Weizenunverträglichkeit

Forscher suchen Ursachen und Grundlage für verträglichere Sorten

Von Durchfall bis zur Depression:
Bis zu fünf Prozent aller Weizenkonsumenten leiden an einer Unverträglichkeit von Weizen, die körperliche und psychische Krankheiten verursachen kann. Als ein möglicher Auslöser gelten bestimmte Proteine im Weizen.

Jetzt haben sich Mediziner, Analytiker und Agrarwissenschaftler der Universitäten Mainz und Hohenheim zusammengetan, um das Phänomen zu erforschen. Ihre Erkenntnisse könnten dazu beitragen neue Weizensorten zu züchten, die gut verträglich sind und außerdem noch gute Backeigenschaften besitzen.

Es ist eine geheimnisvolle Krankheit, die die Wissenschaft lange vor ein Rätsel stellte.
Die genaue Bezeichnung lautet „Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität“ (NCWS) und sie beschreibt eine bislang kaum bekannte Weizenunverträglichkeit. Ursache ist eine angeborene Immunabwehr, die durch Weizenproteine ausgelöst wird.

„Die NCWS ist nicht zu verwechseln mit einer Zöliakie – einer Glutenunverträglichkeit – oder einer Weizenallergie“, erklärt Projektkoordinator Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan, Gastroenterologe, Biochemiker und Leiter des Instituts für Translationale Immunologie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. „Insbesondere die Zöliakie ist meist eindeutig nachweisbar.“

„Das Problem der NCWS war lange, dass man nicht wusste durch was sie ausgelöst wird, bis wir in meinem Labor an der Harvard Medical School die a-Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) als Aktivatoren der angeborenen Immunität im Darm identifiziert haben“, so der Experte.

„Seit Kurzem steht damit diese Familie von Proteinen unter Verdacht, diese Art der Unverträglichkeit auszulösen“, bestätigt PD Dr. Friedrich Longin, wissenschaftlicher Leiter des Arbeitsgebietes Weizen an der Universität Hohenheim und Mit-Initiator des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Kooperationsprojekts „Weizensensitivität: Einfluss von Weizensorten und Anbaubedingungen auf die angeborene Immunität“.

Die ATIs sind natürliche Proteine, die im Weizen vorkommen.
Wie viele Proteine genau zu dieser Familie gehören, und wie sehr der Gehalt und die Zusammensetzung von der Sorte und den Umweltbedingungen im Anbau abhängt, ist aber noch unzureichend bekannt und nach bisherigen Erkenntnissen unter anderem von der jeweiligen Sorte abhängig.

5 bis 10 Prozent der Deutschen leiden an einer Weizenunverträglichkeit
„Bei einer Gruppe von Menschen scheinen die ATIs aus glutenhaltigen Getreiden wie Weizen ab einer bestimmten Menge entzündliche Reaktionen im Körper zu aktivieren bzw. zu verstärken. Das kann bei den Betroffenen Bauchschmerzen, insbesondere aber auch Benommenheit, Müdigkeit, Gelenk- und Muskelschmerzen, Hautveränderungen, depressive Stimmung und insgesamt eine Verschlechterung einer chronischen Erkrankung verursachen“, sagt Professor Schuppan.

In hoher Menge aufgenommen aktivieren die Weizen-ATIs den Teil des Immunsystems, der sonst für das Erkennen von Krankheitserregern verantwortlich ist. Dieser setzt daraufhin unter anderem entzündliche Proteine frei und verursacht die Beschwerden der Betroffenen.

