Diabetischer Fuß: etwa jede zweite Amputation unnötig

Wie Telemedizin, zertifizierte Teams und neueste Behandlungsmethoden Gliedmaßen retten können

Das diabetische Fußsyndrom (DFS) ist nach wie vor eine der häufigsten Folge- und Begleiterkrankungen bei Diabetes Typ 1 und Typ 2.

Hierzulande werden jährlich bis zu 50.000 Amputationen aufgrund eines DFS durchgeführt.

Durch flächendeckende, gezielte Maßnahmen könnte diese Zahl deutlich reduziert werden, konstatiert die Arbeitsgemeinschaft „Diabetischer Fuß“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).

Muss ein Zeh, ein Teil des Fußes oder schließlich gar ein ganzes Bein aufgrund eines diabetischen Fußsyndroms amputiert werden, stellt dies für behandelnde Ärzte eine schwere Entscheidung mit unumkehrbaren Folgen für die Mobilität und die Lebensqualität betroffener Patienten dar.

„Geeignete Präventionsmaßnahmen und interdisziplinäre ärztliche Zusammenarbeit kann Betroffenen einen solchen Weg zu ersparen“, erklärt Dr. med. Michael Eckhard, seit Juni 2020 Sprecher der AG „Diabetischer Fuß“ der DDG. „Dass diesbezüglich noch viel zu tun ist, zeigen die Zahlen: Noch immer gehen etwa zwei Drittel aller jährlichen Amputationen in Deutschland auf das diabetische Fußsyndrom zurück – rund die Hälfte wäre vermeidbar.“

Nationale wie internationale Studienergebnisse zeigen, dass es beim DFS auf eine frühzeitige Zuweisung des Patienten an eine spezialisierte Behandlungseinrichtung ankommt. „In zertifizierten Zentren liegt die Rate der Major-Amputationen nur bei etwa drei Prozent, während sie in der Regelversorgung dagegen noch bei über zehn Prozent liegt“, betont Eckhard.

Er fordert daher: „Alle Menschen mit DFS müssen an ein multidisziplinäres Fußbehandlungsteam verwiesen werden – und zwar ohne Verzögerung.“ Wie die Entstehung eine Fußulkus verhindert werden kann ist auch Gegenstand derzeitiger Pilotstudien unter der Ägide der AG.

Seit 15 Jahren setzt sich die AG im Rahmen eines strukturierten Zertifizierungsverfahrens von Behandlungseinrichtungen für den Erhalt amputationsbedrohter Extremitäten bei Menschen mit Diabetes mellitus ein. Diese Arbeit hat bereits Früchte getragen:

So hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dieses Jahr beschlossen, dass gesetzlich krankenversicherte Patientinnen und Patienten mit einem DFS vor einer geplanten Amputation einen Rechtsanspruch auf Einholung einer unabhängigen ärztlichen Zweitmeinung haben.

„Dies soll Betroffene unterstützen, eine informierte Entscheidung zur möglichen Auswahl zwischen invasiven oder konservativen Behandlungsmöglichkeiten zu treffen und damit gegebenenfalls eine medizinisch nicht gebotene Amputation zu vermeiden“, erläutert Eckhard. Hierfür ist die AG derzeit an einem Stellungnahmeverfahren zu einer vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) erstellten Entscheidungshilfe für Amputationen beim DFS beteiligt.

„Darüber hinaus haben wir ein im klinischen Alltag einsetzbares Tool auf telemedizinischer Basis entwickelt, welches eine zeitlich und örtlich unabhängige qualifizierte Zweitmeinung ermöglicht“, führt Tagungspräsident Professor Dr. med. Ralf Lobmann aus, der dieses Projekt federführend begleitet.

Es soll dazu beitragen, dem Patienten eine zeitgerechte Entscheidungshilfe an die Hand zu geben, ohne die Versorgungseinrichtung verlassen zu müssen. Denn: „Steht eine große, sogenannte Major-Amputation an, ist die Situation immer dringlich und erfordert eine Entscheidung binnen maximal 36 Stunden.“

Das sei unter derzeitigen Bedingungen kaum realisierbar. Anknüpfend an diesem Modell entwickelt die DDG in Zusammenarbeit mit dem Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) und weiterer Kooperationspartner eine Plattform für ein telemedizinisches Fußkonsil. Kürzlich ist auch der Fuß-Pass der DDG erschienen: Er soll durch gezielte Patientenaufklärung das Zweitmeinungsverfahren bekannt machen und zur Senkung der hohen Amputationsrate beitragen.

Im Rahmen der Herbsttagung stellen die Experten alle derzeit laufenden Projekte der AG vor.

Quelle:
Mitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)  vom 26. Oktober 2020

Literatur:
DDG Pressemitteilung „Diabetespatienten haben künftig Rechtsanspruch auf Zweitmeinung vor Amputation“

DDG Pressemitteilung „Awareness-Kampagne gegen unnötige Amputationen beim diabetischen Fußsyndrom – Neuer „Fuß-Pass“ der DDG soll Informationslücken in der Versorgung schließen“

Morbach S, Kersken J, Lobmann R, Nobels F, Doggen K, Van Acker K. The German and Belgian accreditation models for diabetic foot services.  Diabetes Metab Res Rev. 2016 Jan; 32 Suppl 1:318-25. doi: 10.1002/dmrr.2752

Bohn B, Grünerbel A, Altmeier M, Giesche C, Pfeifer M, Wagner C, Heise N, Best F, Fasching P, Holl RW Diabetic foot syndrome in patients with diabetes. A multicenter German/Austrian DPV analysis on 33 870 patients, Diabetes Metab Res Rev . 2018 Sep;34(6):e3020.  doi: 10.1002/dmrr.3020.

Gemeinsamer Bundesausschuss (2020) Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren: Aufnahme des Eingriffs Amputationen beim Diabetischen Fußsyndrom sowie weitere Änderung der Richtlinie: https://www.g-ba.de/beschluesse/4266/

IWGDF Guidelines 2019, Deutsche Übersetzung.