Hohe Preise trotz mangelhaft nachgewiesener Wirksamkeit

Studie von FAU-Forschenden zu digitalen Gesundheitsanwendungen

Ob für das Smartphone, Tablet oder als webbasierte Anwendung auf dem PC: Seit mehr als vier Jahren dürfen Ärztinnen und Ärzte sogenannte digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) verordnen.

Doch seit ihrer Einführung sind DiGA, die zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen sollen, häufig der Grund für Konflikte zwischen den beteiligten Akteuren wie etwa Krankenkassen, Herstellern und Leistungserbringern. Wissenschaftler des Digitalen Demenzregisters Bayern (digiDEM Bayern) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben in einer Übersichtsarbeit nun die wissenschaftliche Qualität der Zulassungsstudien für DiGA sowie deren Preisgestaltung analysiert.

Das Fazit: Viele der durchgeführten Studien zum Nachweis der Wirksamkeit weisen erhebliche wissenschaftliche Mängel auf.

Eine App zur Raucherentwöhnung oder um Symptome einer Depression zu lindern, Rückenschmerzen abzumildern oder um zur Herzgesundheit beizutragen: Die Einsatzgebiete für digitale Gesundheitsanwendungen sind vielfältig. DiGA zielen darauf ab, als App oder browserbasierte Internetanwendung Erkrankungen zu behandeln oder zu lindern.

Seit mehr als vier Jahren können Ärztinnen und Ärzte DiGA verordnen. Die Kosten für diese Medizinprodukte übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen. Die Preise für eine „App auf Rezept“ liegen circa zwischen 260 Euro bis 570 Euro für eine Anwendung über drei Monate pro Patient/-in. Doch seit ihrer Einführung sorgen die DiGA zunehmend für Konflikte zwischen den Krankenkassen und den DiGA-Herstellern.

Qualität der Zulassungsstudien ist ungenügend

„Viele der von den Herstellern durchgeführten Studien zum Nachweis der Wirksamkeit ihrer Apps weisen schwerwiegende wissenschaftliche Mängel auf“, fasst Dr. Nikolas Dietzel, Erstautor der Übersichtarbeit und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei digiDEM Bayern, zusammen. Dies liege unter anderem daran, dass die Teilnehmenden zu Beginn der Zulassungsstudien sich im Klaren darüber waren, ob sie die Behandlung überhaupt erhalten oder nicht. Eine solche sogenannte fehlende Verblindung kann das Forschungsergebnis beeinflussen.

Zudem seien die Personen in der Kontrollgruppe häufig nicht behandelt worden. Es fehlte also eine „aktive Kontrollgruppe“ – ein wichtiges Kriterium, um die Wirksamkeit wissenschaftlich nachzuweisen.

Weitere Gründe für wissenschaftliche Mängel seien hohe Studienabbruchraten, die Durchführung von sogenannten Vorher-Nachher-Vergleichen und eine fehlende Transparenz durch unveröffentlichte Studienprotokolle.

Auch seien Studienpopulationen teilweise nicht repräsentativ gewesen, indem es zum Beispiel viele „digital-affine“ Studienteilnehmende gab. „Studienergebnisse könnten also verzerrt sein, das heißt die Ergebnisse spiegeln möglicherweise nicht die tatsächliche Wirksamkeit wider“, erläutert Dr. Nikolas Dietzel.

Besondere Verantwortung der Hersteller

Vor dem Hintergrund der mangelhaft nachgewiesenen Wirksamkeit der DiGA betont Dr. Nikolas Dietzel: „DiGA werden, wie beispielsweise auch Medikamente, von den gesetzlich versicherten Beitragszahlern finanziert. Ihnen gegenüber besteht die besondere Verantwortung sicherzustellen, dass die Zulassungsstudien auch verzerrungsfrei durchgeführt werden und international gültigen Standards der evidenzbasierten Medizin entsprechen.“

Dies beträfe sowohl die Reduzierung von Verzerrungspotenzialen als auch die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf den Versorgungsalltag.

„Wenn sich Studienergebnisse nicht verallgemeinern lassen, muss die in der Studie gemessene Wirksamkeit der DiGA ernsthaft in Frage gestellt werden“, sagt Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas, Co-Autor der Übersichtsarbeit.

Kritik an der Preisgestaltung der Hersteller

Als ein weiterer Grund für die Auseinandersetzungen zwischen Krankenkassen und Herstellern gilt auch die Preisgestaltung der Hersteller. Hersteller können die Preise für ihre DiGA innerhalb bestimmter Grenzen selbst festlegen, und zwar während eines Erprobungszeitraumes und im ersten Kostenerstattungsjahr, sofern die DiGA dauerhaft in das DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte aufgenommen wurde.

„Somit können auch Anwendungen vergütet werden, deren Wirksamkeit die Hersteller noch gar nicht nachgewiesen haben“, weiß Dr. Nikolas Dietzel.

„Aber auch mit Wirksamkeitsnachweis liegen die anfänglichen Herstellerpreise teilweise deutlich über den finalen Vergütungsbeträgen, die nach den Verhandlungen mit den Krankenkassen bezahlt werden“, ergänzt Prof. Peter Kolominsky-Rabas.

Studien zu Kosten im Verhältnis zur Wirksamkeit der DiGA seien bisher selten und kämen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Hier bestehe eine Forschungslücke, die es zu schließen gilt.

„Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Solidargemeinschaft der Beitragszahler viel Geld für die mangelnde Wirksamkeit von digitalen Gesundheitsanwendungen ausgeben sollte“, sagt Prof. Peter Kolominsky-Rabas.

Digitalisierung des Gesundheitswesens

Hinsichtlich der Beschleunigung digitaler Prozesse im Gesundheitswesen resümiert Prof. Peter Kolominsky-Rabas: „Für Patientinnen und Patienten muss sich die Versorgung verbessern. Wenn die DiGA nicht als reine Wunschvorstellung für die überfällige Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen herhalten sollen, müssen die Hersteller der DiGA ihre Hausaufgaben machen.“

Mit Einführung der sogenannten anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung (abEM) will der Gesetzgeber ab Januar 2026 die wissenschaftlichen Anforderungen an die Hersteller erhöhen. So sollen zukünftig auch nach der Zulassung wissenschaftliche Daten gesammelt werden, etwa zum Nutzungsumfang, über die Zufriedenheit mit der App und über den patientenberichteten Gesundheitszustand. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen Auswirkungen auf den erstatteten Preis haben.

Quelle:
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg - Mitteilung vom  11. April 2025

Direkt zur Studie - https://www.wido.de/publikationen-produkte/zeitschriften/ggw-gesundheit-gesellsc…

DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte - https://diga.bfarm.de/de