Wenn junge Eltern psychisch krank werden

Frühe Therapie kann Bindungsprobleme zum Kind verhindern

Psychische Erkrankungen vor, während oder nach der Schwangerschaft sind häufig. So erkranken 15 Prozent der Frauen an Depressionen, 12 Prozent an Angststörungen und auch jeder zehnte Vater leidet an einer Depression

Welche gravierenden Folgen elterliche psychische Störungen für die Kinder haben, warum es so wichtig ist, in der Schwangerschaft zu behandeln und welche Berufsgruppen gefordert sind, darüber informieren Expertinnen der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. (DGPM).

Treten seelische Erkrankungen im Umfeld einer Geburt auf, sprechen Fachleute von peripartalen psychischen Störungen (PPS).

PPS können schwerwiegende Folgen auslösen. „Sie können den Schwangerschafts- und Geburtsverlauf negativ beeinflussen, die Partnerschaft und den Bindungsaufbau der Mutter zum Säugling beeinträchtigen und damit letztlich die weitere Entwicklung des Kindes“, sagt DGPM-Expertin Professorin Dr. med. Kerstin Weidner. „Die ganze Familie kann unter PPS leiden“, stellt die Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik der TU Dresden fest.

Schreien, Schlafstörungen und Fütterprobleme als Symptom

Bei den Kindern zeigen sich die Folgen meist recht schnell.

Denn Mütter, die depressiv sind, lächeln ihre Babies weniger an, geben spärlicher Zuwendung und haben seltener Körperkontakt mit dem Neugeborenen.

„Babies wachsen durch den liebevollen Kontakt mit ihren Eltern“, sagt Weidner.

Ist das nicht gegeben, fehlt eine wichtige Rückkoppelung und es setzen Regulationsstörungen ein, die sich häufig durch ein „schwieriges“ Temperament des Babies zeigen.

„Die Kinder schlafen schlecht, trinken schlecht oder schreien verstärkt, um Zuwendung einzufordern“, berichtet die Dresdner DGPM-Expertin.

Mitunter werden die Babies selbst fast depressiv, wirken starr im Gesichtsausdruck und bekunden ihrerseits wenig Interesse an der Mutter.

Kinder entwickeln später Störungen und Krankheiten

Längerfristig kann sich eine gestörte Mutter-Kind-Bindung gravierend auswirken. „Häufig setzt die sprachliche, motorische, kognitive und sozio-emotionale Entwicklung beim Kind verzögert ein“, schildert Weidner.

Mehrere Langzeitstudien belegen zudem für die Kinder ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Ess- und Angststörungen, aber auch für körperliche Krankheiten wie Diabetes, Schlaganfall und Herzerkrankungen.

Leiden die Mütter unter Angststörungen, verhalten sie sich in der Interaktion mit ihrem Nachwuchs oft überängstlich.

„Sie lassen beispielsweise aus Verschmutzungsängsten das Baby nicht krabbeln. Dann steigt das Risiko des Kindes, später Verhaltensauffälligkeiten zu entwickeln“, so Weidner. Eine väterliche psychische Belastung wirkt sich vermutlich genauso negativ auf das Kind aus. „Für eine fundierte Einschätzung ist die Datenlage aber noch nicht ausreichend“, erläutert die DGPM-Expertin.

Keine Angst vor Schwangerschaftskomplikationen

Liegt eine psychische Erkrankung der Eltern vor, ist auf jeden Fall eine Behandlung angezeigt. „Schon während der Schwangerschaft sollte therapiert werden“, betont Weidner. „Ängste, damit zu schaden, sind unangebracht – wir wissen, dass die frühe Mutter-Kind-Bindung sehr wichtig für die spätere Gesundheit des Kindes ist.“

In Frage kommt die Einzelpsychotherapie, in die der andere Elternteil einbezogen werden kann, aber auch Gruppentherapie, Paar- und Familienberatung, Körpertherapie und Angebote wie Babymassage; geeignete Psychopharmaka stehen ebenfalls zur Wahl. Behandlungsangebote finden Betroffene in Schwangeren-Ambulanzen, pychotherapeutischen Kliniken und bei Niedergelassenen.

