Cord Widderich und die Irrfeuer
Auf Spurensuche zwischen Dichtung und Historie
Wer war Cord Widderich?
Freibeuter oder Freiheitsheld – um diesen Dithmarscher ranken sich Sagen und Geschichten. Erzählt wird von ihm in Überlieferungen: Ihr Unwesen trieben Widderich und seine Männer demzufolge zu der Zeit, als auch einer der wohl berühmtesten Seeräuber auf Raubzug ging – Klaus Störtebeker.
Doch wer Widderich wirklich war, ging im Dunkeln der Geschichte unter.
Und es gibt kaum Material über ihn; die historische Faktenlage ist äußerst dünn – die folgende Geschichte stammt aus dem Buch „Der Freibeuter von Pellworm“ von Heinrich Traving, einem Jugendbuch von 1960. Immerhin: An zwei Orten an der Westküste jedoch ist die Geschichte Cord Widderichs lebendig. Indizien sind verdichtet, Gerüchte halten sich hartnäckig und historische Überlieferungen berichten dann doch von ihm – Ist doch was dran?
Hier ist die Geschichte, wie Traving sie bildlich und spannend erzählt:
Herzog Gerhard von Holstein zog zu Beginn des 15. Jahrhunderts mit seinem Heer gegen die Dithmarscher; die stolzen Bauern hatten ihm keine Entgelte gezahlt. Diese Strafexpedition wurde zu seinem Verhängnis: In den Wäldern der „Hamme“, einem Gebiet nahe Heide, fiel der Herzog. Wie Traving schreibt, durch den Schlag mit einer Hellebarde. Gerhard von Holstein zog nicht allein die Schlacht, Hilfstruppen aus Nordfriesland sollten ihm beim Kampf gegen die Dithmarscher zur Seite stehen – die flohen in der Schilderung von Heinrich Traving nach dem verlorenen Kampf eiligst nach Norden, um sich über den Fluss Eider in die sichere Heimat abzusetzen. Historisch klingt der Hintergrund regionaler Auseinandersetzungen in dieser Zeit grundsätzlich plausibel.
Die brennende Windmühle von Weddingstedt wies ihrem Anführer, im Buch Harre Bondesen genannt, den Weg. Am Rande der Geest zogen sie über Lunden an das Ufer der Eider, bei Wollersen warteten die Männer auf die Flut. Aus Habgier und Rache, so steht es im Buch „Der Freibeuter von Pellworm“, plünderten sie den Hof des Dithmarscher Bauern und Regenten Cord Widderich und schlugen seine Frau Anne tot. Als Cord Widderich aus der Schlacht an der Hamme heimkehrte, seinen Hof niedergebrannt und seine Frau ermordet vorfand, erwachte abgrundtiefer Hass in ihm.
Cord Widderich ging, so schildert es Traving, nach Büsum, damals eine Insel, und kaufte sich ein Schiff namens „Drache“. Seine Männer hatte er um sich gescharrt. Die Geschichte geht im Buch „Der Freibeuter von Pellworm“ so weiter: Vorbei am Hochsand Bielshöven segelte er nach Norden, über einen großen Priel erreichte er den Hafen nahe der Kirche von Pellworm. Pellworm und Nordstrand bildeten zu der Zeit eine gemeinsame Insel – „Strand“. Nachdem sie den Kirchturm sturmreif geschossen hatten, nahmen sie ihn ohne große Gegenwehr ein. Widderich schickte seine Männer zum Plündern über die Insel, sie raubten der Überlieferung nach auch den wertvollen Kirchenschmuck. Der Kirchturm wurde zum Hauptquartier der Bande, immer wieder fuhr der „Drache“ hinaus in eine Weite, die keine Grenzen kannte.
Geriet laut Schilderung von Heinrich Traving in Scharmützel, bei dem ein Frachter aus Römö versenkt wurde, dessen Ladung Bierfässer trieben zur Freude der Männer auf dem Turm an den Strand. Als Harre Bondesen im Buch „Der Freibeuter von Pellworm“ den Turm später belagerte, kam der „Drache“ mit dem Rest der Mannschaft in letzter Minute zurück und der Angriff wurde niedergeschlagen – bildhaft im Buch während einer Schlacht im Nebel mit Messern, Schwertern und Hellebarden. Gefeiert wurde an Bord, die Gesänge und das Gejohle trugen weit über das Land.
