Warum die meisten von uns Milch vertragen
... und warum das nicht immer so war
Noch vor rund 3.200 Jahren waren nur wenige Menschen hierzulande auch jenseits des Säuglingsalters in der Lage, Milch zu vertragen.
Um den Milchzucker Laktose verdauen zu können, muss das Enzym Laktase gebildet werden, so wie es beim Säugling der Fall ist. Bei Erwachsenen wird dieses Enzym nur in bestimmten Regionen der Welt in ausreichenden Mengen produziert: insbesondere im Norden Europas und in manchen Teilen Afrikas.
Die Fähigkeit, auch als Erwachsene Milchzucker verdauen zu können und damit Milch physiologisch verwerten zu können, nennt man Laktasepersistenz.
Dieses genetische Merkmal hat sich in Mitteleuropa sehr schnell, innerhalb von nur wenigen Tausend Jahren verbreitet. Das hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Anthropologen und Populationsgenetikers Professor Joachim Burger von der Johannes-Gutenberg- Universität Mainz (JGU) kürzlich in der Zeitschrift Current Biology berichtet.
In der Jungsteinzeit, vor etwa 8.000 Jahren, kamen die ersten Ackerbauern und Viehzüchter nach Europa mit ihren Rindern, Ziegen und Schafen.
Unter ihnen waren damals nur sehr wenige, die Milch als Nahrungsquelle auch im Erwachsenenalter verwerten zu konnten.
Das hat der Erstautor der Studie, Joachim Burger, mit seinem Forschergruppe im Jahr 2007 bereitsnachgewiesen.
Die neu publizierte Arbeit der Paläogenetiker stellt die Ergebnisse der Erbgutanalysen von Menschen vor, die etwa 1.200 v. Chr. in der „Schlacht an der Tollense“ (ein Fluss im heutigen Mecklenburg-Vorpommern) gefallen waren.
Von diesem bronzezeitlichen Schlachtfeld zeigen nur wenige Knochen genetische Hinweise auf Laktasepersistenz.
Nur etwa jeder achte Krieger hatte eine Genvariante, die die Fähigkeit Laktose zu spalten vermittelt.
Heute tragen dahingegen etwa 90 Prozent der Menschen des Gebiets diese Genvariante in ihrem Erbgut.
Die bronzezeitlichen Krieger unterschieden sich in ihrem Erbgut ansonsten nicht wesentlich von den heutigen Bewohnern Norddeutschlands und des Ostseeraums.
Das bedeutet, so die Forscher, dass es seit der Bronzezeit einen starken Evolutionsdruck für die Genvariante gegeben haben muss, die die Laktosepersistenz vermittelt.
Innerhalb von etwa 120 Generationen hat sich die Genvariante für Laktasepersistenz durchgesetzt.
Es ist das am stärksten positiv selektierte Gen im ganzen menschlichen Genom.
Die Forscher schließen daraus, dass laktasepersistente Menschen im Verlauf der letzten 3.000 Jahre einen Selektionsvorteil hatten, da sie mehr Kinder bekommen haben und ihre Kinder bessere Überlebenschancen hatten.
Durch die Fähigkeit, Milch auch nach dem Säuglingsalter verdauen zu können, hatten vermutlich besonders Kinder nach dem Abstillen eine höhere Überlebenschance. Sie konnten die energiereiche Milch weiterhin als Nahrungsquelle nutzen.
Originalpublikation:
J. Burger et al., Low prevalence of lactase persistence in Bronze Age Europe indicates ongoing strong selection over the last 3.000 years, Current Biology, 3. September 2020,
DOI: 10.1016/j.cub.2020.08.033
www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(20)31187-8