Die Bestimmung des ATI-Gehalts in den Weizensorten, also die wahrscheinliche Ursache der NCWS, sei daher von besonderer Bedeutung, so das Fazit von PD Dr. Longin. „Während gerade einmal jeweils ein Prozent der deutschen Bevölkerung an der Zöliakie oder einer Weizenallergie leiden, sind wahrscheinlich mindestens fünf Prozent von der NCWS betroffen.“

Eine Untersuchung zum ATI-Gehalt gibt es bisher nur aus den USA, und nur an einer dort heimischen Weizensorte. „Da das Vorkommen dieser Proteine aber besonders von der einzelnen Sorte und den Anbaubedingungen, also auch den Umwelteinflüssen, abhängt, brauchen wir eigene und standardisierte Untersuchungen für die Weizenzüchtung in Deutschland“, erklärt Prof. Dr. Stefan Tenzer, Leiter der Core Facility für Massenspektrometrie am Institut für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz.

Analyse von 160 Weizen- und Dinkelsorten an 3 Standorten
Hier setzt das von der DFG geförderte Kooperationsprojekt der Universitäten Hohenheim und Mainz an. An drei verschiedenen Standorten in Hohenheim bauten die Forscher 150 Weizensorten an. Die Bandbreite reicht von modernen Elitesorten, wie sie aktuell von Bauern verwendet werden, bis zu wichtigen alten Weizensorten, die in den 1960iger - 1990iger Jahren angebaut wurden.

Ebenfalls im Versuch sind zehn verschiedene Dinkelsorten.

Inzwischen sind die Weizensorten geerntet, gedroschen und aufgereinigt und werden nun genauer im Labor untersucht. Die Universitätsmedizin Mainz hat die Analytik, inklusive der Bestimmung der biologischen Aktivität und der massenspektrometrischen Bestimmung der ATI-Proteine (Labor von Professor Tenzer), aber auch die Bestimmung der krankheitsauslösenden Aktivität der ATIs in vivo, bis hin zu klinischen Studien (Professor Schuppan) etabliert.

Dabei verfolgen die Forscher drei Erkenntnisziele:
Herauszufinden wie der natürliche ATI-Gehalt in den verschiedenen Weizensorten zustande kommt. Dazu gehört, ob es Unterschiede in den ATIs alter und neuer Sorten gibt, wie weit diese genetisch von den einzelnen Sorten abhängen und wie weit sie durch Umwelteinflüsse beeinflusst werden.

Erforschen wie viele Proteine überhaupt zur Familie der ATIs in den untersuchten Weizensorten gehören und welche dieser Proteine primär die Immunantworten auslösen. Dazu werden die Ernteproben auf den ATI-Gehalt analysiert und ihre immunstimulatorische Wirkung unter anderem anhand von menschlichen Zellsystemen im Labor geprüft.

Erkennen, ob der ATI-Gehalt mit den Backeigenschaften zusammenhängt und wie der ATI-Gehalt in den Getreiden vererbt wird. Dazu wird der Weizen nach klassischen Qualitätskriterien bewertet.

Fernziel sind besser verträgliche Weizensorten
Mittelfristig sollen die Erkenntnisse helfen neue Weizensorten zu züchten, die auch für empfindliche Bevölkerungsgruppen gut verträglich sind. „Dabei muss uns der Spagat gelingen, Weizensorten zu züchten, die einen geringen ATI-Gehalt und trotzdem gute Backfähigkeit besitzen“, formuliert PD Dr. Longin.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das deutschlandweit einzigartige DFG-Einzelprojekt „Weizensensitivität: Einfluss von Weizensorten und Anbaubedingungen auf die angeborene Immunität“ mit 680.000 Euro. Davon gehen 470.000 Euro an die Universitätsmedizin Mainz und die Universität Hohenheim erhält 210.000 Euro.

Die Förderung basiert auf einem gemeinsamen Antrag von Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan (Projektkoordinator und Leiter des Instituts für Translationale Immunologie der Universitätsmedizin Mainz), PD Dr. Friedrich Longin (Agrarwissenschaftler der Universität Hohenheim) und Prof. Dr. Stefan Tenzer (Leiter der Core Facility für Massenspektrometrie am Institut für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz).

Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.300 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz ausgebildet. Mit rund 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Universitätsmedizin zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor.

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