Grüner Star: Neue Erkenntnisse zur Früherkennung

Gewebshormon Angiotensin II spielt wichtige Rolle bei der Entstehung der tückischen Augenkrankheit

Weltweit ist der Grüne Star (Glaukom) die zweithäufigste Erblindungsursache. Er kann, wird er früh erkannt, gut behandelt werden. Doch das Tückische ist: Der Grüne Star verläuft lange ohne Symptome; man merkt also als Betroffener nichts davon, bis es für Hilfe zu spät ist und man erblindet.

Eine Studie der Universitätsmedizin Mainz zur Pathogenese und Pathophysiologie des Glaukoms legt nun neue Erkenntnisse vor: Eine Rolle bei der Entstehung der Augenkrankheit spielt dabei das Gewebshormon Angiotensin II. Diese Erkenntnis der Mainzer Wissenschaftler könnte zukünftig Diagnose und Therapie eines Glaukoms beeinflussen. Detaillierte Ergebnisse der Studie sind im Fachmagazin Redox Biology veröffentlicht.

Unter Glaukomen wird eine Gruppe von Augenkrankheiten verstanden, die in späten Stadien die Nervenzellen der Netzhaut (Retina) und des Sehnervs schädigen können. Die Folge sind Gesichtsfeldausfälle und im schlimmsten Fall die Erblindung der erkrankten Person.

Die Ursachen für die Entstehung des Glaukoms sind vielfältig und die Symptome sehr unterschiedlich. Obwohl der erhöhte Augeninnendruck nach wie vor zu den wichtigsten Risikofaktoren gehört, ist dieser als alleiniger diagnostischer oder prognostischer Faktor unzureichend:

Bei ca. 30 Prozent aller Patienten, die bereits einen Glaukomschaden entwickelt haben, konnte niemals ein erhöhter Augeninnendruck gemessen werden. Bei der Entwicklung eines Glaukoms scheinen in jedem Falle auch vaskuläre Umstände bedeutsam zu sein, die mit der Durchblutung des Auges zusammenhängen.

Denn das Sehorgan ist metabolisch sehr aktiv. Trotz seiner geringen Größe weist es einen wesentlich höheren Energiestoffwechsel als beispielsweise das Gehirn auf. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass Anomalien in der Regulation des Blutflusses mit der Entstehung eines Glaukoms assoziiert sind.

Eines der wichtigsten blutflussregulierenden Systeme ist das Renin-Angiotensin-System (RAS), das bei geringem Blutvolumen über die Freisetzung des Gewebshormons Angiotensin II den Blutdruck erhöht.

Eine von der Augenklinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz in der Zeitschrift Redox Biology veröffentlichte Studie an aus Mäusen isolierten Mikrogefäßen und Retinagewebe bringt nun anhand optimierter Messmethoden Licht ins Dunkel.

Das Team um Dr. Caroline Manicam und Dr. Natarajan Perumal konnte zeigen, dass Angiotensin II in zwei entscheidenden Mikrogefäßbetten des Auges, dem der Arteria ophthalmica und dem der Retina, oxidativen Stress auslöst.

Diese Arbeit ist eine gemeinsame Anstrengung der Augenklinik und der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie unter der Mitwirkung von Univ.-Prof. Dr. Marianne Müller und Dr. David Herzog in dem Bemühen, die Pathomechanismen, die dieser neurodegenerativen Erkrankung zugrunde liegen, besser zu verstehen.

Der Vorstandsvorsitzende und Medizinische Vorstand sowie Direktor der Augenklinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz, Univ.-Prof. Dr. Norbert Pfeiffer, sieht in dem neu etablierten Modell eine hervorragende Ergänzung der bisher vor allem auf die Untersuchungen des Augeninnendrucks fokussierten Glaukom-Modelle an der Augenklinik.