Immer wieder brachen sie laut dem Jugendbuch zu Überfällen auf, aber nur gegen Nordfriesland und seine Schiffe. Ribe im heutigen Dänemark gehörte dazu. Als die Männer dort in einer Kneipe zechten und nach Bondesen fragten, flogen sie auf. Heinrich Traving schildert es so: Die Flucht gelang mit Mühe, die schwere See ließ sie beinahe an der Küste zerschellen, ans Aufhören aber dachte Widderich in dieser Geschichte nicht – erst mit dem Tode Bondesen. Dann erst. Doch das Unwetter bedrohte nun auch das Quartier auf Pellworm, Deiche brachen, das Land lag tot und in grauenvoller Ödnis – „…es gibt für euch nun nichts mehr zu tun!“ rief ihm der Pfarrer im Buch „Der Freibeuter von Pellworm“ entgegen. Tags darauf gab Widderich den Turm frei und stach in See. Zurück nach Büsum. Widderich wurde, der Überlieferung nach, Jahre später als frommer Mann auf einer Pilgerfahrt Richtung Mecklenburg oder Brandenburg in Holstein ohne Prozess getötet; im alten Feindesland also und das, obwohl er als Pilger geschützt war – wieder Stoff für Spekulationen.
Pellworm also scheint in den Erzählungen und Überlieferungen für Cord Widderich eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Aber: „Die historische Faktenlage ist sehr dünn“, erklärt der Pellwormer Historiker Walter Fohrbeck, er leitet das Pellwormer Inselmuseum, „es gibt praktisch keine schriftlichen Quellen.“ Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts wurde – wenngleich präzise und gewissenhaft – fast ausschließlich mündlich überliefert. Immerhin: „In einer Nordfriesischen Chronik aus dem 17. Jahrhundert aber wird Cord Widderich schriftlich erwähnt“, so Fohrbeck.
Dort, wo Pellworm zu Ende ist, steht auf einer Warft die Alte Kirche.
Neben dem Gotteshaus ragt die Ruine eines einstmals gewaltigen Turmes in die Höhe. Der Wind drückt bedrohlich, biegt die Äste der Bäume und heult um die Gemäuer. Draußen tobt die Nordsee mit bleigrauen Fluten. Die Tür des Gotteshauses fällt schwer ins Schloss und drinnen empfängt eine umarmende Stille. Als sich die Augen an das Halbdunkle gewöhnt haben, leuchten die prachtvollen Gemälde auf, scheinen die Pfeifen der wertvollen Orgel zu strahlen. Diese Kirche verströmt eine seltsame Energie, man spürt etwas Besonderes an diesem Ort. Die Zeit scheint still zu stehen. Es riecht nach verloschenen Kerzen. Hier fielen die Männer um Cord Widderich der Überlieferung nach einst ein. Und wenn es auf Raubzug ging und die Männer aus dem Turm stürmten – dann war es wohl mit dem Gottesdienst schnell vorbei. Schließlich gab es für jeden Hungerleider was zu holen.
„Fünfzig Jahre nach einer der verheerendsten Sturmflut in der Geschichte Nordfrieslands waren die wuchtigen Mauern dieser Kirche einer der wenigen Orte auf der Insel, der Schutz bot“, sagt Walter Fohrbeck. Und es gab einen Schatz zum Plündern. Neben dem Kirchenschiff ragt die Ruine des Kirchturms in die Höhe, auch heute noch ist sie die einzige Landmarke und schon von weit draußen auf See weist sie den Weg. Dohlen und Tauben flattern um die Ruinen, Turmfalken hausen ebenfalls dort. Die schwarzen Vögel kreisen mit schauerlichem Ruf um den Turm. Hier sollen Cord Widderich und seine Männer also einst gehaust haben und Ausschau nach lohnenswerter Beute, sprich: nach Schiffen, gehalten haben. Bevor der Turm im Jahre 1611 einstürzte, war er sogar noch höher. Keine Frage: einen besseren Aussichtspunkt gab es hier nicht. Und keinen sicheren, auch heute erscheint der Turm noch wuchtig und wehrhaft. Und neben dem Gesang und den Orgelklängen aus der Kirche hört man im Geiste das Geklirre der Waffen und das Geschrei der Männer.
