Strategien der Natur für die Entwicklung neuer Wirkstoffe nutzen
Die Dimerisierung (Anm.: Verknüpfung von zwei gleichen oder unterschiedlichen Molekülen) der menschlichen Neuropeptide Oxytocin und Vasopressin kann zu neuartigen pharmakologisch-wirksamen Molekülen führen.
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von MedUni Wien und Universität Wien zeigt in einer aktuellen Studie, dass dimerisierte und dadurch deutlich größere Versionen von Oxytocin und Vasopressin noch immer
ihre Rezeptoren aktivieren können.
Mit solchen Molekülen hat man jetzt mehrere Möglichkeiten die Wirksamkeit dieser Neuropeptide für die therapeutische Anwendung zu optimieren. Die Idee dafür haben die ForscherInnen direkt der Natur entnommen. Die Ergebnisse wurden im Journal „Chemical Science“ veröffentlicht.
Oxytocin/Vasopressin Rezeptoren sind typische Vertreter der sog. G Protein-gekoppelten Rezeptoren – die bekannteste Gruppe von Angriffspunkten für medizinische Wirkstoffe. Arzneistoffe für Oxytocinund Vasopressin-Rezeptoren werden zum Beispiel während der Geburt zur Förderung der Wehentätigkeit eingesetzt, werden aber derzeit auch erforscht für Anwendung bei HerzKreislauferkrankungen, Krebs oder Entwicklungsstörungen wie Autismus.
Von Heuschrecken inspiriert
Die ForscherInnen der MedUni Wien (unter der Leitung von Christian Gruber vom Institut für Pharmakologie) gemeinsam mit der Universität Wien (unter der Leitung von Markus Muttenthaler vom Institut für Biologische Chemie der Fakultät für Chemie) sowie Forschungspartnern aus Australien und Spanien konnten zeigen, dass die Dimerisierung von den menschlichen Neuropeptiden Oxytocin und Vasopressin möglich ist, ohne zu viel an ihrer Wirksamkeit einzubüßen.
Inspiriert wurden die ForscherInnen von einem natürlich vorkommenden Heuschrecken-Neuropeptid, welches als u.a. als Dimer vorliegt.
„Durch strukturelle Änderungen in der Zusammensetzung und Orientierung der Dimere ist es gelungen, die pharmakologische Wirksamkeit zu verändern, um eine selektive Hemmung oder Aktivierung des menschlichen Vasopressin V1a-Rezeptors zu erhalten“, erklärt Christian Gruber von der MedUni Wien, und Markus Muttenthaler von der Universität Wien fügt hinzu: „Dimerisierung ist eine Strategie der Natur, um Optimierungen in der Stabilität oder Wirkungsweise vorzunehmen. Insulin, welches auch ein Dimer von zwei unterschiedlichen Peptiden ist, ist ein gutes Beispiel dafür.“
600 Millionen Jahre bestehendes Oxytocin-Vasopressin-Signalsystem
Um derartige Zusammenhänge in den Molekülen zu entschlüsseln bzw. aufzudecken, benutzen die ForscherInnen eine einzigartige Strategie für die Liganden-Entwicklung, welche die Vorteile der evolutionären Gemeinsamkeiten des seit etwa 600 Millionen Jahre in der Natur vorkommenden Oxytocin-Vasopressin-Signalsystems ausnützt. Das führt auch zu neuen Einblicken und zur Identifizierung wichtiger Bausteine der Rezeptoren, um künftig bessere Wirkstoffkandidaten herstellen zu können.
„Unser Konzept ist neuartig und faszinierend zugleich: Man nehme ein Insekten-Neuropeptid, untersuche dessen Struktur und baue diese mit kleinen chemischen Änderungen nach, um potenziell mögliche Wirkstoffe beim Menschen zu erhalten“, erklären Gruber und Muttenthaler. „Ebenso wichtig ist es, diese neuartigen Moleküle als ‚Werkzeug‘ für die Forschung bereitzustellen. Erst durch Entwicklung von rezeptorsubtyp-selektiven Stoffen (Anm.: Liganden) ist es möglich die biochemischen Grundlagen der jeweiligen Signalsysteme zu erforschen“, fügen Gruber und Muttenthaler hinzu.
Funktionen des Oxytocin-Vasopressin-Signalsystems werden untersucht
Ziel der ForscherInnen ist es, die Zusammensetzung und Pharmakologie dieses Signalsystems generell aufzuklären. „In Ameisen haben wir die Funktion dieses Signalsystems erforscht und konnten zeigen, dass das Oxytocin-Vasopressin-Hormonsystem die Futtersuche, die Bewegungsaktivität, und den Metabolismus reguliert.“ Daher nehmen die ForscherInnen an, dass Oxytocin nicht nur als ‚Kuschelhormon‘, sondern möglicherweise als ‚Appetitzügler‘ wirkt, und eine derartige Anwendung gilt es zu erforschen.
Service: Chemical Science
"Nature-inspired dimerization as a strategy to modulate neuropeptide pharmacology exemplified with vasopressin and oxytocin.” Zoltan Dekan, Thomas Kremsmayr, Peter Keov, Mathilde Godin, Ngari Teakle, Leopold Dürrauer, Huang Xiang, Dalia Gharib, Christian Bergmayr, Roland Hellinger, Marina Gay, Marta Vilaseca, Dennis Kurzbach, Fernando Albericio, Paul F Alewood, Christian W Gruber# , Markus Muttenthaler#
Medizinische Universität Wien – Kurzprofil
Die Medizinische Universität Wien (kurz: MedUni Wien) ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum.
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