Wenn aus dem Bemühen um nachhaltiges Verhalten krankhafter Zwang wird
Chefarzt der Oberberg Fachklinik Schwarzwald über Zwangsstörungen
Die Klimakrise und ihre Folgen sind in vielen Bereichen des Alltags (Gesprächs-)Thema. Vor allem jungen Menschen bereiten sie große Ängste und Sorgen.
Der Wunsch zu handeln und selbst aktiv etwas zum Klimaschutz beizutragen, ist häufig groß.
Wenn Ängste jedoch überhandnehmen, können psychische Erkrankungen wie Zwangsstörungen mögliche Folgen sein. Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Wahl-Kordon, Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Schwarzwald, informiert, ab wann aus dem Bemühen, ein nachhaltiges Leben zu führen, “ungesunder” Aktionismus wird.
Wenn aus Bemühen Zwang wird
Der Kauf von nachhaltigen Produkten, biologisch angebaut, oder abbaubarer Kleidung aus zweiter Hand – etwas gegen den Klimawandel zu tun, kann für viele Menschen sinnstiftend sein. Wird die Umsetzung jedoch immer zwanghafter, kann das psychisch belasten. Schränkt man sich im Alltag so ein, dass die Lebensqualität und -freude verloren gehen, schadet man sich und seiner Gesundheit.
Drehen sich die Gedanken nur noch um ein Thema und setzt man sich selbst unter Druck, um seinen Alltag nach bestimmten selbst auferlegten Vorgaben zu leben, können das Anzeichen für eine Zwangserkrankung sein.
Zwänge – der Wunsch nach Kontrolle
Zwänge können dann entstehen, wenn Menschen versuchen, Kontrolle in einer scheinbar unkontrollierbaren Situation zu erlangen oder gefürchteten Ereignissen oder Situationen vorzubeugen. Diese Verhaltensweisen oder mentalen Handlungen stehen jedoch in keinem realistischen Bezug zu dem, was sie zu neutralisieren oder zu verhindern versuchen, oder sie sind deutlich übertrieben.
Werden Rituale oder Routinen plötzlich sehr intensiv ausgelebt und dienen dazu, Ängste zu neutralisieren, liegt der Verdacht einer Zwangsstörung nahe.
Kennzeichnend für Zwangsstörungen sind Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen.
Zwangsgedanken sind wiederkehrende Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die zeitweise während der Störung als aufdringlich und unerwünscht empfunden werden.
Zwangshandlungen sind wiederholte Verhaltensweisen (z.B. Händewaschen, Ordnen, Kontrollieren) oder mentale (rein gedankliche) Handlungen (z.B. Beten, Zählen, Wörter leise wiederholen), zu denen sich Personen als Reaktion auf einen Zwangsgedanken gezwungen fühlen, um diesen zu neutralisieren.
Leiden Menschen an einer ernsthaften Zwangsstörung oder -erkrankung, sind sie kaum oder überhaupt nicht mehr in der Lage, einem geregelten Tagesablauf nachzugehen oder sich zu versorgen. Oft versuchen Betroffene ihre Zwangshandlungen zu verstecken, was typischerweise zu einer weiteren psychischen Belastung und längerfristig in die soziale Isolation führt.
Therapie von Zwangsstörungen
Auch wenn Klima- und Zukunftsängste einen realen Hintergrund haben, sollte die eigene Gesundheit nicht vernachlässigt werden. Bemerkt man zum Beispiel dauerhaft psychischen Druck oder isoliert man sich sozial immer mehr, sollte man sich an eine Expertin oder einen Experten wenden.
Auch bei Zwangsgedanken oder -handlungen kann ihr Rat sinnvoll sein.
Denn sie können einschätzen, ob eine psychotherapeutische Behandlung in Frage kommt. Bei einer Zwangsstörung wird meist die kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt. Bei dieser werden Patientinnen und Patienten mit den Reizen (z.B. bestimmte Nahrungsmittel oder Situationen), die bei ihnen die jeweilige Zwangsstörung auslösen, konfrontiert.
„Die Übungen kosten Betroffene eine enorme Überwindung. Sie lernen aber allmählich, die dem Zwang zugrundeliegenden aversiven Gefühle zu regulieren“, erklärt Dr. Wahl-Kordon, der in der Oberberg Fachklinik Schwarzwald Patientinnen und Patienten mit Zwangserkrankungen behandelt.
„Unser Ziel ist es, auf die gesamte Bandbreite modernster Therapieoptionen mithilfe unserer universitären Kooperationspartner zurückzugreifen, so dass unsere Patientinnen und Patienten schließlich wieder ein beschwerdefreies Leben führen können“, sagt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
Der Experte für Zwangserkrankungen hat die S3-Leitlinie Zwangsstörungen mitentwickelt. Diese spricht Empfehlungen zur Behandlung von Zwangsstörungen bei erwachsenen Menschen aus.
Mehr zum Thema Klimaangst: https://www.oberbergkliniken.de/artikel/der-klimawandel-und-seine-auswirkungen-auf-die-psyche
Mehr zum Thema Zwang: https://www.oberbergkliniken.de/krankheitsbilder/ad/zwangsstoerung
Über die Oberberg Gruppe:
Die Oberberg Gruppe mit Hauptsitz in Berlin ist eine vor mehr als 30 Jahren gegründete Klinikgruppe mit einer Vielzahl an Fach- und Tageskliniken im Bereich Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an verschiedenen Standorten Deutschlands.
In den Kliniken der Oberberg Gruppe werden Erwachsene, Jugendliche und Kinder in individuellen, intensiven und innovativen Therapiesettings behandelt. Darüber hinaus existiert ein deutschlandweites Netzwerk aus Oberberg City Centers, korrespondierenden TherapeutInnen und Selbsthilfegruppen.