„Von hier oben hatten die Männer einen hervorragenden Überblick über das Wattenmeer und die verschiedenen Fahrwasser“, so Fohrbeck. Der Überlieferung zufolge sollen sie am Strand falsche Feuer gelegt haben, um Schiffe in das Verderben zu locken. Das Wattenmeer vor Pellworm ist ein schwieriges Gewässer; Strömungen verlagern auch heute noch ständig Sandbänke, sichere Fahrwasser verändern sich ständig, und wer bei Sturm nicht schnell eine sichere Reede findet, kann schnell an der Küste unrettbar auf Grund laufen. Immer wieder tauchen historische Schiffswracks aus den Sänden auf. Falsche Feuer, die einen sicheren Weg oder Hafen vorgaukelten, waren die perfideste Methode, Schiffe in den Untergang zu locken. Das kam im Mittelalter an dieser Küste durchaus vor. Heute sieht man in der Dämmerung die Leuchtzeichen des Pellwormer Leuchtturms. Die Lichtfinger greifen in der beginnenden Dunkelheit über Land und Meer. Aus den Kirchenfenstern flutet warmes Licht in die Nacht. Und im rauen, zerrenden Winterwind sind die Bilder der Freibeuter im Turm ganz nah. So wie die schwarzen, flatternden Vögel.
Cord Widderich soll den Kirchenschatz einst auf Pellworm geraubt haben.
Dann ging es in friedlicher Absicht nach Büsum. Er wollte, so die Legende, Böses – die Plünderung seines Hofes durch die Friesen – mit Bösem vergelten. „Das Wertvollste, das sie angeblich aus der Alten Kirche auf Pellworm mitnahmen, war gewiss das Taufbecken. Viel ging verloren – das Taufbecken aber kann man noch heute anschauen. An dem Ort, wo sich Widderich nach seiner Zeit als Freibeuter der Überlieferung zufolge als Kaufmann niedergelassen haben soll“, sagt der Büsumer Gästelotse Raimund Donalies. Und der Ort, an dem er mit seinem „Drachen“ aufbrach und wieder zurückkehrte – nach Büsum. Die St. Clemens Kirche duckt sich mit ihren wuchtigen, weißgekalkten Mauern unter den schweren Himmel. „Vielleicht stiftete Widderich einen Teil seines Schatzes dieser Kirche, um sein Seelenheil zu retten“ meint Donalies. Vielleicht kam das Bronzebecken auf ganz anderem Weg hierher; von Pellworm aber stammt es. Und die Dithmarscher waren Widderich ohnehin wohlgesonnen.
Das bronzene Taufbecken, verziert mit Bildern und von Figuren getragen, ist der wohl älteste und kostbarste Gegenstand der Kirche. Neben dem Becken soll Cord Widderich der Sage nach noch weitere Kultgegenstände mitgebracht haben – darunter goldenes Abendmahlsgerät und eine Monstranz sowie Heiligen- und Sakramentschreine. „Schauen Sie hier!“, sagt Donalies und führt zu einem mannshohen, hölzernen roten Schrank, der etwas im Hintergrund steht. „…er soll der Überlieferung zufolge von Pellworm stammen. Und was da heute drin ist, bleibt ungeklärt!“ Geheimnisse.
Wenn die Sonne durch das Fenster scheint und das bronzene Becken strahlen lässt, scheint die Zeit der Schätze und ihrer Räuber wieder zum Leben erweckt. Auch in dieser Kirche steht die Zeit, ist man allein, seltsam still. Wo die Geschichten und Legenden von Cord Widderich bis heute erzählt werden. „Freibeuter oder Freiheitsheld – das darf jeder selbst entscheiden“, sagt Gästelotse Raimund Donalies zum Abschluss. Die Sonne zieht weiter wie seit hundert und hundert Jahren schon, durch das Kirchenfenster fällt erst Dämmerung, dann Dunkelheit. Und ein Stück Geschichte verschwindet darin. Wie seit hundert und hundert Jahren schon. Und ist doch lebendig, wenn man sich davon erzählt. Auf Pellworm, in Büsum und anderswo.
Weitere Informationen und Tipps:
Die Geschichte von Cord Widderich:
„Der Freibeuter von Pellworm“, ein Kinder- und Jugendbuch von Heinrich Traving, Neuer Jugendschriften Verlag Hannover, 1960, antiquarisch
Ortsrundgang mit den Büsumer Gästelotsen www.buesum.de
Inselmuseum auf Pellworm www.insel-muesum.de
Dithmarscher Landesmusuem www.landesmuseum-dithmarschen.de
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