Videointeraktionstherapie hilft bei Bindungsproblemen

Dr. med. Anne Coenen, Oberärztin der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik der TU Dresden, die in der Dresdner Mutter-Kind-Tagesklinik und Ambulanz pro Jahr etwa 400 Mütter und Kinder mit psychischen Störungen behandelt, hat bei Bindungsproblemen besonders gute Erfahrungen mit der Videobehandlung gemacht.

„Wir machen Videoaufnahmen von Mutter und Kind, anschließend werten wir gemeinsam gelungene Interaktionen aus“, erklärt die DGPM-Expertin. Ziel sei, die Bedürfnisse des Babys zu erkennen und feinfühliges Verhalten zu erlernen. Diese Form der Behandlung, begleitet von anderen Angeboten, verbessert die Symptome hochsignifikant:

„Von 270 Frauen, die wir in unsere Untersuchung einschlossen, hatten 56 Prozent der Mütter klinisch relevante Bindungsprobleme, bei der Entlassung waren es nur noch 13 Prozent“, berichtet Coenen. Auch wichtig zu wissen: Ein gesunder Vater kann durch seine Zuwendung zum Kind die Auswirkungen der mütterlichen Krankheit abpuffern. „Das belegen Langzeituntersuchungen“, sagt Coenen.

Gynäkolog:innen und Partner sind besonders wichtig

Allerdings ist die Kenntnis, wie man Frauen und Familien mit PPS früh identifizieren und behandeln sollte, in der Praxis kaum vorhanden. „Wir erarbeiten deshalb eine S3-Leitlinie mit Handlungsempfehlungen für alle Fachkräfte, die das betrifft“, sagt Weidner. Dazu gehören vor allem Gynäkolog:innen und Hebammen.

„Sie sollten Schwangere fragen: Gab es Phasen psychischer Erkrankungen? Wie geht es Ihnen jetzt, ängstigen Sie sich vor der Geburt?“, empfiehlt Weidner. Gefordert sind neben Psychosomatiker:innen zudem Sozialarbeitende, Kinderärzt:innen, Psychiater:innen sowie ärztliche und psychologische Psychotherapeut:innen. Und schließlich kann auch der Partner aktiv werden und zur Behandlung motivieren – im Sinne des Kindes.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM)
ist mit etwa 1500 Mitgliedern die größte Fachgesellschaft für das Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Sie vertritt die Belange des Fachgebietes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in der stationären und ambulanten Versorgung, Lehre und Forschung.

Des Weiteren vertritt die Fachgesellschaft die Interessen ihrer Mitglieder in der Gesundheitspolitik und setzt sich für eine gerechte und angemessene Finanzierung des Gebietes in der ambulanten und stationären Versorgung ein.

Quellen:
Bittner, A. et.al: Frühe bindungsfördernde Eltern-Kind-Therapie bei psychischen Störungen in der Postpartalzeit. Ärztliche Psychotherapie 2021; 16: 240–246. DOI 10.21706/aep-16-4-240

Coenen, A. et al: Postpartale psychische Storungen – Erscheinungsbilder und Auswirkungen. Ärztliche Psychotherapie Heft 4/2021.

Frohberg, J. et al: Early Abusive Relationships–Influence of Different Maltreatment Types on Postpartum Psychopathology and Mother-Infant Bonding in a Clinical Sample. Frontiers in Psychiatry, 1 May 2022, Volume 13, Article 836368

Junge-Hoffmeister, J. et al: Subjective Birth Experience Predicts Mother–Infant Bonding Difficulties in Women With Mental Disorders. Front. Glob. Womens Health 11 April 2022, 3:812055. doi: 10.3389/fgwh.2022.812055

Weidner, K. et al: Enhancing Mother-Child Bonding in the Context of Postpartum Mental Disorders. Women’s Health and Pandemic Crisis, https://doi.org/10.1007/978-3-031-43748-9_6

Weidner, K. et al: Verbesserung der psychischen Gesundheit und Bindung bei postpartal psychisch erkrankten Frauen – Evaluation einer interaktionszentrierten Therapie in einer Mutter-Kind-Tagesklinik. Psychother Psych Med 2021. DOI 10.1055/a-1283-6422