Teilnehmer diese Position kurzzeitig leicht verändern. Nach der Bettruhe wurden sie sechs Tage lang weiter überwacht, während sie zu normaler Aktivität zurückkehrten.
Während der drei unterschiedlichen Studien-Kampagnen mit 21-tägiger Bettruhe erhielten die Teilnehmer entweder keine weitere Intervention, ein sogenanntes resistives Vibrationstraining über ein horizontales Vibrationstrainingsgerät oder resistives Vibrationstraining in Kombination mit einer Nahrungsergänzung in Form von Molkenprotein und Bikarbonat.
Auswirkungen auf Typ-II-Kollagen
Schon nach wenigen Tagen Bettruhe stiegen die Konzentrationen der Marker für den Abbau von Typ-II-Kollagen im Blut an. Das Gleiche galt für die Ausscheidung von Typ-II-Kollagen über den Urin. Einige der Marker blieben auch noch in den sechs Tagen nach der Bettruhe im Vergleich zum Ausgangswert erhöht. Nahrungsergänzung und Vibrationstraining wirkten dem Abbau von Typ-II-Kollagen nur minimal entgegen.
Die Forschenden schließen daraus, dass die Nichtnutzung des Bewegungsapparats – egal, ob durch Erkrankung oder Verletzung – vermutlich zu einer Veränderung des Gleichgewichts im Gelenkknorpelstoffwechsel führt. Dies könnte möglicherweise die Belastungsfähigkeit des Knorpels verringern.
„Weitere Studien“, erklärt Dr. Liphardt, „sollten daher die näheren Auswirkungen auf den Knorpel im Blick haben und Gegenmaßnahmen entwickeln, damit Patientinnen und Patienten bei längerer Inaktivität, zum Beispiel durch wiederkehrende Krankenhausaufenthalte, keine weiteren Schäden davontragen.“
Das Erlanger Forschungsteam will diese Fragen im Rahmen einer 60-tägigen Bettruhestudie der ESA mit einer Besatzung der Internationalen Raumstation ISS in Toulouse, Frankreich, gemeinsam mit Prof. Dr. Anja Niehoff von der Deutschen Sporthochschule Köln und internationalen Kooperationspartnern weiter untersuchen. Die Studie wird vom Institut für Raumfahrtmedizin und Physiologie (MEDES) durchgeführt.
Quelle:
Universitätsklinikum Erlangen - Mitteilung vom 28. Februar 2024
* DOI: 10.1016/j.joca.2023.11.007