„Dieses neue in vitro-Modell bildet weitere Facetten der Erkrankung ab, an der deutschlandweit über eine halbe Million Menschen leiden und die eine der häufigsten Erblindungsursachen ist. Anhand des Modelles können wir nun verschiedene Erkrankungsursachen erforschen und versuchen, neue Therapien zur Behandlung des Glaukoms, vor allem des Normaldruck-Glaukoms, zu entwickeln“, so Univ.-Prof. Dr. Norbert Pfeiffer.

„Ich freue mich vor allem mit den beiden hauptverantwortlichen Nachwuchswissenschaftlern, dass die Publikation das bei einer wissenschaftlichen Veröffentlichung notwendige Begutachtungsverfahren ohne Forderung nach einer mit weiteren Experimenten verbundenen Revision durchlaufen hat und deshalb sehr zügig erscheinen konnte. Das spricht für die außerordentliche Qualität dieser Publikation und die wissenschaftliche Arbeit des gesamten Teams“, so Univ.-Prof. Dr. Norbert Pfeiffer weiter.

Der gewählte in vitro-Ansatz hatte den Vorteil, dass man die molekularen Vorgänge unabhängig von einer Angiotensin II-induzierten Blutdruckerhöhung beobachten konnte.

Diesem messbaren oxidativen Stress liegen Veränderungen in der Zusammensetzung des Proteoms und von Signaltransduktionswegen zugrunde, die die Autoren für diese kleinen Gewebemengen anhand angepasster Methoden massenspektrometrisch und per quantitativer real-time PCR untersucht haben.

„Inzwischen hat sich gerade die massenspektrometrische Proteomanalyse zu einem potenten Instrument zur präzisen Analyse physiologischer oder pathologischer Veränderungen molekularer Mechanismen entwickelt“, erläutert Dr. Natarajan Perumal.

„Bei unseren Untersuchungen fielen vor allem Veränderungen verschiedener Moleküle auf, die als Botenstoffe eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung und dem Stoffwechsel des Auges spielen und zukünftig weiterverfolgt werden sollen“, ergänzt Dr. Caroline Manicam, die diese Studie hauptverantwortlich betreut und die dafür notwendige finanzielle Unterstützung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeworben hatte.

„Außerdem haben wir eine vaskuläre Remodellierung in der Arteria ophthalmica beobachtet, die durch das Aktin-Zytoskelett und Integrin-verbundene Kinase-Signalwege vermittelt wird. Wir vermuten, dass dies die Kontraktilität und die Stabilität der Gefäße beeinflusst und so einen Effekt auf die Blut- und Nährstoffversorgung des Auges und die mögliche Entwicklung eines Glaukoms hat“.

„Leider wurde die zentrale Rolle der Mikrovaskulatur des Auges bei der Pathogenese eines Glaukoms bislang häufig zugunsten des erhöhten Augeninnendrucks übersehen. Mit unseren Untersuchungen haben wir aber nun erstmals einen direkten mechanistischen Einblick in die durch Angiotensin II angesteuerten Signalübermittlungswege und die Rolle der identifizierten Proteine bei der Entstehung einer Glaukomerkrankung ermöglicht.

Ob die beobachteten molekularen Veränderungen eher eine durch Angiotensin II-induzierte Anpassungsreaktion der beiden untersuchten Gefäßbetten darstellen, die das Überleben der betroffenen Zellen sichert, oder ob sie pathologische Folgen haben, die zu einem Glaukom führen können, werden unsere nächsten Untersuchungen hoffentlich zeigen“, ergänzt Dr. Caroline Manicam mit Blick auf künftige Forschungsvorhaben.

Quelle:
Mitteilung der Universitätsmedizin Mainz vom 22. Juni 2020

Originalpublikation:
Bioenergetic shift and actin cytoskeleton remodelling as acute vascular adaptive mechanisms to angiotensin II in murine retina and ophthalmic artery; Natarajan Perumal, Lars Straßburger; David P. Herzog; Marianne B. Müller; Norbert Pfeiffer; Franz H. Grus; Caroline Manicam;

Link: https://doi.org/10.1016/j.redox.2020.101597