Wenn die neue Brille plötzlich nicht mehr passt
Wechselnde Sehschärfe kann frühes Warnzeichen für Diabetes sein
Verändert sich die Sehschärfe innerhalb eines Tages, kann dies ein frühes Warnzeichen für Diabetes mellitus sein. Darauf wies die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) während ihres 114. Kongresses hin, der vom 29. September bis 2. Oktober 2016 in Berlin stattfand.
„Der Augenarzt kann Folgen der Stoffwechselerkrankung schon mit einer einfachen Untersuchung des Augenhintergrundes erkennen“, erläutert Professor Dr. med. Horst Helbig, Präsident der DOG. Früherkennung und regelmäßige Untersuchungen des Auges sind bei Diabetes wichtig, weil sonst schwere Netzhautschäden drohen. Die Zahl der Diabeteserkrankungen steigt in Deutschland dramatisch an – schätzungsweise zwei Millionen Menschen sind betroffen, ohne davon zu wissen.
Welche Rolle die Vorsorge spielt, erläuterten DOG-Experten auf der Kongress-Pressekonferenz.
„Zu uns kommen jede Woche Patienten in die Augenklinik, die unter Schwankungen der Sehschärfe im Tagesverlauf leiden“, sagt Professor Dr. med. Gabriele Lang. „Die Ursache dafür ist Diabetes mellitus“, fügt die Leiterin der Sektion konservative Retinologie und Laserchirurgie der Universitäts-Augenklinik Ulm hinzu. Doch ein Teil der Patienten wisse bis zur Augenuntersuchung nicht, dass sie an der Stoffwechselstörung erkrankt sind. „Typische Schilderungen dieser Patienten lauten: Heute früh habe ich noch verschwommen gesehen, jetzt ist es wieder besser“, berichtet die DOG-Expertin weiter. Oder aber eine optimal angepasste Brille scheint zwei Tage später nicht mehr zu passen. „Der Patient sieht dann mit den neuen Gläsern in der Ferne oder Nähe plötzlich wieder schlechter“, so Lang.
In vielen dieser Fälle liegt die Ursache bei Blutzuckerschwankungen, die auf einen Diabetes hinweisen. „Der steigende Blutzuckerspiegel erhöht den osmotischen Druck im Auge, was wiederum zu Wassereinlagerungen in der Augenlinse führt“, erläutert die DOG-Expertin. Die Folge ist, dass sich die Form der Linse vorübergehend verändert und damit auch die Fähigkeit, scharf zu sehen. „Wer solche Anzeichen bei sich bemerkt, sollte unbedingt einen Augenarzt aufsuchen“, rät Gabriele Lang.
Der Ophthalmologe kann mit einer Spiegelung des Augenhintergrundes die Gefäße der Netzhaut, der Retina, untersuchen und diabetesbedingte Veränderungen erkennen, bevor die Stoffwechselerkrankung sich mit anderen Symptomen bemerkbar macht. „Für diese Untersuchung erweitern wir zuvor die Pupille mit Augentropfen“, erklärt Lang. „Je nach Schweregrad der Erkrankung sehen wir dann kleine rote Pünktchen auf der Netzhaut – dabei handelt es sich um Blutungen – oder Aussackungen an den Gefäßen, sogenannte Mikroaneurysmen.“ Zu weiteren krankhaften Veränderungen zählen Schwellungen, Gefäßneubildungen der Netzhaut oder Glaskörperblutungen. In jedem Fall fragt der Augenarzt, ob ein Diabetes bekannt ist. „Wird die Frage verneint, überweisen wir an den Hausarzt oder einen Internisten, um den Patienten auf Diabetes hin untersuchen zu lassen“, sagt Lang.
Der Grund:
Schreitet die Stoffwechselstörung ungebremst voran, schädigt der Blutzucker zunehmend die kleinen Blutgefäße, die die Netzhaut mit Nährstoffen versorgen. So weisen 80 Prozent der Patienten, die unter Diabetes mellitus Typ 2 leiden, nach zwanzig Jahren eine diabetische Retinopathie auf. In den Industrienationen ist dies die häufigste Erblindungsursache im erwerbsfähigen Alter. „Regelmäßige Augenuntersuchungen sind für Diabetespatienten deshalb sehr wichtig“, betont Gabriele Lang. „zumal die Erkrankung für den Patienten lange Zeit symptomlos verläuft.“ Leidet ein Patient unter dauerhaften Sehstörungen, ist die diabetische Retinopathie schon sehr weit fortgeschritten. Vor diesem Hintergrund gilt: Wird ein Diabetes Typ 2 neu festgestellt, sollte eine augenärztliche Untersuchung sofort nach der Diagnose erfolgen. Sind die Augen gesund, reicht fortan eine Kontrolle pro Jahr.
Muss das Ausmaß der Netzhautschädigung genauer erfasst werden, können die Ärzte eine Fluoreszenzangiographie durchführen; die Patienten erhalten dafür einen Farbstoff in die Armvene gespritzt. „Dies ist jedoch eine invasive Maßnahme, und es kann zu allergischen Reaktionen auf den Farbstoff kommen“, erläutert Lang. Weitere Informationen liefert die optische Kohärenztomographie (OCT), die einzelne Netzhautschichten abbildet. Besondere Hoffnungen setzen die Augenärzte jedoch in ein neues Untersuchungsverfahren, das ohne Farbstoffinjektion und Pupillenerweiterung auskommt: die OCT-Angiographie. „Damit können wir innerhalb von zehn Sekunden ein Bild von den Mustern der Netzhautgefäße machen, indem die Bewegung der roten Blutkörperchen gemessen wird“, erklärt Lang. Die Ulmer Augenexpertin sieht in der OCT-Angiographie daher die Technologie der Zukunft – unübertroffen genau, nicht-invasiv und schnell.
DOG: Forschung – Lehre – Krankenversorgung
Die DOG ist die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Augenheilkunde in Deutschland. Sie vereint unter ihrem Dach mehr als 6000 Ärzte und Wissenschaftler, die augenheilkundlich forschen, lehren und behandeln. Wesentliches Anliegen der DOG ist es, die Forschung in der Augenheilkunde zu fördern: Sie unterstützt wissenschaftliche Projekte und Studien, veranstaltet Kongresse und gibt wissenschaftliche Fachzeitschriften heraus. Darüber hinaus setzt sich die DOG für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Augenheilkunde ein, indem sie zum Beispiel Stipendien vor allem für junge Forscher vergibt. Gegründet im Jahr 1857 in Heidelberg, ist die DOG die älteste medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft der Welt.
Wer gern mehr erfahren möchte, schaut bitte direkt unter Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) - www.dog.org